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23.10.2002 14:49

Echolos? Klangwelten verfolgter Musikerinnen in der NS-Zeit

Dr. Gerhard Trott Medien und News
Universität Bielefeld

    Man nennt sie "verfemte Musik", auch "vergessene Musik", man wiederholt - in Anführungsstrichen - den entsetzlichen Begriff der "entarteten Musik", den die Düsseldorfer NS-Ausstellung von 1938 dieser Musik anheftete. Unter dem Thema "Echolos? Klangwelten verfolgter Musikerinnen in der NS-Zeit" wird die Arbeitsgemeinschaft "Frauen im Exil" der "Gesellschaft für Exilforschung" in Zusammenarbeit mit dem Oberstufen-Kolleg an der Universität Bielefeld und dem Wiener Orpheus-Trust vom 1. bis 3. November im Oberstufen-Kolleg ihre 12. Jahrestagung zum Thema der Entrechtung, Vertreibung und Ermordung von Musikerinnen in der NS-Zeit durchführen.

    Erst seit ca. zwanzig Jahren wird in der etablierten Musikwissenschaft die riesige Zahl von ausgegrenzten, verfolgten, ermordeten Künstlern, Musikern und Komponisten während der NS-Zeit und ihr Exil-Schicksal thematisiert und erforscht allerdings gilt das Interesse fast ausschließlich den Männern unter ihnen. Deshalb kommt dieser Tagung eine besondere Bedeutung zu. Die Veranstalter wollen in einem dreitägigen Symposion anhand von vielfältigen Referaten, Dokumenten und zweier Abendveranstaltungen zu Unrecht vergessenen Musikerinnen ein Forum bieten. Als Leitfigur dient das Schicksal der im Berlin der Zwanziger Jahre berühmten und erfolgreichen Kabarettistin und Chansonniere Dora Gerson (ein Foto ist im Internet abrufbar unter: www.uni-bielefeld.de | Aktuelles | Aktuelle Pressemitteilungen | Pressemitteilung Nr. 144/2002). Aufgrund ihres jüdischen Glaubens verfolgt, floh sie 1936 in die Niederlande. Sie versuchte 1942 mit ihrer Familie in die Schweiz zu entkommen. Die Familie wurde gefasst und nach Auschwitz deportiert. Am 14. Februar 1943 wurde Dora Gerson in Auschwitz ermordet. Sie ist eine der Musikerinnen, an die der Bielefelder Künstler Jürgen Heckmanns in seiner Installation "Erinnern und Vergessen", die während der drei Tage im Oberstufen-Kolleg zu sehen sein wird, erinnert.

    Für die Tagung gilt, dass verfolgte Musikerinnen als Exilierte im weitesten Sinn aufgefasst werden: das Exil wird nicht abgetrennt von Widerstand, Verfolgung und Deportation. Auch innere Emigration und Musikausübung in Internierungslagern sowie die Veranstaltungen des Jüdischen Kulturbundes gehören in den Forschungsrahmen.

    Das Thema der verfolgten Musikerinnen in der NS-Zeit ist auch ein ostwestfälisches Thema. Was wissen Bielefelder über die berühmte Detmolder Komponistin Ilse Fromm-Michaels, die aufgrund ihrer Ehe mit einem jüdischen Juristen ab 1933 aus dem deutschen Konzertleben verbannt wurde? Wer kennt das Schicksal der Bielefelder Pianistin Claire Weiss, der Instrumentallehrerin Thea Goldstein aus Werther, der Sängerin Minni Rapport aus Münster und vieler anderer mehr? Sie alle sind in dem von der NSDAP-Reichsleitung im Jahre 1940 herausgegebenen "Lexikon der Juden in der Musik" genannt und diffamiert worden. Und das bedeutete Verfolgung, Berufsverbot und - wenn die Flucht in das Exil nicht gelang - Ermordung.

    Die Tagung wird begleitet von zwei hochkarätigen kulturellen Veranstaltungen: Der Autor und Regisseur vieler Theater-Revuen Volker Kühn bringt am 1. November (20.00 Uhr) mit seinem Berliner Ensemble unter dem Titel "'Zores haben wir genug...' Galgenhumor am Abgrund. Kabarettistisches im Jüdischen Kulturbund" Ausschnitte aus dem Programm des Jüdischen Kulturbundes, die später auch im Konzentrationslager Westerbork gespielt wurden. Hochkarätige Schauspieler des Deutschen Theaters Berlin wie Petra Hartung, Bernd Stempel und Cathlen Gawlich gehören zu seinem Ensemble. Sie werden die Texte vortragen. Die Musiker Dragan Lawford und Uwe Hilprecht als musikalischer Leiter des Deutschen Theaters Berlin werden sie begleiten. Am 2. November (20.00 Uhr) stellt das Ensemble Horizonte (Detmold) auch heute noch viel zu selten gehörte Werke von Charlotte Schlesinger, Ursula Mamlok, Felicitas Kukuck, Ilse Fromm-Michaels und Pia Gilbert vor. Das Ensemble Horizonte hat sich in der Vergangenheit mit der Verbreitung dieser ?vergessenen Musikerinnen und Musiker? einen hervorragenden Namen gemacht. Dieses Konzert wurde nur durch die Hilfe der Bielefelder Hanns-Bisegger-Stiftung möglich.

    Tagungsprogramm im Überblick:

    Freitag, 1. November, ab 16.30 Uhr - Begrüßung und Einführung in den Themenkomplex der Tagung. Überblicke zum Stand der musikwissenschaftlichen Exilforschung, mit Claudia Maurer-Zenck (Hamburg), Peri Arndt (Hamburg), Constanze Holze (Frankfurt a.M.).

    20.00 Uhr: "...Zores haben wir genug" - Galgenhumor am Abgrund: Kabarettitisches im Jüdischen Kulturbund. Zusammenstellung und Leitung: Volker Kühn (Berlin) und Ensemble.

    Sonnabend, 2. November, ab 9.30 Uhr: Verfolgte Musikerinnen im NS-Herrschaftsbereich - Fallstudien, mit Gabriele Knapp (Berlin), Volker Kühn (Berlin), Maria Kublitz-Kramer (Bielefeld).

    Musikerinnen im Exil, mit Charmian Brinson (London), Barbara von der Lühe (Berlin), Willem de Vries (Amsterdam), Maren Köster (Krakow), Anna-Christine Rhode-Jüchtern (Bielefeld), Primavera Gruber (Wien).

    20.00 Uhr: Konzert mit dem Ensemble "Horizonte" (Detmold): Werke von Charlotte Schlesinger, Felicitas Kukuck, Ilse Fromm-Michaels, Ursula Mamlok, Pia Gilbert.

    Sonntag, 3. November, ab 9.30 Uhr: Die Detmolder Komponistin Ilse Fromm-Michaels; Gesprächskonzert mit Babette Dorn. Podiumsdiskussion zum Thema: Echolos? Zur Zukunft musikwissenschaftlicher Frauenexilforschung. Moderation: Barbara von der Lühe (Berlin); mit Claudia Maurer-Zenck (Hamburg), Bettina Brand (Berlin), Constanze Holze (Frankfurt a.M.), Primavera Gruber (Wien).

    Weitere Informationen: AG Frauen im Exil, Oberstufen-Kolleg an der Universität Bielefeld, Dr. Anna-Christine Rhode-Jüchtern, Dr. Maria Kublitz-Kramer, Universitätsstraße 23, 33615 Bielefeld, Telefon 0521/106 2801; Fax: 0521/106 2967, E-Mail: rhode-juechtern@t-online.de.

    Pressemitteilung Nr.145/2002
    Universität Bielefeld
    Informations- und Pressestelle
    Leiter: Dr. Gerhard Trott
    Telefon: 0521/106-4145/4146
    Fax: 0521/106-2964
    E-Mail: gerhard.trott@uni-bielefeld.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Kunst / Design, Musik / Theater
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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