Die innere circadiane Uhr reguliert bei Mensch und Tier tagtägliche Lebensvorgänge und wird von äußeren Faktoren synchronisiert, den sogenannten Zeitgebern. Am wichtigsten ist dabei der Licht/Dunkelzyklus, der in Lebensräumen wie der Arktis während des Polarsommers nur eine schwache Wirksamkeit besitzt. Forscher vom Max-Planck-Institut für Ornithologie haben bei vier Zugvogelarten mithilfe von Mini-Sendern verschiedenartigste Aktivitätsmuster entdeckt, die durch unterschiedliche Paarungssysteme und Lebensweisen erklärt werden können. Die Studie zeigt, dass tagesrhythmisches Verhalten an die Umweltbedingungen angepaßt werden kann. Das circadiane System ist also bemerkenswert plastisch.
Zeitliche Rhythmen sind entscheidend für die meisten Lebensvorgänge. So wird zum Beispiel die Fortpflanzungsphase masßgeblich von der Jahreszeit bestimmt. In unseren Breiten haben es die Organismen dabei recht einfach, können sie doch anhand eines ausgeprägten Tag/Nachtzyklus die länger werdenden Tage messen, und dabei ziemlich sicher sein, ab einer bestimmten Tageslänge günstige Brutbedingungen vorzufinden. Schwieriger wird es am Äquator, dort sind die Tage über das Jahr gesehen in etwa gleich lang, so daß die Tiere zusätzliche Faktoren mit einbeziehen müssen, um Brutaktivitäten zu starten. Jedoch ist für die tägliche Synchronisierung stets ein gewisser Tag/Nachtzyklus nötig, damit dieser als sogenannter Zeitgeber die innere Uhr jeden Tag wieder neu einstellen kann.
Polarregionen stellen in dieser Hinsicht eine Extremsituation dar, da es dort während der Sonnenwenden jeweils entweder rund um die Uhr hell oder dunkel ist. Bei der Abwesenheit eines geeigneten Zeitgebers entwickeln viele Organismen einen eigenen Tagesrhythmus, der oft beträchtlich von einem 24-Stunden-Tag abweicht. Dies wurde bei Tieren und auch am Menschen unter kontrollierten Bedingungen im Experiment nachgewiesen. In extremen Lebensräumen wie der Polarregion könnten sich die Lebewesen also andere Zeitgeber als das Licht suchen, um ihre innere Uhr wieder einzustellen. Diese sind jedoch aufgrund der Komplexität der Faktoren im Freiland recht schwer zu bestimmen.
Einen Versuch, diese Faktoren zu entschlüsseln, hat nun ein Forscherteam vom Max-Planck-Institut für Ornithologie an vier in der Arktis in Alaska lebenden Vogelarten gestartet: an drei Watvogel-Arten, dem Sandstrandläufer, dem Graubruststrandläufer und dem Thorshühnchen, sowie an einer Singvogel-Art, der Spornammer. Sie alle besitzen jeweils unterschiedliche Paarungssysteme. Während der Sandstrandläufer streng monogam lebt, zeigt die Spornammer neben monogamer Lebensweise auch gelegentliche Polygynie, d.h. ein Männchen kann sich mit mehr als einem Weibchen gleichzeitig verpaaren, was auch den Normalfall beim Paarungssystem des Graubruststrandläufers darstellt.
Eine Besonderheit ist das Thorshühnchen, da es polyandrisch lebt, d.h. ein Weibchen besitzt mehrere Männchen. Zudem sind bei dieser Art die Geschlechterrollen vertauscht. Diese vier Arten wurden alle in einem nur zwei Quadratkilometer großen Tundraabschnitt in der Nähe der Ortschaft Barrow im Norden von Alaska untersucht. Insgesamt statteten die Forscher 142 Vögel mit Radiotelemetrie-Transmittern aus und bestimmten das tägliche Aktivitätsmuster.
Bei der Analyse der Aktivitätsdaten fanden die Forscher nahezu das gesamte Spektrum an biologischen Rhythmen. Die Spornammer zeigte einen strikten 24-Stunden-Tagesrhythmus mit einer Wach- und einer kurzen Schlafphase, während die Watvögel, abhäging vom Geschlecht und dem Brutzyklus entweder strikt rythmisch, “arhythmisch“, also konstant aktiv waren, oder einen freilaufenden Zyklus zeigten. Doch warum gibt es in einem identischen Lebensraum solch starke Unterschiede?
Die Antwort liegt in der Lebensweise der Vögel. Alle vier Arten sind zwar Zugvögel und können sich in ihren Winterquartieren an mehr oder weniger ausgeprägten Tag/Nacht-Zyklen orientieren. Da dies im arktischen Dauertag nicht funktioniert, müssen sie andere Faktoren nutzen. Die Verfügbarkeit von Futter könnte bei der Spornammer und demjenigen Geschlecht der Watvögel, das gerade die Gelege ausbrütet, für einen normalen 24-Stunden-Zyklus verantwortlich sein. Selbst im arktischen Dauertag gibt es tageszeitliche Temperaturschwankungen besonders in Bodennähe und “nachts“ stehen bei sehr kalten Temperaturen keine Insekten als Nahrung zur Verfügung. Zudem müssen die Bodengelege ständig bebrütet werden, da die Gelege sonst schnell auskühlen würden.
Graubruststrandläufer hingegen balzen und kämpfen nahezu rund um die Uhr. Dass sich dieses Verhalten lohnt, wurde in einer früheren Studie gezeigt, als diejenigen Vögel, die am wenigsten schliefen, die meisten Nachkommen hatten. Beim Sandstrandläufer wiederum synchronisierten sich beide Partner zu einem gemeinsamen freilaufenden Rhythmus der Bebrütungsphasen des Geleges. „Diese vergleichende Studie hat eine erstaunliche Plastizität des circadianen Systems bei Zugvögeln im kurzen arktischen Sommer aufgedeckt. Diese innere Uhr kann durch soziale und Umweltfaktoren eingestellt werden“, sagt Bart Kempenaers, der Leiter der Studie. (SL/HR)
Kontakt:
Prof. Dr. Bart Kempenaers
Telefon: +49 8157 932-232
E-Mail: b.kempenaers@orn.mpg.de
Originalpublikation:
Silke S. Steiger, Mihai Valcu, Kamiel Spoelstra, Barbara Helm, Martin Wikelski and Bart Kempenaers
When the sun never sets: diverse activity rhythms under continuous daylight in free-living arctic-breeding birds
Proceedings of the Royal Society of London, 19. Juni 2013
http://www.mpg.de/7320425/biothythmus_arktis
Das Thorshühnchen lebt polyandrisch, ein Weibchen lebt also mit mehreren Männchen zusammen. Seine Pa ...
Foto: Wolfgang Forstmeier
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Die Brutgebiete der Spornammer liegen in Norwegen, Schweden und dem nördlichen Russland. Im Sommer e ...
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Deutsch
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