Die Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) hat die MAK- und BAT-Werte-Liste 1998 vorgelegt und dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung als Vorschlag zur Verbesserung von Arbeitsschutzma ßnahmen übergeben. Sie enthält Vorschläge für MAK-Werte, das heißt die höchstzulässige Konzentration einen Arbeitsstoffes als Gas, Dampf oder Schwebstoff in der Luft am Arbeitsplatz, die nach
gegenwärtigem Kenntnisstand auch bei langfristiger, täglich achtstündiger Exposition die Gesundheit der Beschäftigten nicht beeinträchtigt. Außerdem werden Arbeitsstoffe entsprechend ihrer krebserzeugenden, erbgutschädigenden, fortpflanzungsgefährdenden, sensibilisierenden oder hautresorptiven Wirkung klassifiziert. Es ergeben sich 73 Änderungen und Neuaufnahmen gegenüber dem Vorjahresstand: Dazu gehört auch die Neubewertung der gesundheitlichen Risiken, die aus einer berufsbedingten Exposition gegen Ethanol in Form von Dämpfen und Aerosolen oder durch Hautkontakt resultieren, sowie eine Neueinstufung von "Passivrauchen" als krebserzeugend für den Menschen.
Ethanol
Über die Wirkungen von Ethanol, konsumiert in Form von alkoholischen Getränken, liegen umfassende Erfahrungen vor. Abhängig von der aufgenommenen Menge und von der Dauer des Konsums können praktisch in allen Organsystemen Schädigungen auftreten. Besonders kritisch zu werten ist die beim Menschen nachgewiesene krebserzeugende Wirkung, vor allem im MundRachen -Raum und in der Leber. Auf das erhöhte Krebsrisiko hat die internationale Krebsforschungsgesellschaft der WHO in Lyon (International Agency for the Research on Cancer, IARC) bereits 1988 aufmerksam gemacht.
Zur Bewertung der arbeitsplatzrelevanten Aufnahme von Ethanol über die Lunge oder die Haut ist zu berücksichtigen, daß bei der Umsetzung von Ethanol im Körper der genotoxische Acetaldehyd und radikalische Verbindungen entstehen. Dies ist als der zugrundeliegende kanzerogene Wirkmechanismus anzusehen.
Mit der Einführung neuer Einstufungskategorien für krebserzeugende Arbeitsstoffe, in denen auch quantitative und mechanistische Aspekte der krebserzeugenden Wirkung berücksichtigt werden, können nun erstmals auch für Substanzen mit krebserzeugendem Potential Arbeitsplatzkonzentrationen vorgeschlagen werden, die
den Arbeitnehmer vor entsprechender Wirkung schützen.
Im Falle des Ethanols ist bekannt, daß der menschliche Körper ständig durch verschiedene physiologische Prozesse mit einer gewissen Menge Ethanol belastet ist. Das hieraus resultierende kanzerogene Risiko ist als unvermeidbar anzusehen. Wenn die Exposition am Arbeitsplatz diese innere Belastung nicht nennenswert erhöht, ist damit auch keine nennenswerte Erhöhung des kanzerogenen Risikos verbunden. Als entsprechende Konzentration wurden 500 ml/m3 ermittelt und als neuer MAK-Wert festgesetzt. Gleichzeitig wird Ethanol in die neue Kategorie 5 für krebserzeugende Arbeitsstoffe eingestuft. Diese Kategorie beinhaltet Stoffe mit krebserzeugender und genotoxischer Wirkung (das heißt Wechselwirkung mit der DNA in der Zelle), deren Wirkstärke jedoch so gering erachtet wird, daß unter Einhaltung eines speziellen MAK-Wertes kein nennenswerter Beitrag zum Krebsrisiko für den Menschen zu erwarten ist.
Auch die erbgutverändernden Wirkungen von Ethanol wurden überprüft, und die Substanz wurde in die noch geltende Kategorie 2 für erbgutverändernde Arbeitsstoffe eingestuft. In der toxikologisch -arbeitsmedizinischen Begründung wird jedoch darauf hingewiesen, daß die tierexperimentellen Befunde, die zu dieser Einstufung führten, nur unter sehr hohen Dosierungen auftraten und daher bei Einhaltung des MAK-Wertes das Risiko einer erbgutverändernden Wirkung wie bei der Kanzerogenität als nicht nennenswert anzusehen ist. Die ausführliche toxikologischarbeitsmedizinische Begründung erscheint im Oktober dieses Jahres.
"Passivrauchen"
Seit 30 Jahren ist die Verursachung von Bronchialkrebs durch Zigarettenrauchen epidemiologisch eindeutig belegt und quantitativ ausgewiesen; auch einige andere Krebsarten sind, wenn auch in deutlich geringerem Maße, dem Tabakrauchen zuzuordnen. Während der Raucher den sogenannten Hauptstromrauch und Nebenstromrauch inhaliert, versteht man unter "Passivrauchen" die Exposition von Nichtrauchern gegenüber dem von der Zigarette abgehenden Nebenstromrauch und der von Rauchern ausgeatmeten Luft.
Über 30 epidemiologische Studien aus verschiedenen Ländern zeigen für Passivraucher statistisch signifikant mehr Lungentumore als für Nichtexponierte, was durch das kanzerogene Potential der Stoffe im Nebenstromrauch zu erklären ist. Eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der Exposition des Passivrauchers und Lungenkrebs läßt sich bis in den Niedrigdosisbereich hinein ableiten. Unter Berücksichtigung aller Einflußgrößen, wie Fehler durch Mißklassifikation des Rauchverhaltens und Einfluß von Ernährung und sozialem Status, kommt die Kommission wie auch die amerikanische Umweltbehörde (EPA) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu dem Schluß, daß für Passivraucher ein höheres Lungenkrebsrisiko belegt ist.
Nebenstromrauch enthält eine Vielzahl von Stoffen, die sich entweder beim Menschen oder bei Tieren als kanzerogen erwiesen haben und die in zum Teil deutlich höheren Konzentrationen als im Hauptstromrauch vorliegen. Der Nebenstromrauch wird von Nichtrauchern in Mengen inhaliert und resorbiert, die vermehrt zu Lungenkrebs führen können. Studien zur inneren Exposition zeigen anhand verschiedener Biomarker, daß Passivraucher im Vergleich zu Nichtexponierten einer erhöhten Belastung durch kanzerogene Inhaltsstoffe des Nebenstromrauchs ausgesetzt sind. Eine verstärkte Wirkung von Passivrauchen und bekannten krebserzeugenden Arbeitsstoffen ist außerdem in Betracht zu ziehen.
Weitere Neueinstufungen
Besonders hervorzuheben ist in diesem Jahr die neue Klassifizierung krebserzeugender Arbeitsstoffe in fünf Kategorien. Die bisherigen Gruppen IIIA1 (krebserzeugend beim Menschen), IIIA2 (krebserzeugend im Tierversuch) und IIIB (Stoffe mit begründetem Verdacht auf krebserzeugendes Potential) werden mit geringen Änderungen in die neuen Kategorien 1, 2 und 3 umbenannt. Darüber hinaus werden basierend auf dem erweiterten Kenntnisstand über Wirkungsmechanismen krebserzeugender Stoffe und Methoden zur Risikoabschätzung und -quantifizierung die zwei neuen Kategorien 4 und 5 eingeführt. Für beide Kategorien werden MAK- oder BAT-Werte (Biologische Arbeitsstofftoleranzwerte) festgesetzt, bei deren Einhaltung kein nennenswerter Beitrag zum Krebsrisiko für den Menschen durch den jeweiligen Arbeitsstoff zu erwarten ist. In Kategorie 4 werden Stoffe eingeordnet, bei denen nicht die genotoxischen Wirkungsmechanismen im Vordergrund stehen, zum Beispiel Stoffe mit tumorfördernden Eigenschaften. Für Kategorie 5 sind Stoffe vorgesehen, bei denen zwar Genotoxizität entscheidend den Wirkungsmechanismus prägt, bei Einhaltung des MAK-Wertes aber kein nennenswert erhöhter Beitrag zum Krebsrisiko für den Menschen zu erwarten ist, weil die Belastung durch den Stoff im gleichen Bereich liegt, wie sie auch durch die im Körper selbst entstehenden Stoffe gegeben ist.
Für 14 Stoffe ändern sich die MAK-Werte beziehungsweise werden neu vorgeschlagen, in vier Fällen konnte der Wert nach eingehender Prüfung bestätigt werden. Die Neubewertung älterer MAK-Werte erfolgte in enger Zusammenarbeit mit der europäischen und der US-amerikanischen Arbeitsstoffkommission. Für acht weitere Stoffe konnten aufgrund unzureichender Daten keine MAK-Werte festgelegt werden.
Sieben Arbeitsstoffe wurden darüber hinaus auf besondere Gefährdung in der Schwangerschaft hin überprüft. Ethanol bleibt trotz eines abgesenkten MAK-Wertes in der Gruppe C, die diejenigen Stoffe umfaßt, bei denen bei Einhaltung des MAK-Wertes kein Risiko der Fruchtschädigung zu befürchten ist. Methoxyessigsäure kommt dagegen in die Gruppe B für Stoffe, für die solch ein Risiko nicht ausgeschlossen werden kann.
Bei krebserzeugenden Arbeitsstoffen gibt es 22 Überprüfungen beziehungsweise Neuerungen. In die Kategorie 1, das heißt erwiesenermaßen krebserzeugend für den Menschen, wurden 1,3 Butadien und "Passivrauchen" eingestuft. In die Kategorie 2, das heißt als krebserzeugend für den Menschen anzusehen, wurden 2-Chloropren und Toxaphen (chloriertes Camphen) eingestuft. In die neue Kategorie 4 wurden Lindan und Hexachlorbenzol eingestuft. Da bei diesen Stoffen aufgrund der nichtlinearen Dosis-Wirkungs-Beziehung von einer Wirkungsschwelle auszugehen ist, wird bei Einhaltung des MAK- beziehungsweise BAT-Wertes kein nennenswerter Beitrag zum Krebsrisiko für den Menschen geleistet. In die neue Kategorie 5 kommen Styrol und Ethanol.
25 Arbeitsstoffe wurden in diesem Jahr auf ihre Atemwegssensibilisierenden und hautsensibilisierenden Eigenschaften überprüft. Neu aufgenommen wurden Limonen, Naphthalsäureanhydrid, die Quecksilberverbindungen Thiomersal und Merbromin sowie weitere Acrylate, Tierhaare und Hölzer.
Elf Stoffe wurden neu mit dem Warnhinweis "H" versehen, das heißt, daß die Resorption durch die Haut neben der Inhalation wesentlich zur Toxizität am Arbeitsplatz beitragen kann; dies gilt zum Beispiel für Lindan, Hexachlorbenzol, Toluol und Xylol. Für zwölf weitere Arbeitsstoffe wurde dieser Warnhinweis überprüft und bestätigt, so für Phenol und Nitrobenzol.
Im Teil "BAT-Werte und EKA" (Biologische Arbeitsstofftoleranzwerte und Expositionsäquivalente für krebserzeugende Arbeitsstoffe) gibt es acht Neuaufnahmen oder Änderungen, so wurden die BAT-Werte für Schwefelkohlenstoff (Kohlendisulfid) und Quecksilber gesenkt.
Für jede der Neuaufnahmen und Änderungen in der MAK- und BAT-Werte-Liste 1998 wurden von der Senatskommission ausführliche wissenschaftliche Begründungen erarbeitet. Sie werden bei Wiley-VCH, Weinheim, veröffentlicht. Wie in jedem Jahr wird außerdem in den sogenannten "Gelben Seiten" der MAK- und BAT-Werte-Liste die Überprüfung beziehungsweise Neuaufnahme von MAK-Werten oder Einstufungen für zahlreiche Stoffe angekündigt.
Deutsche Forschungsgemeinschaft
MAK- und BAT-Werte-Liste 1998
Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe Mitteilung 34, 226 Seiten, ca. 52,-- DM Wiley-VCH, D-69451 Weinheim
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0228/885-2210 oder-2109, Fax: 0228/885-2180, anfordern.
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Informationstechnik, Medizin, Wirtschaft
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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