Elektrotherapie hilft bei Problemen mit der Wortfindung
Darmstadt – Fast jeder hat es schon einmal erlebt – der Begriff liegt einem auf der Zunge, kommt aber nicht heraus. Schwierigkeiten bei der Wortfindung sind typische Begleiterscheinungen des Alterungsprozesses, kommen aber auch nach einem Schlaganfall oft vor. Neurophysiologen könnten Betroffenen künftig mit einer Gleichstromtherapie helfen: Ein schwacher elektrischer Strom wird durch den Schädelknochen in das Gehirn geleitet. In Versuchen konnten Forscher dabei die Fehler in der Wortfindung um 30 Prozent senken, wie ein aktueller Beitrag aus in der „Klinischen Neurophysiologie“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart) berichtet.
Die Ergebnisse seien ein Hoffnungsschimmer für Menschen mit Sprachstörungen, wie etwa Aphasie, erklärt die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN). Eine Untersuchung für Aphasiker nach einem Schlaganfall sowie für Menschen mit leichten kognitiven Störungen ist in Arbeit. Es werden noch Teilnehmer in Berlin gesucht.
An der ersten Untersuchung zur Wortfindung im Jahr 2012 nahmen 20 gesunde junge Menschen teil. Die Wissenschaftler gaben ihnen sechs Kategorien vor, zum Beispiel Tiere, Obstsorten oder Sportarten, zu denen die Probanden jeweils zehn Beispiele nennen sollten. Eine Sitzung fand unter sogenannter transkranieller Gleichstromstimulation (tDCS) des Hirnareals statt, in dem sich das motorische Sprachzentrum befindet. Bei einer zweiten Sitzung wurde die Stimulation simuliert. Beide Male wurden die Aktivitäten im Gehirn mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) gemessen. Ergebnis: Während der Gleichstromstimulation unterliefen den Teilnehmern deutlich weniger Fehler als in der Plazebo-Situation. Außerdem reduzierte sich die Aktivität im stimulierten Hirnareal. „Dies könnte auf eine effizientere Verarbeitung ‘unter Strom’ hindeuten“, erklärt Professor Dr. med. Agnes Flöel, Oberärztin an der Klinik und Poliklinik für Neurologie an der Charité Berlin.
Eine zweite Studie, die im Sommer dieses Jahres veröffentlicht wurde, konnte die Ergebnisse untermauern: Hier verglichen die Forscher die Wortfindung bei 20 gesunden älteren Menschen mit und ohne Gleichstromstimulation; als Vergleichsgruppe dienten junge gesunde Personen. Die Tests ergaben, dass Ältere während der Stromtherapie ebenfalls bessere Resultate erzielten als ohne. Sie konnten ihre gegenüber jüngeren Probanden schlechtere Wortfindung sogar fast auf deren Niveau steigern. „Gerade für die Altersforschung ist unsere Arbeit damit von großer Bedeutung“, sagt die DGKN-Expertin Flöel und Leiterin beider Studien.
Aber auch Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen oder Aphasie-Patienten können von der Methode profitieren. In Deutschland leiden mindestens 100 000 Menschen an einer Aphasie, einer Sprachstörung als Folge einer Hirnschädigung. Einige vertauschen Wortlaute, lassen sie weg oder verwechseln Worte. Bei anderen schlagen sämtliche Bemühungen fehl, sich verbal zu äußern. Erste Studienhinweise liegen bereits vor, dass die tDCS auch hier die Funktionserholung verbessern könnte. In aktuell laufenden Studien untersuchen Professor Flöel und ihre Kollegen, ob die Gleichstrombehandlung die Benennung von Wörtern bei Betroffenen nach einem Schlaganfall oder bei Menschen mit leichten kognitiven Einschränkungen verbessert. „Bei der tDCS werden Elektroden an der Kopfhaut angebracht. Eine Operation ist nicht nötig, die Behandlung führt nur zu einem Kribbeln an der Kopfhaut und ist sehr gut verträglich“, ermuntert die DGKN-Expertin mögliche Probanden. Interessenten können sich an das Studientelefon 0160 96753557 oder die E-Mail robert.darkow@charite.de wenden.
Für die Studien zur transkraniellen Gleichstromstimulation zeichnete die DGKN die Autorin Dipl.-Psych. Daria Antonenko von der Klinik für Neurologie an der Charité Berlin im Jahr 2013 mit dem Niels-A.-Lassen-Preis, dem Bildgebungspreis für junge Wissenschaftler, aus. Er wird an Wissenschaftler bis zum 35. Lebensjahr verliehen und ist mit 3500 Euro dotiert.
Pressematerial/Fotos zur Bebilderung:
http://www.dgkn.de/die-dgkn/pressestelle/pressematerial/
Weitere Informationen zur laufenden Studie: http://neurologie.charite.de/forschung/arbeitsgruppen/kognition_altern_und_neuro...
Quellen:
Antonenko, D. Et al.: „Transkranielle Gleichstromstimulation verbessert kognitive Leistung und moduliert funktionelle Hirnaktivität und Konnektivität“, Klin Neurophysiol Sept. 2013
https://www.thieme-connect.com/ejournals/html/10.1055/s-0033-1347265
Meinzer, M. Et al.: „Anodal Transcranial Direct Current Stimulation Temporarily Reverses Age-Associated Cognitive Decline and Functional Brain Activity Changes“, Journal of Neuroscience, July 24, 2013; 33(30):12470–12478
Meinzer, M. Et al.: “Electrical Brain Stimulation Improves Cognitive Performance by Modulating Functional Connectivity and Task-Specific Activation”, The Journal of Neuroscience, February 1, 2012;32(5):1859–1866, 1859
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Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN) ist die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für Ärzte und Wissenschaftler in Deutschland, die auf dem Gebiet der klinischen und experimentellen Neurophysiologie tätig sind. Anliegen der DGKN ist es, die Forschung auf diesem Gebiet zu fördern sowie eine qualitätsgesicherte Aus-, Weiter- und Fortbildung zu garantieren. Zu diesem Zweck richtet die DGKN wissenschaftliche Tagungen, Symposien und Fortbildungsveranstaltungen aus. Sie erarbeitet Richtlinien und Empfehlungen für die Anwendung von Methoden wie EEG, EMG oder Ultraschall. Darüber hinaus setzt sich die DGKN für den wissenschaftlichen Nachwuchs ein, indem sie etwa Stipendien und Preise vor allem für junge Forscher vergibt. Die Methoden der klinischen Neurophysiologie kommen Patienten bei der Diagnose und Therapie von neurologischen Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer, Migräne, Epilepsie, Schlaganfall oder Multiple Sklerose zugute.
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