Neurophysiologen warnen aber vor verfrühter Praxis-Anwendung
Darmstadt – Bei etwa jedem zweiten Patienten, der an chronischer Migräne leidet, und fast allen Menschen mit chronischem Clusterkopfschmerz versagen vorbeugende Medikamente. Helfen könnten neurophysiologische Verfahren, bei denen Elektroden Nerven an Kopf oder Hals stimulieren. Die Stimulation des Ganglion sphenopalatinum lindert so die Attacken bei fast 70 Prozent der Patienten mit chronischem Clusterkopfschmerz – das zeigen erste, noch kleine Untersuchungen.
Zwar kann jeder Chirurg das Stimulationsgerät implantieren. Experten der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN) warnen jedoch vor einer verfrühten Anwendung in der Praxis. Die optimale Stromstärke und mögliche Gefahren werden momentan bundesweit an sechs Orten in Langzeitstudien erforscht.
Chronische Migräne, ein täglicher für Stunden anhaltender Kopfschmerz auf dem Boden einer Migräne, oder chronischer Clusterkopfschmerz, der wiederkehrend und äußerst heftig in der Nähe jeweils eines Auges oder einer Schläfe auftritt, sind ein nicht so seltenes Phänomen. Mehr als jeder Zweihundertste in Deutschland leidet darunter. Bei jedem Zweiten mit chronischer Migräne schlagen vorbeugende Medikamente, Akupunktur oder Entspannungstechniken nicht an. „Menschen mit chronischen Clusterkopfschmerzen sprechen nur selten auf eine Prophylaxe an“, so der klinische Neurophysiologe Professor Dr. med. Dr. phil. Stefan Evers vom Universitätsklinikum Münster. Sie alle kommen für eine sogenannte Neuromodulation, also das Stimulieren von Nerven durch elektrische Impulse, infrage. Erste Studien sind vielversprechend.
Ein internationales Forscherteam entdeckte, dass Patienten mit Clusterkopfschmerz die Stimulation des Ganglion sphenopalatinum – eines Nervenknotens, der Nervenfasern zu Auge und Nase schickt – helfen kann. Die Wissenschaftler hatten 28 Betroffenen Elektroden in der Nähe dieses Nervenknotens hinter dem Kieferknochen implantiert. Wurden die Patienten dann von Kopfschmerzen heimgesucht, konnten sie mithilfe einer Fernbedienung die Elektroden anschalten. Die gezielte Nervenstimulation verringerte bei 19 der Patienten, also bei rund zwei Drittel, die Häufigkeit und/oder Stärke der Anfälle. Zu ähnlichen Ergebnissen führten Studien, bei denen Elektroden den Vagusnerv am Hals stimulierten. Ein chirurgischer Eingriff ist hierbei nicht notwendig. Dieses Verfahren ist in den USA bereits zur Behandlung schwerer, medikamentenresistenter Depressionen zugelassen. In Deutschland besitzt der Stimulator hierfür keine CE-Kennzeichnung und sollte daher in der Praxis noch nicht angewendet werden.
Trotz der vielversprechenden Ergebnisse raten DGKN-Experten wie Evers zu Geduld: „Stimulationsverfahren gegen Kopfschmerzerkrankungen sollten momentan ausschließlich in Studien untersucht werden“, betont er. Wirksamkeit und potenzielle Gefahren seien noch nicht genügend erforscht. Evers nimmt an zwei Langzeitstudien mit insgesamt rund 100 Patienten teil, die die Stimulation des Ganglion sphenopalatinum und des Vagusnervs bei chronischen Clusterkopfschmerzen und chronischer Migräne untersuchen. „Mit ersten Empfehlungen zur genauen Platzierung der Elektroden und zur optimalen Stromstärke rechnen wir in etwa einem Jahr“, schätzt der DGKN-Experte. Erst dann sollten neuromodulatorische Verfahren Kopfschmerzpatienten, denen keine andere Therapie hilft, auch in der Praxis angeboten werden.
Quellen:
Cephalalgia 2013, Jean Schoenen et al.: “Stimulation of the sphenopalatine ganglion (SPG) for cluster headache treatment. Pathway CH-1: A randomized, sham-controlled study”
Cephalalgia 2012, Tim P Jürgens, Massimo Leone: “Pearls and pitfalls: Neurostimulation in headache”
Der Nervenarzt 2012, 83:1600–1608, A. Straube et al.: „Therapie und Versorgung bei chronischer Migräne“
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