idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
07.08.2013 19:00

Bewegungsschichten im Gehirn: Neurobiologen entdecken elementare Bewegungsdetektoren in der Fliege

Dr. Stefanie Merker Presse und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Neurobiologie

    Seit über 50 Jahren sagt ein mathematisches Modell präzise voraus, wie der elementare Bewegungsdetektor im Gehirn aufgebaut sein müsste. Welche Nervenzellen dazu jedoch wie verschaltet sind, das blieb ein Rätsel. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried sind nun diesem "Heiligen Gral der Fliegenforschung" einen entscheidenden Schritt näher gekommen: Sie fanden die Ausgangszellen des elementaren Bewegungsdetektors im Fliegenhirn. Die in "Nature" publizierten Ergebnisse zeigen, dass das Gesehene zunächst in zwei separate Verarbeitungsbahnen aufgetrennt wird. Bewegungen werden dann innerhalb dieser Bahnen nach ihrer Richtung sortiert und weiterverarbeitet.

    Vor beinahe 100 Jahren warf der berühmte Neuroanatom Ramón y Cajal einen Blick ins Fliegengehirn und entdeckte dort eine Reihe von Zellen, die er als "merkwürdige Elemente mit zwei Büscheln" beschrieb. Etwa 50 Jahre später postulierte der deutsche Physiker Werner Reichardt aufgrund seiner Verhaltensexperimente an Fliegen die Existenz sogenannter "elementarer Bewegungs-detektoren". Diese Detektoren vergleichen an jedem Punkt im Blickfeld die Helligkeitsänderungen zwischen zwei benachbarten Facetten des Fliegenauges. Daraus wird dann die Richtung einer lokalen Bewegung errechnet. Soweit die Theorie. Seitdem spekuliert die Gemeinde der Fliegen-forscher, ob die von Cajal beschriebenen "Büschel-Zellen" diese mysteriösen elementaren Bewegungs-detektoren sind.

    Die Antwort auf diese Frage ließ lange auf sich warten, denn die Büschel-Zellen sind extrem klein. Viel zu klein, um sie mit einer Elektrode anzustechen und ihre elektrischen Signale einzufangen. Nun gelang Alexander Borst und seinen Mitarbeitern vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie der Durchbruch mit Hilfe eines Kalzium-Indikators. Diese fluoreszierenden Proteine werden von den Nervenzellen selbst gebildet und ändern ihre Helligkeit, wenn die Zelle aktiv ist. So war es den Wissenschaftlern endlich möglich, die Aktivität der Büschel-Zellen unter dem Mikroskop zu sehen und zu messen. Die Ergebnisse belegen, dass diese Zellen tatsächlich die von Werner Reichardt vorhergesagten elementaren Bewegungsdetektoren sind.

    Wie weitere Experimente zeigten, lassen sich die Büschel-Zellen in zwei Gruppen aufteilen: Die eine Gruppe (T4-Zellen) reagiert nur auf einen bewegten Übergang von dunkel zu hell, die andere Gruppe (T5-Zellen) wird umgekehrt nur bei Hell-Dunkel-Kanten aktiv. Innerhalb jeder Gruppe gibt es vier Untergruppen, die jeweils nur auf Bewegungen in eine bestimmte Richtung ansprechen – nach rechts, links, aufwärts oder abwärts. Die Nervenzellen dieser richtungsselektiven Gruppen geben ihre Informationen in sauber voneinander getrennte Schichten des nachfolgenden Nervengewebes ab. Die hier ansässigen großen Nervenzellen nutzen diese Signale dann zur visuellen Kurssteuerung und geben zum Beispiel entsprechend Befehle an die Flugmuskulatur weiter. Letzteres konnten die Wissenschaftler eindrucksvoll belegen: Blockierten sie die T4-Zellen, so waren sowohl die nachgeschalteten Nervenzellen als auch die Fliegen in Verhaltenstests blind für Bewegungen von Dunkel-Hell-Kanten. Beim Blockieren von T5-Zellen wurden Hell-Dunkel-Kanten nicht mehr wahrgenommen.

    Im Gespräch über ihre gerade im Fachjournal Nature erschienenen Forschungsergebnisse zeigten sich die beiden Erstautoren der Studie, Matt Maisak und Jürgen Haag, sehr beeindruckt von der „säuberlich aufgedröselten“ aber „hoch geordneten“ Bewegungsinformation im Fliegengehirn. Alexander Borst, der Leiter der Studie, fügt hinzu: „Das war echtes Teamwork – fast alle Mitarbeiter meiner Abteilung waren an den Experimenten beteiligt: Die eine Gruppe machte die Kalzium-Messungen, die andere die Elektrophysiologie, eine dritte die Verhaltensmessungen. Alle zogen an einem Strang. Das war eine wunderbare Erfahrung.“ Ähnlich soll es weitergehen, denn die Wissenschaftler wenden sich schon der nächsten Mammutaufgabe zu: Nun wollen sie die Nervenzellen identifizieren, die die Eingangssignale für die elementaren Bewegungsdetektoren liefern. Laut Reichardt müssen hier die beiden Signale, die von benachbarten Facetten des Auges kommen, zeitlich gegeneinander verzögert sein. „Das wird jetzt wirklich spannend!“, so Alexander Borst.

    Originalveröffentlichung:
    Matthew S Maisak, Jürgen Haag, Georg Ammer, Etienne Serbe, Matthias Meier, Aljoscha Leonhardt, Tabea Schilling, Armin Bahl, Gerald Rubin, Aljoscha Nern, Barry Dickson, Dierk F Reiff, Elisabeth Hopp, Alexander Borst
    Directional tuning and layer-specific projection of elementary motion detectors in Drosophila
    Nature, 8. August 2013

    Kontakt:
    Prof. Dr. Alexander Borst
    Abteilung Schaltkreise – Information – Modelle
    Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
    Tel.: 089 8578 3251
    Email: bost@neuro.mpg.de


    Weitere Informationen:

    http://www.neuro.mpg.de - Webseite des MPI für Neurobiologie
    http://www.neuro.mpg.de/borst - Webseite der Abteilung von Prof. Alexander Borst


    Bilder

    Im Fliegenhirn filtern bestimmte Nervenzellen die Richtungsinformation einer Bewegung heraus und leiten diese in sauber getrennte Schichten des Gehirns weiter.
    Im Fliegenhirn filtern bestimmte Nervenzellen die Richtungsinformation einer Bewegung heraus und l ...
    MPI für Neurobiologie / Borst
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Informationstechnik, Mathematik
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Im Fliegenhirn filtern bestimmte Nervenzellen die Richtungsinformation einer Bewegung heraus und leiten diese in sauber getrennte Schichten des Gehirns weiter.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).