idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
31.10.2002 00:00

Mehr Freiheit für den Rothirsch

Sven Holst Kommunikation
Deutsche Wildtier Stiftung

    Deutsche Wildtier Stiftung: "Heimische Großwildart ist mehr als eine Jagdtrophäe" / Vermeintlicher "König des Waldes" muss wieder wandern und Offenland besiedeln dürfen / Abgestimmte Rotwildpolitik erforderlich / Verschrecktes Rotwild erlebbar machen / Appell aus Anlass des Hubertus-Jagdfestes am kommenden Sonntag

    Hamburg, 31.10.2002 - Ein neues Verständnis vom Rothirsch, mehr artgerechten Freiraum für Deutschlands größte Wildart und eine reformierte Rotwild-Politik hat die Deutsche Wildtier Stiftung gefordert. "Der vermeintliche König des Waldes braucht einen neuen Thron", sagte Haymo G. Rethwisch, Vorstand der Stiftung, am Donnerstag in Hamburg. "Wir müssen ihn wieder dort leben lassen, wo er das am liebsten tun würde - im Halboffenland und in naturnahen Talauen." Mit Blick auf den Hubertus-Tag am 3. November, einen Festtag der Jäger, rief der Stifter dazu auf, den Rothirsch nicht länger als Waldschädling abzustempeln oder vor allem als Träger imposanter Geweihe fürs Kaminzimmer zu betrachten. "Von Natur aus ist der Rothirsch keineswegs der große, braune Rindenfresser, der unsere Wälder ruiniert; er gestaltet die Landschaft allenfalls mit", sagte Rethwisch. Der Mensch habe die heimische Großwildart in dichte Forsten abgeschoben, wo sie notgedrungen manchen Fraßschaden anrichtet. So lasse sich auch der scheinbare Widerspruch erklären, dass Rotwild hier zur Plage, dort zur kaum bekannten Tierart geworden sei, die niemand mehr zu Gesicht bekomme. Auswege aus dem Misstand sieht die Deutsche Wildtier Stiftung in einer konzertierten Rotwild-Politik, die Aspekte der Agrar- und Forstpolitik ebenso einschließen müsse wie eine wildtierorientierte Raumplanung und eine ökologisch sinnvolle Jagd. Unerlässlich seien zudem ein geschickt geknüpfter Biotop-Verbund und eine vernetzte Rotwild-Forschung, die der emotional aufgeheizten Fachdebatte um den richtigen Umgang mit der Hirschart den Boden entziehe.

    Der Rothirsch gehört zu den letzten noch in freier Wildbahn vorkommenden Großwildarten in unserer dicht besiedelten und vielfach zerschnittenen Zivilisationslandschaft. "Ursprünglich besiedelte er offene und halboffene Landschaften, zum Beispiel locker bewaldete Talauen, die er in höheren Lagen gerne auch als Wintereinstände nutzt", sagt Haymo Rethwisch. Heftige Bejagung, vor allem aber der Verlust artgerechter, ruhiger Lebensräume haben den Rothirsch in dichtere Wälder abgedrängt. Von Natur aus ein Tagtier, bleibt er inzwischen tagsüber im Unterholz verborgen und wagt sich nur noch im Dunkeln auf Lichtungen, um zu äsen. "Daran sind der hohe Jagddruck auf landwirtschaftlich genutzten Flächen und die viel zu lange Jagdzeit über mindestens ein halbes Jahr von August bis Januar schuld", bemängelt Rethwisch. Die Rothirsche fühlten sich durch die Jagd so sehr gestört, dass sie in dichtere Wälder abwanderten. "Dort treten sie so massiert auf, dass sie mangels Alternative Baumschösslinge anknabbern und die Rinde großer Bäume abschälen", fügt der Stifter hinzu.

    Betroffen sind vor allem die 125 deutschen Rotwildgebiete, in denen der Großhirsch beispielsweise durch Wildfütterungen gehegt und jedes Jahr in bestimmter Stückzahl geschossen werden darf. "Dieses Rotwild-Land entspricht noch einem Fünftel des ehemaligen Lebensraumes der Hirsche", beklagt Rethwisch. Außerhalb davon wird der Rothirsch nicht geduldet - und meist sofort geschossen. "Dies wird sich erst ändern, wenn das Rotwild endlich auch außerhalb der Jägerschaft eine Lobby bekommt", sagt Rethwisch.

    Gefordert sei hier auch die oft zu kleinräumig denkende Raum- und Landesplanung in Deutschland. Denn das Rotwild will von Natur aus wandern, doch nur auf wenigen halbwegs intakten Fernwechseln kann es dies auch noch heute. Zunehmend verstellen eingezäunte Autobahnen und Schnellfahr-Strecken der Bahn, aber auch mit unüberwindlichen Spundwänden verbaute Kanäle und der staatlich geförderte Siedlungsbau den Hirschen den Weg. "Dabei müssten die voneinander isolierten Rotwild-Bestände ihren Wandertrieb nicht nur ausleben können, weil er zu ihrer Natur gehört, sondern auch, um Gene auszutauschen", sagt Rethwisch. Anders sei es unmöglich, diese Wildtierart auf Dauer gesund zu erhalten. Geeignete Routen für Fernwildwechsel müssten beim Verplanen der Landschaft ausgespart und durch zusätzliche Querungshilfen über Hindernisse geführt werden. Wildbrücken und -tunnel seien nach modernen wildbiologischen Erkenntnissen anzulegen. "Ohne regen Gen-Austausch wird der Rothirsch eines Tages sicher die Rote Liste bedrohter Tierarten bereichern", warnt Rethwisch.

    Freiraum für den Rothirsch im Offenland könnten seiner Ansicht nach stillgelegte Felder in der Nähe von Rotwild-Einständen bieten. Zurzeit würden in Deutschland rund 8000 Quadratkilometer nicht bewirtschaftet, mehr als die dreifache Fläche des Saarlandes. Ertragseinbußen von Landwirten auf ungenutzten oder rotwildgerecht gepflegten Flächen ließen sich aus den Agrar-Umweltprogrammen von Bund, Ländern und der EU bezahlen.

    Ohne öffentlichen Druck und die Sympathie der Bevölkerung indes hält der Stifter die Ziele seiner Stiftung nur für äußerst schwer erreichbar. Die wachsende Naturferne vieler Stadtmenschen und fehlendes Wissen über Wesen und Bedürfnisse unserer heimischen Wildtierarten haben den Durchschnittsbürger blind für die Not des Rotwildes gemacht. "Im Fernsehen lernt man zehnmal so viel über die häusliche Pflege von Hund und Katze als über Wildtiere wie den Rothirsch", sagt Rethwisch. Nicht zuletzt deshalb hielten viele Menschen Rehe für weibliche Hirsche. "Um dies zu ändern, müssen wir das Rotwild für Menschen wieder sichtbar und erlebbar machen", fordert der Wild-Experte - etwa so wie im Forschungsgut Klepelshagen in Vorpommern, wo im so genannten "Tal der Hirsche" größere Rudel von Hirschen im Offenland grasen. Der Rothirsch sollte als letzter Großsäuger in Mitteleuropa zum erwählten Lieblingstier der Deutschen werden" wünscht sich Rethwisch. Statt verlassene Truppenübungsplätze wie den künftigen Eifel-Nationalpark oder andere geschützte Grasländer mit rückgezüchteten Auerochsen, Wisenten oder Wildpferden zu beweiden, bestünde dort eine gute Chance, Rothirsche zu nutzen und so diese "phantastische Ressource" unseres Naturraumes Menschen näher zu bringen - in Freiheit statt im Wildpark mit seinen Futterautomaten. "Der Rothirsch gehöre "nicht auf die Rote Liste, sondern in die Herzen der Menschen". Dort hinein ließ sie auch der heilige Hubertus: Nachdem ihm ein Hirsch mit einem Kreuz zwischen den Geweihstangen erschienen war, bekehrte sich der wilde Jäger zu einem maßvollen Freund der Tiere und ist heute ein Patron der Jäger.

    Kontakt und weitere Informationen:
    Sven Holst, Geschäftsführer der Deutschen Wildtier-Stiftung, Tel.: 040 / 7333 9332, Fax: 040 / 733 0278, Mail: s.holst@dewist.de, Internet: www.DeutscheWildtierStiftung.de

    Hinweis: Ihr erstes Rotwild-Symposium hat die Deutsche Wildtier Stiftung im Frühsommer 2002 in Bonn unter dem Titel "Rotwild- ein fall für die Rote Liste?" veranstaltet. Den Tagungsband mit Vorträgen, Diskussionen und Ergebnissen kann zum Bezugspreis von 22,50 Euro per Internet oder E-mail bestellt werden unter: rotwildsymposium@dewist.de

    FOTOS auf Wunsch bei der Stiftung erhältlich.

    Steckbrief

    Der Rothirsch

    Die Schutzgemeinschaft deutsches Wild hat das Rotwild (Cervus elaphus) nach 1994 im Jahr 2002 erneut zum "Tier des Jahres" gekürt, da sich seine Situation inzwischen "eher noch verschlechtert" habe. Bei der größten in Deutschland heimischen Hirschart, bilden nur die männlichen Tiere (Hirsche) ein Geweih aus. Sie setzen die Stangen vor allem an den ersten kalten Herbstagen für Brunftkämpfe um Revier und Gunst der Hirschkühe ("Kahlwild", weil geweihlos) ein und werfen sie im Frühjahr ab. Hirsche erreichen eine Körperlänge von bis zu 2,5 Meter und werden bis zu 250 Kilo schwer. Das Fell des Rotwildes ist im Sommer rötlich, im Winter graubraun.
    Anders als Rehwild, das sommers ein ausgesprochener Einzelgänger ist, lebt Rotwild gerne in Rudeln. Junghirsche verlassen diese Verbände spätestens im dritten Lebensjahr.
    Früher besiedelte Rotwild offene oder halboffene Landschaften, also Steppen, locker bewaldete Talauen oder Grasländer, aber keine geschlossenen Wälder, in denen ein derart ausladendes Geweih sehr hinderlich gewesen wäre. Schon deshalb ist der Rothirsch nicht der viel besungene "König des Waldes". Erst die starke Raumkonkurrenz durch den Menschen, etwa durch Landwirtschaft und Jagd, haben den Wiederkäuer in die Wälder gedrängt, die er bei zu dichtem Besatz immer wieder schädigt.
    Etwa 130.000 Stück Rotwild soll es bundesweit geben. Doch diese Experten-Schätzung geht von einem wiederum geschätzten Geschlechterverhältnis und von einer gemittelten Vermehrungsrate aus und orientiert sich obendrein an den gemeldeten Abschüssen der Vorjahre.
    Geschossen wurden im Jagdjahr 2000/01 offiziell rund 53.000 Stück Rotwild (zum Vergleich: fast 1,1 Millionen Rehe). Wie viele es wirklich waren, weiß niemand. Denn die 340.000 deutschen Jäger müssen Rotwild-Abschüsse nicht körperlich nachweisen, etwa indem sie die abgetrennten Unterkiefer vorlegen. Nach Ansicht von Fachleuten verleitet dies dazu, fingierte Jagderfolge ("Postkarten-Abschüsse") zu melden, etwa weil der Jäger wiederholt den im Abschussplan vorgesehenen Hirsch nicht erlegt hat und nun Repressalien der Jagdbehörde befürchten muss, die auf einen Abschuss im nächsten Jahr dringt. Auch enthält die offizielle Zahl nicht die illegal erzielte Ausbeute.
    Übrigens hat auch die Eis-Mumie Ötzi kurz vor ihrem Tod vor 5300 Jahren noch Rotwildbret gegessen. Im Magen des Mannes aus der Jungsteinzeit fanden sich Reste der Mahlzeit.

    Kontakt und weitere Informationen:
    Sven Holst, Geschäftsführer der Deutschen Wildtier-Stiftung, Tel.: 040 / 7333 9332, Fax: 040 / 733 0278, Mail: s.holst@dewist.de, Internet: www.DeutscheWildtierStiftung.de


    Weitere Informationen:

    http://www.DeutscheWildtierStiftung.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Gesellschaft, Informationstechnik, Meer / Klima, Politik, Recht, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Organisatorisches
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).