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05.12.2002 11:17

"Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology"

Cornelia Glees-zur Bonsen Stabsstelle Kommunikation und Presse
Ludwig-Maximilians-Universität München

    Wissenschaftler legen vergleichende Studie vor

    München, 05. Dezember 2002 - Auf dem stark wachsenden Markt der Lebenshilfe, der Psychogruppen und der neureligiösen Gruppierungen fällt die Orientierung schwer. Es fehlen Methoden und Instrumente zur objektiven Beurteilung von Risiken und Nutzen im Vergleich verschiedener Anbieterorganisationen. Oft mangelt es einfach an den notwendigen Kenntnissen, so dass Vorwürfe, die häufig gegen diese Gruppierungen geäußert werden, nur schwer verifiziert werden.

    In einer interdisziplinären Studie mit dem Titel "Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology: Eine Untersuchung psychologischer Beeinflussungstechniken bei Scientology, Landmark und der Behandlung von Drogenabhängigen" haben sich Psychologen, Psychiater und Juristen dieser Fragestellung im Auftrag des Freistaats Bayern gewidmet. Die Herausgeber sind Professor Heinz Schöch, Professor für Strafrecht, Kriminologie, Jugendrecht und Strafvollzug und Dekan der Juristischen Fakultät der LMU, Professor Norbert Nedopil, Leiter der Abteilung für Forensische Psychiatrie der LMU und Dr. Heinrich Küfner, Institut für Therapieforschung.

    Ziel der Untersuchung war es, mit neu entwickelten Instrumenten und sich ergänzenden empirischen Methoden Erkenntnisse über ver-schiedene Psycho- und Sozialtechniken bei Scientology, Landmark sowie zwei anerkannten Einrichtungen zur stationären Drogentherapie zu gewinnen und deren Auswirkungen abzuschätzen.

    Der kommerzielle Anbieter für Lebenshilfetechniken, die Landmark Education GmbH, geht auf ein Kursprogramm zur Persönlichkeitsentwicklung zurück, das erstmals 1971 von Werner Erhard angeboten wurde. Seit 1983 werden auch in Deutschland Programme durchgeführt. Landmark ist heute weltweit in 17 Ländern vertreten.

    Die drei Anbieter werden dreifach beleuchtet; dies ist die empirische Basis der Untersuchung: Zwei Befragungen haben stattgefunden - nach der Erfahrung von Betroffenen sowie nach der Einschätzung von Experten - und es wird der Inhalt der Primärliteratur der jeweiligen Organisation analysiert. Im juristischen Teils des Projekts wurde ferner untersucht, inwieweit es in den Gruppierungen zu Straftaten kommen kann und ob Anhängern aufgrund des Engagements in der Organisation zivilrechtliche Ansprüche gegen diese erwachsen können.

    Ergebnisse der Befragungen

    In der Expertenbefragung zeigte sich, dass bei Scientology eine deutlich höhere Anzahl von Beeinflussungsmethoden eingesetzt wird, was als größere Einflusspower interpretiert werden kann. Für Scientology und Landmark wurden Risiko und Nutzenprofile erstellt, die die größere Einflusspower von Scientology hinsichtlich des Risikos manipulativer Beeinflussung belegen. Anhand der Betroffenenbefragung wurde deutlich, dass sich unter den Aussteigern von Scientology im Vergleich zur Landmark-Gruppe wesentlich mehr Menschen selbst als psychisch labil oder krank vor Beginn ihrer Erfahrungen mit Scientology bezeichneten.

    Ein wesentliches Motiv, sich Scientology zuzuwenden, war die Erwartung, von psychischen Problemen und Belastungen befreit zu werden (58 Prozent). Nur sechs Prozent waren vorwiegend und 19 Prozent etwas an religiösen Aspekten von Scientology interessiert. Nach den Berichten der Betroffenen wurde von Scientology neben vereinzelten Verfahren, die aus der Psychotherapie stammen, vor allem eine Vielfalt von Methoden angewandt, die psychologischen Manipulationstechniken vergleichbar sind. 56 Prozent der Scientology-Aussteiger konnten mit Hilfe einer Abhängigkeitsskala als psychisch abhängig und zusätzlich 24 Prozent als Klienten mit einem schädlichen Engagement beurteilt werden.

    Bei Landmark und der Kontrollgruppe wurden von keinem die Kriterien für Abhängigkeit erreicht, 30,8 Prozent der Landmark-Teilnehmer und 29,4 Prozent in der Kontrollgruppe zeigten ein schädliches Engagement. Eine Zunahme gesundheitlicher Probleme wurde nur von einem der Befragten berichtet.

    Der Ausstieg wurde von den Teilnehmern aller Gruppen als weitgehend problemlos geschildert. Insgesamt haben sich die von Scientology angewandten psychologischen Beeinflussungsverfahren und Techniken als weit eingreifender und für den Betroffenen weit weniger durchschaubar und kontrollierbar erwiesen als übliche psychotherapeutische Verfahren.

    Juristische Beurteilung

    Im Rahmen der juristischen Beurteilung, die auf der Betroffenenbefragung und der Primärliteraturanalyse beruht, haben sich rechtliche Besonderheiten nur bei der Scientology-Organisation ergeben. Anhand der gewonnenen empirischen Daten lässt sich der Vorwurf untermauern, dass zahlreiche Elemente ihres Programms in deutlichem Widerspruch zur Wertordnung des Grundgesetzes stehen. Trotz dieser Bewertung der inneren Struktur lassen sich auch bei dieser Gruppierung nur begrenzt Sachverhaltskonstellationen von tatsächlicher Relevanz ermitteln, in denen Straftaten Organisationsangehöriger in Betracht kommen. Praktische Bedeutung hat am ehesten der Betrugstatbestand sowie der Vorwurf der unerlaubten Ausübung von Heilkunde. Hier bestehen Anhaltspunkte für eine organisationstypische Begehung zumindest des objektiven Tatbestandes, so dass sogar ein vereinsrechtliches Vorgehen in Betracht kommt. Anderen denkbaren Straftatbeständen dürfte dagegen nur unter engen Voraussetzungen und nur im Einzelfall Bedeutung zukommen.

    Im zivilrechtlichen Bereich bestehen dagegen durchaus realistische Möglichkeiten, das für "Auditing" und ähnliche Dienstleistungen bezahlte Geld von der Organisation zurückzuerhalten. Aus Sicht der Geschädigten dürfte daher dem zivilrechtlichen Vorgehen gegen die Scientology-Organisation weit größere Bedeutung zukommen als ihrer strafrechtlichen Verfolgung.

    Es ist jedoch zu betonen, dass das Gutachten ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren oder ein zivilrechtliches Klageverfahren weder ersetzen kann noch initiieren will. Die gewonnenen empirischen Daten ermöglichen eine Kategorisierung und Beschreibung des Risikopotentials. In jedem Fall muss jedoch der konkrete Einzelfall geprüft werden. Das Gutachten kann dabei als Hilfestellung für den Rechtsanwender dienen. Die Aufgabe, praktische Konsequenzen zu ziehen, liegt bei den zuständigen Behörden und Gerichten. Die Autoren geben hierfür keine Empfehlungen ab.

    Ein Auszug der Studie kann unter http://www.verwaltung.uni-muenchen.de/presse/pdf/pabst.pdf eingesehen werden.


    Weitere Informationen:

    http://www.verwaltung.uni-muenchen.de/presse/pdf/pabst.pdf


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Politik, Psychologie, Recht
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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