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10.10.2002 14:00

Von der Struktur zur Funktion - Führende Proteinforscher in Berlin zusammengekommen

Barbara Bachtler Kommunikation
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch

    Das Aufkommen von Automatisierungstechniken sowie das Humangenomprojekt haben der Proteinforschung einen starken Aufwind beschert. In Anlehnung an das Humangenomprojekt wollen Forscher die Struktur aller Proteine (das Proteom) des Menschen analysieren. Auch Modellorganismen wie Bakterien, Bäckerhefe, Parasiten und Pflanzen nehmen die Proteinforscher unter die Lupe. Ins Visier nehmen sie dabei auch solche Proteine, die an Infektions- und Tropenkrankheiten, Krebs, Alzheimer, Parkinson oder dem Rinderwahn beteiligt sind. An Hand der Struktur wollen sie die Funktion der Proteine entschlüsseln. Sie erwarten sich davon neue Impulse für die Entwicklung von Medikamenten zur gezielten Behandlung von Krankheiten. Seit wenigen Jahren gibt es weltweit einige Forschungsprogramme für die systematische Struktur- und Funktionsanalyse von Proteinen vor allem in den USA, Asien und Europa - darunter in Deutschland die Berliner Proteinstrukturfabrik. Weltweit fließen in diese Projekte bisher umgerechnet rund 300 Millionen Dollar, zehn Prozent dessen, was in die Entzifferung des Genoms geflossen ist. In Berlin sind jetzt (10. - 13. Oktober 2002) rund 500 führende Proteinforscher aus Asien, Australien, Europa und den USA - darunter Chemienobelpreisträger Prof. Kurt Wüthrich (ETH Zürich/Schweiz)zur Internationalen Konferenz der International Structural Genomics Organisation (ISGO) im Kommunikationszentrum des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch zusammengekommen, um erste Ergebnisse ihrer Projekte zu präsentieren.

    Vor über zwei Jahren, Anfang Juni 2000, drei Wochen vor der spektakulären Verkündung des Humangenomprojekts im Weißen Haus in Washington, gaben Forscher aus neun Ländern den Startschuss für die neue Proteinforschung: "10 000 Proteine in zehn Jahren", lautete die Zielvorgabe. Die Weichen zu dieser internationalen Initiative waren in jenem Jahr in Groß-britannien und Japan gestellt worden. Grund genug für die Wissenschaftszeitschrift Nature Structural Biology der systematischen Proteinstrukturforschung im November 2000 eine Sonderausgabe zu widmen. In Berlin findet jetzt die Feinjustierung der Projekte statt.

    Proteine, deren Bauplan in den Genen enthalten ist, sind die Bau- und Betriebsstoffe des Lebens. Es gibt keinen Prozess im Organismus, der ohne Proteine von statten gehen kann. Angefangen von der Zellteilung bis zur Verdauung der Nahrung bis hin zum Sauerstofftransport im Blut. So vielfältig ihre Aufgaben, so vielfältig ist auch ihr Aussehen. Es gibt sie in jeder Form und Größe. Form und Faltung bestimmen die Funktion der Proteine. Sind Proteine fehlerhaft gefaltet, werden sie im besten Fall abgebaut, im schlimmsten Fall entstehen schwere Erkrankungen.

    "Seit langem ist es das Hauptziel der Strukturbiologie, die Beziehung zwischen Proteinstruktur und biologischer Funktion zu verstehen", sagte Prof. Janet M. Thornton, Direktorin des Europäischen Bioinformatischen Insti-tuts (EBI) in Hinxton bei Cambridge in Großbritannien, auf dem Berliner Kongress. Das Institut ist eine Außenstelle des Europäischen Molekularbiologischen Labors (EMBL) in Heidelberg. Prof. Thornton wies darauf hin, dass zwar die Abfolgen der Buchstaben der Gene (Gensequenz) bekannt sind, damit aber keineswegs ihre Funktion. "Es wird deshalb immer dringender, die Funktion zu erkennen. Daraus ergibt sich aber auch die Notwendigkeit, neue Analysetechniken zu entwickeln," sagte die Forscherin.

    "Die dreidimensionale Struktur eines Proteins birgt in sich viel mehr Informationen als die Abfolge der Aminosäuren", sagte Prof. Thornton weiter. Aminosäuren sind die Bausteine der Proteine. Ihre Sequenz (Abfolge) bestimmt die dreidimensionale Form und diese wiederum die Funktion eines Proteins. Prof. Thornton weiter: "Die Struktur - und das ist in diesem Stadium der Forschung das Wertvollste - sagt auch etwas über die verwandtschaftlichen Beziehungen von Proteinen, die sich im Laufe der Evolution herausgebildet haben, aus".

    Einteilung in Proteinfamilien
    Um die gigantische Aufgabe, alle Proteome zu entschlüsseln, überhaupt in Angriff nehmen zu können, haben die Proteinforscher zunächst alle bisher bekannten Proteine an Hand der vorliegenden Gensequenzen in Familien eingeteilt. Danach bestimmen sie von jeder dieser Familien die Struktur eines oder mehrerer Proteine. Daraus resultiert die Zielvorgabe 10 000 Proteine in zehn Jahren. Sie hoffen, dass es einmal möglich sein wird, aus der Gensequenz die Struktur eines Proteins vorhersagen zu können. Das hat der Forschungsrichtung die Bezeichnung "Structural Genomics" eingetragen, obwohl es nicht um die Erforschung von Genen, sondern Proteinen geht. Viele Forscher sprechen deshalb inzwischen von "Structural Proteomics", wie MDC-Forschungsgruppenleiter und Sprecher der europäischen Sektion der ISGO, Prof. Udo Heinemann, auf der Tagung erläuterte.

    Erforschung von Tropenkrankheiten
    In den USA gibt es beispielsweise ein Forschungsprogramm, das Proteinstrukturen von solchen Parasiten untersucht, die Millionen von Menschen in den Tropen mit Krankheiten wie Leishmaniasis, Afrikanische Schlafkrankheit, Chagas und Malaria bedrohen. Sprecher dieses Projekts, an dem sechs Forschungseinrichtungen in den USA beteiligt sind und das von den US-Gesundheitsinstituten (NIH) finanziert wird, ist der Niederländer Prof. Wim Hol von der Universität von Washington in Seattle. "Diese Krank-heitserreger sind nicht nur von größter medizinischer Bedeutung, sie besetzten sozusagen auch eine Nische in der Evolution. Wir vermuten deshalb, dass die Proteine dieser Erreger einzigartige Merkmale haben müssen", sagte er in Berlin.

    Röntgenstrukturanalyse und Kernresonanzspektroskopie
    Doch allein auf die Gensequenzen verlassen sich die Proteinforscher nicht. Die beiden wichtigsten Techniken zur Erforschung der dreidimensionalen Struktur eines Eiweißmoleküls sind die Röntgenstrukturanalyse und die magnetische Kernresonanzspektroskopie, auch NMR-Strukturanalyse genannt.

    Strukturanalyse - statt Monate und Jahre nur noch wenige Tage

    In den vergangenen Jahren ist es gelungen, diese beiden Techniken so zu verbessern, dass die Forscher Proteine so schnell analysieren können wie nie zuvor. Benötigten sie vor Jahren noch Monate und manchmal Jahre, um die Struktur eines Proteins zu bestimmen, sind es jetzt oft nur wenige Tage. Ziel ist, diese Prozesse künftig zu automatisieren, wie in einer Fabrik. Die Forscher sprechen von Hochdurchsatztechniken. Diese Techniken be-schleunigen nicht nur die eigentliche Röntgen- oder NMR-Strukturanalyse, sondern vor allem auch die Herstellung der Proteinproben. Zu diesem Zweck werden häufig genetisch veränderte ("rekombinante") Bakterien- oder Hefezellen eingesetzt.

    Kristallzüchtung - nach wie vor aufwendig
    Kompliziert und außerordentlich zeitaufwendig ist nach wie vor die Züch-tung von Proteinkristallen. Sie werden für die Röntgenstrukturanalyse benötigt. Hinzu kommt, nicht jedes Protein lässt sich in Kristallform darstellen. Die Kernresonanzspektroskopie hingegen benötigt keine Kristalle. Sie kommt mit Proteinlösungen aus, die in ein starkes magnetisches Feld gelegt werden. Nachteil dieser Methode - sie kann nur verhältnismäßig kleine Proteine untersuchen.

    Prof. Chris Sander vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York/USA ist davon überzeugt, "dass es mit den in den Pilotprojekten entwickelten Techniken in der Produktionphase gelingen wird, einen hohen Durchsatz zu erreichen. Damit wird es auch möglicherweise völlig neue biologische Entdeckungen geben können", sagte er in Berlin. Die Firma von Prof. Steven Burley (Structural Genomix Inc., San Diego, USA) ist auf die Entdeckung von Zielstrukturen für die Medikamentenentwicklung spezialisiert. Er betonte auf der Berliner Tagung, dass sie die verschiedensten Untersuchungsmethoden einsetzt, um die Struktur- und Funktionsanalyse so effizient wie möglich zu machen.

    Was wird Millionen von Proteinstrukturen weiter sein?
    "Vielleicht", so sinnierte Prof. Hol in der Sonderausgabe von Nature zur Strukturbiologie, "wird es irgendwann in Zukunft einmal möglich sein, an Hand der Struktur eines winzigen Wirkstoffmoleküls vorherzusagen, ob es giftig für den Menschen sein wird. Dies mag Millionen von Proteinstrukturen, ein Trillionenfaches an Rechnerkapazität und 100 Jahre entfernt sein. Die Strukturbiologie wird bis dahin auf jeden Fall ein aufregendes Forschungsgebiet bleiben."

    Weitere Informationen erhalten Sie von
    Barbara Bachtler
    Pressestelle
    Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch
    Robert-Rössle-Str.10
    D-13125 Berlin
    Tel.: +49/30/9406-38 96
    Fax.:+49/30/9406-38 33
    e-mail:presse@mdc-berlin.de
    http://www.mdc-berlin.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Bauwesen / Architektur, Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
    überregional
    Personalia
    Deutsch


     

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