Osteuropa-Historiker von der Universität Jena gibt Buch über das Verhältnis zwischen polnischem Adel und zarischem Staat heraus
Ein Pole als Außenminister des russischen Zarenreichs? Was angesichts des – nahezu traditionellen – schlechten Verhältnisses zwischen den beiden Ländern absurd klingt, war dennoch von 1804 an eine Tatsache. Der polnische Adlige Adam Jerzy Czartoryski kam 1794 nach dem Scheitern des Kościuszko-Aufstandes als Geisel an den russischen Zarenhof. Dort freundete er sich mit dem Zaren Alexander I. an und wurde später dessen Außenminister.
„Die Geschichte der polnischen Teilungen kann nicht ausschließlich als eine Geschichte von Konflikten gedeutet werden“, sagt Dr. Jörg Ganzenmüller von der Universität Jena. Der Osteuropa-Historiker hat das spannungsvolle Verhältnis Russlands und Polens in der Zeit von 1770 bis 1850 untersucht. Damals sei ein autokratisch regiertes Zarenreich auf eine ständisch verfasste Wahlmonarchie gestoßen. „Einer starken Adelsschicht stand in Polen ein schwacher Herrscher gegenüber“, sagt Ganzenmüller. Als nun das Königreich Polen unter russische Herrschaft geriet, ergriffen polnische Adlige die Chance, im Zarenreich Karriere zu machen. Zudem hat Ganzenmüller festgestellt, dass die Zaren zunächst keine Russifizierungspolitik betrieben haben. „Die Zeichen standen auf Kooperation“, sagt der Osteuropa-Historiker von der Universität Jena. Ein Grund dafür sei wohl das russische Bestreben gewesen, den eigenen Staat zu modernisieren. In gewissem Maße konnte Polen dabei als Vorbild dienen.
Über dieses spannende Verhältnis zweier höchst unterschiedlicher europäischer Staaten hat Ganzenmüller ein Buch geschrieben: „Russische Staatsgewalt und polnischer Adel.“ Die gerade erschienene Publikation trägt den Untertitel „Elitenintegration und Staatsausbau im Westen des Zarenreiches (1772-1850).“ Ganzenmüller stützt sich auf Akten in Moskauer und St. Petersburger Archiven. Außerdem wertete er Unterlagen aus, die in Minsk, Kiew und dem litauischen Vilnius aufbewahrt werden. Die Quellen seien lückenhaft, was besonders an zahlreichen Kriegsverlusten liege, schätzt Ganzenmüller ein. Der Feldzug Napoleons, der Erste und der Zweite Weltkrieg haben ihre Spuren hinterlassen.
Viele Archivalien hat Jörg Ganzenmüller als Erster gesichtet. „Bis zum Ende der Sowjetunion war diese Zeit für die meisten Historiker tabu“, sagt er. Ursächlich dafür war wohl vorrangig die Tatsache, dass die erforschten Gebiete weitgehend mit den Territorien übereinstimmten, die im Hitler-Stalin-Pakt an die Sowjetunion gefallen waren. In früherer Zeit boten diese Ostgebiete Polens jedoch den polnischen Eliten große Aufstiegschancen. Am besten hat sie wohl Adam Jerzy Czartoryski nutzen können.
Bibliographische Angaben:
Jörg Ganzenmüller: „Russische Staatsgewalt und polnischer Adel. Elitenintegration und Staatsausbau im Westen des Zarenreiches (1772-1850)“, Böhlau Verlag, Köln 2013, 425 Seiten, 59,90 Euro, ISBN: 978-3-412-20944-5.
Kontakt:
Dr. Jörg Ganzenmüller
Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Fürstengraben 13, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944463
E-Mail: Joerg.Ganzenmueller[at]uni-jena.de
Das Cover der neuen Publikation.
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Geschichte / Archäologie
überregional
Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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