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08.11.2002 14:27

Höchstleistung trotz Behinderung: TUD-Doktorand entwickelt Steuerungssystem für Elektrorollstühle

Sabine Gerbaulet Science Communication Centre - Abteilung Kommunikation
Technische Universität Darmstadt

    Eine Promotion mit Auszeichnung ist für sich schon etwas Besonderes. Wenn aber ein schwer körperbehinderter Doktorand mit dieser bestmöglichen Note promoviert, ist das außerordentlich: Torsten Felzer, auf einen Rollstuhl angewiesener Informatiker an der TU Darmstadt, hat seine Promotion am Fachbereich Informatik mit der bestmöglichen Note "mit Auszeichnung" bestanden.

    Als ihm mit fünfzehn Jahren gesagt wurde, dass er später einmal auf den Rollstuhl angewiesen sein würde, hat er sich auf Informatiker als Berufswunsch festgelegt und sich schon in der Schule durch überdurchschnittliche Leistungen hervorgetan. "Ich habe mich gefragt, welche Arbeit ich machen kann, ohne als bloßer Quotenerfüller eingestellt zu werden. Ich wollte einen guten Job, und dafür wollte und musste ich etwas tun. Computer und Programmieren haben mir immer großen Spaß gemacht. Ich hatte mir damals einen C64 gekauft und zunächst vor allem zum Spielen benutzt. Aber irgendwann habe ich angefangen, mehr und mehr zu programmieren", sagt Felzer. Sein Abitur hat Felzer mit der Traumnote 1,1 gemacht, und auch sein Informatik-Diplom mit Auszeichnung bestanden.

    Während seines Studiums hat er es sogar geschafft, für ein dreiviertel Jahr zum Studium an die University of Colorado at Boulder (USA) zu gehen, wo er als Master of Science (Computer Science) mit 1,0 abgeschlossen hat. Die größte Hürde dabei war die Finanzierung seiner Betreuung vor Ort, die schließlich im Wesentlichen vom Sozialamt Darmstadt übernommen wurde. Unterstützt wurde Felzer bei dem USA-Aufenthalt auch vom DAAD (Deutscher Akademischer Austausch Dienst), vom Landeswohlfahrtsverband Hessen und von den Freunden der TUD.

    In seiner Dissertation hat Dr.-Ing. Felzer Steuerungssysteme untersucht, die beispielsweise die Hirnaktivität eines Probanden in Form von EEG-Signalen analysieren und damit etwa einen Cursor auf einem Computerbildschirm bewegen. Dadurch bekommt der Proband die Möglichkeit, den Cursor durch gezielte Beeinflussung seiner Hirnströme willentlich zu lenken. In seiner Arbeit konnte Felzer zeigen, dass eine EEG-basierte Steuerung zwar funktioniert, aber nur, wenn der Proband sich nicht bewegt und sich ausschließlich auf die Steuerung konzentriert: Eine Steuerung etwa eines Elektrorollstuhls durch EEG-Signale scheint durch die unvermeidlichen Kompensationsbewegungen des Fahrers während der Fahrt unmöglich. Eine ruhig sitzende Person kann jedoch mit einem von Felzer entwickelten Softwarewerkzeug mit Hilfe von Hirnströmen über einen PC Aktionen auslösen.

    Felzer gelang es darüber hinaus, eine Rollstuhlsteuerung zu entwickeln, die statt auf EEG-Signale auf Muskelkontraktionen (EMG-Signale) anspricht. Da die dazu nötigen Kontraktionen von jedem beliebigen Muskel stammen können, ist damit eine Rollstuhlsteuerung etwa für Schwerstbehinderte möglich, die ihren Elektrorollstuhl dann z.B. mit einem bestimmten Gesichtsmuskel steuern könnten.

    Felzers Arbeit hat gleich drei Doktorväter: Angeregt zu seiner Arbeit wurde Felzer von dem Physiologen Prof. Dr. Kurt Offenloch von der Uniklinik Frankfurt, der ihn u.a. auch durch Bereitstellung von Geräten und Literaturhinweise unterstützt hat. Eigentliche Betreuer und Gutachter seiner Doktorarbeit waren Prof. Dr. Bernd Freisleben (Uni Marburg) und Prof. Dr. Peter Kammerer (TUD). EEG- und EMG-Geräte wurden Felzer von der Firma NeuroKard, die Hardware zur externen Ansteuerung der Rollstuhlelektronik von der Firma Invacare Deutschland kostenlos zur Verfügung gestellt.

    Seine Doktorarbeit hat Torsten Felzer seinem vor zwei Jahren im Alter von 22 Jahren an Herzversagen verstorbenen jüngeren Bruder Markus Felzer gewidmet, der wie er ebenfalls von FriedreichŽscher Ataxie betroffen war. FriedreichŽsche Ataxie ist eine selten auftretende Erbkrankheit, die sich meist erst in der Pubertät bemerkbar macht. Durch eine Störung der Nervenbahnen zwischen Muskeln und Kleinhirn wird letzteres nicht ausreichend mit Reizinformationen versorgt und bildet sich zurück, was die Bewegungsfähigkeit der Betroffenen herabsetzt und damit sekundär zwangsläufig eine Art Muskelschwund nach sich zieht. Damit sind Betroffene früher oder später auf den Rollstuhl angewiesen. Heilungsmöglichkeiten der fortschreitenden Krankheit gibt es derzeit nicht.

    Felzer, der aus der Nähe von Ingelheim (Rheinland-Pfalz) stammt, wollte in der Nähe seiner Eltern wohnen bleiben und hat sich für die TU Darmstadt entschieden, nachdem er sich die in Frage kommenden Universitäten Kaiserlautern und Darmstadt angeschaut hatte. Die Entscheidung hat er nicht bereut, denn mit der TUD hat Felzer durchweg gute Erfahrungen gemacht: Auf Ablehnung wegen seiner Behinderung ist er nach eigener Aussage nie gestoßen. Dass ihm aufgrund seiner Behinderung etwas nicht zugetraut worden wäre, ist ihm an der TUD nie passiert. Felzer über sein Studium in Darmstadt: "Ich bin sehr froh, dass ich an der TUD studiert habe. Die TUD bemüht sich sehr um die Integration Behinderter."

    Derzeit ist Felzer auf Arbeitssuche. Seine Idee, seine Entwicklung aus der Doktorarbeit bei einem Rollstuhl-Hersteller in die Praxis umzusetzen, hat sich zumindest bisher nicht verwirklichen lassen. Sein Hauptinteresse gilt aber weiter der Gestaltung von Mensch-Maschine-Schnittstellen. "Ich könnte mir sowohl eine Tätigkeit in der Wirtschaft als auch an einer Hochschule vorstellen", sagt er über seine Zukunftspläne. - Dr.-Ing. Torsten Felzer wird zweifellos auch diese Hürde meistern.

    Kontakt: Wolf Hertlein, Pressestelle TUD, T.: 06151/16-3229

    he, 8. November 2002, PM Nr. 9/11/02


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Informationstechnik, Maschinenbau
    überregional
    Personalia
    Deutsch


     

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