Bei Auswertung von Messdaten Fernwirkungen aufgedeckt – Vorwarnzeit kann auf bis zu 18 Monate gesteigert werden
In unregelmäßigen Abständen kommt es auf der Südhalbkugel etwa zur Weihnachtszeit zu einem Phänomen mit bisweilen katastrophalen Folgen: „El Niño“ (spanisch für Christkind) sorgt unter anderem für leere Fischernetzte, sturzbachartige Regenfälle, Dürren und Wirbelstürme. Kaum möglich war bislang eine zuverlässige Prognose dieses Ereignisses über längere Zeiträume hinweg. Ein methodischer Durchbruch in der „El Niño“-Vorhersage ist nun einem internationalen Forscherteam um die Gießener Physiker Prof. Dr. Armin Bunde und Josef Ludescher (Institut für Theoretische Physik der Justus-Liebig-Universität) gelungen. Die Ergebnisse erlauben es, den Prognose-Zeitraum erheblich zu verlängern – von bislang nur sechs Monaten auf zwölf bis 18 Monate – und gleichzeitig die Treffsicherheit der Warnungen vor „El Niño“ deutlich zu verbessern.
Das interdisziplinäre Team, zu dem auch Prof. Dr. Shlomo Havlin von der Bar Ilan Universität in Israel und Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber vom renommierten Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gehören, untersuchte mit Hilfe moderner Methoden aus der Statistischen Physik Zusammenhänge im Messnetz und spürte dabei verborgene Fernwirkungen auf. Die Ergebnisse werden in der aktuellen Ausgabe des renommierten Wissenschaftsmagazins „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht.
Seit den 1950er Jahren gibt es im tropischen Pazifik ein Messnetz zur Beobachtung von außergewöhnlichem Verhalten der Wasser- und Lufttemperatur. Das Messnetz besteht aus 14 Messpunkten auf der west-östlichen Zugbahn des „El Niño“ und 193 Punkten außerhalb der Zugbahn im Pazifk. Die Stärke der Fernwirkung zwischen den Temperaturschwankungen an zwei Messpunkten wird bestimmt durch ihren statistischen Zusammenhang. Die Methode der dynamischen Kreuzkorrelationsanalyse erlaubt es, echte Fernwirkungen von zufälligen Übereinstimmungen zu unterscheiden. Entsprechend einer internationalen Konvention spricht man von einer „El Niño“-Episode, wenn der Temperatur-Index mindestens fünf Monate lang um 0,5°C über dem Normalwert liegt. Die Forscher fanden nun heraus, dass schon im Jahr vor dem Ausbruch eines „El Niño“ die Fernwirkung zwischen den Messwerten inner- und außerhalb der Zugbahn deutlich stärker wird. Diesen Effekt nutzten sie für die Festlegung eines Prognose-Algorithmus.
Den Wissenschaftlern standen zuverlässige Messwerte aus dem Zeitraum zwischen Anfang 1950 und Ende 2011 zur Verfügung. Der Zeitabschnitt zwischen 1950 und 1980 diente ihnen als Lernphase für die Festlegung eines Algorithmus für die Bestimmung der Alarmschwellen. Mithilfe dieses Algorithmus konnten dann die „El Niño“-Ereignisse in der zweiten Periode prognostiziert und mit den tatsächlichen Ereignissen verglichen werden. So war es möglich, die Quote falscher Alarme auf unter zehn Prozent zu senken und 70 Prozent der „El Niño“-Ereignisse zutreffend zwölf bis 18 Monate vor ihrem Eintritt anzukündigen. Damit erweist sich die neue Methode als mehr als doppelt so gut wie die bisherigen Prognoseverfahren mit der gleichen Vorwarnzeit. Auch bei einem Prognosezeitraum von sechs Monaten schneidet die neue Methode deutlich besser ab.
Ein „El Niño“-Ereignis löst zunächst eine auffällige Erwärmung des Oberflächenwassers im Bereich der südamerikanischen Pazifikküste aus. Unmittelbare Folge: Die mit dem kalten Humboldt-Strom von Süden heranziehenden Fischschwärme meiden die peruanische Küste. Die Netze der Fischer bleiben leer. Weiter oben im Bergland von Peru und Ecuador kommt es zu sturzbachartigen Regenfällen, die den armen Bauern zu schaffen machen. Doch damit nicht genug. Auf der gesamten Südhalbkugel der Erde ändert sich das Wettergeschehen in auffälliger Weise: In Teilen Südamerikas, Indonesiens und Australiens kommt es zu ausgedehnten Dürreperioden, in der Karibik entstehen Wirbelstürme, über dem indischen Subkontinent ändert sich das Regime des Monsun, und selbst in Nordamerika und Europa sind die Auswirkungen von „El Niño“ noch in Form strengerer Winter spürbar, mit bisweilen katastrophalen Folgen: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts haben durch „El Niño“-Ereignisse ausgelöste Dürren in Brasilien, Indien und China zwischen 30 und 50 Millionen Todesopfer gefordert.
Wie unzuverlässig die „El Niño“-Prognosen bislang sind, zeigte sich erst vor wenigen Monaten: Im Sommer 2012 machten Klimawissenschaftler Anhaltspunkte für ein bevorstehendes starkes „El Niño“-Ereignis aus, das dann doch nicht eintraf. Erst kurz vor Weihnachten gab es Entwarnung. Die Peruaner standen also der noch immer größtenteils unverstandenen Naturerscheinung kaum weniger hilflos gegenüber als ihre Vorfahren, die versuchten, „El Niño“ mit magischen Beschwörungen beizukommen. Archäologen vermuten, dass die Kilometer großen Felszeichnungen in der südperuanischen Wüste etwas damit zu tun haben. Auf Magie möchten sich aber die heutigen Menschen nicht mehr verlassen. Sie möchten rechtzeitig und einigermaßen zuverlässig vor anrückendem Unheil gewarnt werden. Die neue Methode der Gießener Wissenschaftler scheint das zu gewährleisten: Lange vor der offiziellen Entwarnung konnte Prof. Bunde seinen Freunden versichern, dass kein „El Niño“ zu erwarten war.
Publikation:
Josef Ludescher, Avi Gozolchiani, Mikhail I. Bogachev, Armin Bunde, Shlomo Havlin und Hans Joachim Schellnhuber: Improved El Niño frorecasting by cooperativity detection, www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1309353110
Kontakt:
Prof. Dr. Armin Bunde
Institut für Theoretische Physik der Universität Gießen
Telefon: +49 641 99-33375, Mobil: +49 178 611 3955
http://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1309353110
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Meer / Klima, Physik / Astronomie, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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