Nach dem Euro-Gipfel: Perspektiven der Europäischen Währungsunion
In einem Streitgespräch am 5. Mai 1998, 18.00 Uhr, im HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung-Hamburg diskutierten Frau Prof. Dr. Theresia Theurl von der Westfälischen Wilhelms-Universität, Münster, und Frau Christa Randzio-Plath, Mitglied des Europäischen Parlaments, über das Thema "Nach dem Euro Gipfel: Perspektiven der Europäischen Währungsunion".
Nachdem feststeht, daß 11 Kandidaten am 1.1.1999 die WWU beginnen, sind für Christa Randzio-Plath folgende Themen relevant:
Wechselkursstabilität in der "Interimsphase" (von Anfang Mai 98 bis Ende 98)
Viele Befürchtungen betreffen die Gefahr möglicher Wechselkursturbulenzen in der sogenannten Interimsphase, in der die WWU-Entscheidung noch von den Märkten "getestet" werden kann. Die Entwicklung der langfristigen Zinsen spricht jedoch eindeutig für eine positive Meinung der Märkte für die WWU. Selbst im Fall eines exogenen Schocks, wie der Asienkrise, hat sich gezeigt, daß die Märkte die Wechselkursrelationen in Europa als dauerhaft einschätzen.
Am 3. Mai sollen bereits die bilateralen Wechselkurse der Währungen in der Währungsunion zur Beruhigung der Erwartungen der Finanzmärkte angekündigt werden. So kann ein hohes Maß an Transparenz, Kontinuität und Sicherheit erreicht werden. Allgemein wird erwartet, daß die am 3. Mai vom Ecofin festgelegten bilateralen Umrechnungskurse den bereits im EWS verwendeten bilateralen Leitkursen entsprechen werden. Die Marktkurse für die teilnehmenden Währungen werden aufgrund dieser Transparenz im weiteren Verlauf des Jahres 1998 nur noch geringfügig von den Umrechnungskursen abweichen und zum Jahresende mit diesen übereinstimmen.
Weitere Politikkoordinierung auf europäischer Ebene wird gebraucht - zugunsten von Beschäftigung
Die WWU bietet eine einmalige Chance für Europa. Wenn wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen und die Herausforderungen des weltweiten Wettbewerbs durch die Globalisierung bestehen wollen, ohne das europäische soziale Gesellschaftsmodell zu opfern, geht kein Weg an der weiteren europäischen Einigung vorbei. Diese muß auch eine verstärkte Koordinierung der Finanz- und Wirtschaftspolitiken sowie darüber hinaus eine verstärkte Steuerharmonisierung umfassen. Es ist notwendig, jetzt - zusammen mit der Einführung des Euro - die richtigen Weichenstellungen für die Politikkoordinierung auf europäischer Ebene vorzunehmen.
Die WWU bietet die Chance für eine Politik für mehr Beschäftigung. Ein ausgewogener "Policy-Mix" und dauerhafte Konvergenz und Währungsstabilität sind die Grundlagen für eine beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik. Die Beschlüsse des Europäischen Rates von Luxemburg zur Verstärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung und Umsteuerung von passiver zu aktiver Arbeitsmarktpolitik sehen vor, strukturelle Hemmnisse, z.B. unzweckmäßige steuerrechtliche Regelungen oder ungerechtfertigte Subventionen, frühzeitig auszuhebeln.
Steuerangleichung
Die für die Entfaltung der Vorteile des Euro notwendige Integration der Märkte braucht einen fairen Wettbewerb. Von besonderer Bedeutung sind hier die indirekte Besteuerung und die Besteuerung von Kapitaleinkommen, aber auch die Angleichung der Unternehmenssteuern. Die Fortschritte bei den bisherigen Versuchen einer Steuerharmonisierung im Binnenmarkt waren unbefriedigend, und es bestehen nach wie vor erhebliche Unterschiede zwischen den EU-Ländern bei der indirekten Besteuerung, bei der Besteuerung von Kapitalerträgen sowie bei der Unternehmens- und Einkommensbesteuerung sowohl hinsichtlich der Systeme als auch der Steuersätze. Diese Entwicklung hat zu dem nicht binnenmarktkonformen ruinösen "Steuerwettbewerb" geführt. Der steuerliche Verhaltenskodex der EU ist eine erste Antwort darauf, um gezieltes "Steuerdumping", z.B. durch extreme Steuererleichterungen für ausländische Investoren, zu verhindern. Steueroasen müssen verboten werden. Solche Regelungen in Form eines Kodex werden auf Dauer für einen Binnenmarkt ohne Wettbewerbsverzerrungen nicht ausreichen. Die weitere Entwicklung wird zeigen, daß in der Euro-Zone - ähnlich wie bei der wirtschaftspolitischen Koordinierung - eine verbindliche Regelung im steuer- und wirtschaftspolitischen Bereich nötig ist. Notwendig werden vor allem EU-weite einheitliche Definitionen im Steuerrecht z.B. in bezug auf die Steuerpflichtigkeit, den Gewinnbegriff und Abschreibungmöglichkeiten.
Dagegen vertrat Frau Prof. Dr. Theurl folgenden Thesen:
- Die Konvergenz- und Stabilitätsfortschritte bei den Inflationsraten, Zinssätzen und Wechselkursen -sind überzeugend. Nach wie vor aber besteht keine Konvergenz im "EURO-Weltbild" der Europäischen Union. Zwei konkurrierende Modelle existieren.
- Das erste relativiert die Geldwertstabilität. Unionen zur Absicherung der Währungsunion (Beschäftigungsunion, Sozialunion, Wirtschaftspolitische Union) werden auf die Tagesordnung gebracht, weil davon ausgegangen wird, daß der Geldwert ohnehin sichergestellt sei oder weil deflationäre Effekte der Währungsunion geortet werden oder weil realwirtschaftlichen Zielsetzungen Priorität eingeräumt wird. Das zweite EURO-Weltbild hingegen sieht Geldwertstabilität - oder allgemein stabile monetäre Rahmenbedingungen -als Vorleistung für eine positive realwirtschaftliche Entwicklung.
- Die Währungsunion der ELF umfaßt Mitglieder, die heterogener sind als es die Konvergenzkriterien zum Ausdruck bringen und die sich in ihren Erwartungen an den EURO unterscheiden. Es muß also auf Anpassungsprozesse nach dem Start vertraut werden.
- Als Erfolgsbedingungen für eine funktionsfähige Währungsunion werden heute - je nach EURO-Weltbild - Formen einer weitergehenden wirtschaftspolitischen Koordination auf europäischer Ebene oder ordnungspolitische Reformen zur Stärkung der binnenwirtschaftlichen Anpassungskapazitäten der Mitgliedstaaten hervorgehoben.
- Entpolisiertes Geld bedingt ein neues Zusammenspiel zwischen Geldwesen und Realwirtschaft. Erwartungsstabilisierende monetäre Rahmenbedingungen können gewonnen werden. Binnenwirtschaftliche Flexibilität in Form von funktionierenden Güter- und Faktormärkten muß dafür gewährleistet werden. Damit sind verteilungs- und sozialpolitische Konsequenzen verbunden.
- Eine "ordnungspolitische Union" wird damit zur unabdingbaren Erfolgsvoraussetzungen für eine dauerhafte Währungsunion mit einem Geld, das positiver Standortfaktor sein kann. Sie ermöglicht die Verwirklichung der Größen- und Qualitätsvorteile einer gemeinsamen Währung, die nicht isoliert durch den bloßen Übergang in die Währungsunion zufallen. Die weitreichenden Veränderungen sind im nationalen politischen Prozeß zu vereinbaren und umzusetzen.
- Sowohl Regelungen, die bisher das Verhalten von Wirtschaftssubjekten, Interessengruppen und Wirtschaftspolitik determiniert haben, als auch Anreize, die durch die Währungsunion neu entstehen, sind in der Lage, den Versuch der Entpolitisierung des Geldes zu konterkarieren. Wirtschaftspolitische Koordination auf EU-Ebene ist dann zu begrüßen, wenn es sich um die Vereinbarung von Spielregeln und ordnungspolitische Maßnahmen handelt.
Hamburg, 05.05.1998 Telefon 040 35 62 354
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Wirtschaft
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