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05.03.2014 08:43

Allergikern blüht etwas: Erhöhte Fitness der Beifußambrosie in Europa nachgewiesen

Sabine Wendler LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F)
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen

    Die ursprünglich aus Amerika stammende hochallergene Beifußblättrige Ambrosie entlässt ihre Pollen bis in den späten Herbst hinein und verlängert damit die Leidensphase von Allergikern erheblich. Das Gewächs ist in Deutschland auf dem Vormarsch. Ein Team des LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrums und der Goethe-Universität Frankfurt zeigte jetzt in einer im Fachjournal Oecologia veröffentlichten Studie, dass sich die europäischen Populationen der invasiven Art weiterentwickelt und an Durchsetzungskraft gewonnen haben. Zudem weisen sie eine große phänotypische Bandbreite auf, was eine weitere Ausbreitung befördern könnte. Eine nationale Strategie zur Bekämpfung der Art tut also not

    Während das unscheinbare Kraut mit dem wissenschaftlichen Namen Ambrosia artemisiifolia in Deutschland noch vergleichsweise selten vorkommt, ist es im Südosten Europas schon fester Bestandteil der Vegetation. Als Spätblüherin setzt die Ambrosie ihre Pollen erst im Spätsommer und lange bis in den Herbst hinein frei. Das bedeutet für Allergiker eine Verlängerung ihrer Leidenszeit bis in den Oktober hinein, bei warmen Wetterverhältnissen sogar bis in den Dezember. Die Pollen sind zudem erheblich aggressiver als die hiesiger Gräser und Bäume. Entsprechend hoch wäre die Zahl der Erkrankungen, wenn sich die Ambrosie auch in Deutschland ausbreiten würde, wie es frühere Studien nahelegen.

    Europäische Erfolgsgeschichte

    „Wie viele invasive Arten profitiert die Beifußblättrige Ambrosie vom Klimawandel. Sie hat sich vermutlich aber auch evolutionär verändert“, erläutert Oliver Tackenberg von der Goethe-Universität Frankfurt, der das Projekt im Rahmen seiner Kooperation mit BiK-F durchführte. Tatsächlich zeigen die Untersuchungen: Die europäischen Samen sind nicht nur deutlich größer, sie keimen mit einer Rate von 92% auch wesentlich häufiger als diejenigen aus amerikanischen Populationen (49% Keimrate). Zudem ist das Temperaturspektrum, in dem sie keimen können, breiter und die Keimgeschwindigkeit deutlich höher als bei den aus Amerika stammenden Samen. Zu guter Letzt zeichnen sich europäische Jungpflanzen auch noch durch eine höhere Frosttoleranz aus, was eine Ausbreitung in nördlichere Regionen zusätzlich begünstigen dürfte.
    Eine Erklärung für die gesteigerte Fitness könnte sein, dass sich die Art besser durchsetzen kann, weil bestimmte Pathogene oder natürliche Feinde, wie etwa der Ambrosiakäfer (Ophraella communa) hierzulande fehlen. „Damit ist z.B. die Produktion chemischer Abwehrstoffe nicht mehr notwendig. Die freiwerdenden Ressourcen können in die Fortpflanzung gesteckt werden und in Form größerer Samen zu schnellerem Wachstum und einer erhöhten Konkurrenzkraft führen“, formuliert es Tackenberg. „Warum die europäischen Bestände der Beifußblättrigen Ambrosie konkurrenzkräftiger zu sein scheinen, lässt sich jedoch zweifelsfrei nur durch weitere Untersuchungen klären.“ Entsprechende ökologische und genetische Studien laufen bereits am BiK-F. Von den Ergebnissen erhoffen sich die Forscher auch ein generell besseres Verständnis von Invasionsprozessen, so dass künftig auf besonders aggressive Invasoren gezielter reagiert werden kann.

    Nicht zuschauen – handeln

    Und aggressiv ist die amerikanische Einwanderin durchaus. Sie zählt zu den 100 problematischsten invasiven Arten überhaupt und wird in den kommenden Jahren ihr Areal mit hoher Wahrscheinlichkeit erweitern. Dies schafft Ambrosia nicht nur aufgrund ihrer gesteigerten Fitness, auch der Klimawandel kommt ihr zugute. In einer vor kurzem erschienenen Studie veröffentlichte das Team die erste europaweite Karte der Gebiete, in denen die Art durch den Klimawandel zukünftig profitieren kann. „Die in dieser Studie prognostizierte Ausweitung der potenziellen Verbreitungsgebiete dürfte eventuell sogar noch etwas größer ausfallen, wenn wir die gestiegene Fitness und die erhöhte Frosttoleranz berücksichtigen“, vermutet Tackenberg (vgl. auch BiK-F-Pressemitteilung vom 28.3.2013).
    „Daher müssen wir so schnell wie möglich aktiv werden. Bislang werden nur punktuell Maßnahmen gegen die Beifußambrosie ergriffen“, moniert Marion Leiblein-Wild vom Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) und Erstautorin der Studie. „Jedes Bundesland geht anders mit dem Thema um. Gerade mit Blick auf die Gesundheitsschäden brauchen wir aber eine konzertierte, nationale Bekämpfungsstrategie, wie sie zum Beispiel in der Schweiz existiert. Dort sind nicht nur Landwirte oder Gärtner gesetzlich verpflichtet, Vorkommen der Ambrosia zu melden, sondern jeder einzelne Bürger. Bei uns baut die Regierung noch auf freiwillige Mithilfe, obwohl schon heute Experten davon ausgehen, dass durch Ambrosia-Allergien zusätzliche Kosten für das Gesundheitswesen von bis zu 1,19 Milliarden Euro pro Jahr entstehen werden.“ Eine drastische Steigerung erscheint durchaus realistisch: „In Österreich, wo die Art schon länger verbreitet ist, konnte parallel zur Ausbreitung der Art eine Zunahme der Sensibilisierungsrate nachgewiesen werden“, warnt auch Tackenberg.

    Europaweit große Bandbreite an Phänotypen

    In einer weiteren, bereits online im Fachjournal Biological Invasions veröffentlichten Studie wiesen außerdem 38 entlang eines europäischen Nord-Süd-Gradienten gelegene Ambrosia-Populationen eine enorme phänotypische Bandbreite auf, also ein umweltbedingt sehr unterschiedliches Erscheinungsbild. Je nach Herkunft der in einem Common Garden-Experiment unter gleichen Bedingungen ausgesäten Samen traten bei Biomasseproduktion, Wachstumsraten und Blühzeitpunkt beträchtliche Unterschiede auf. Beispielsweise blieben Exemplare nördlicher Herkünfte deutlich kleiner, sie blühten früher, und Pollen und Früchte wurden bis zu fünf Wochen früher freigesetzt als bei aus südlichen Regionen stammenden Pflanzen. Eine derart große Bandbreite beruht möglicherweise auf einer bereits erfolgten genetischen Anpassung an die unterschiedlichen Standortbedingungen, unter denen die Art heute in Europa auftritt – dies bleibt jedoch molekulargenetisch zu untersuchen. Auf jeden Fall erleichtert sie voraussichtlich die weitere Ausbreitung der problematischen Art in Europa.

    Publikationen:
    Leiblein-Wild, M., Kaviani, R. & O.Tackenberg : Germination and seedling frost tolerance differ between the native and invasive range in common ragweed. Oecologia, DOI: 10.1007/s00442-013-2813-6

    Leiblein-Wild, M. & O. Tackenberg: Phenotypic variation of 38 European Ambrosia artemisiifolia populations measured in a common garden experiment. Biological Invasions, DOI: 10.1007/s10530-014-0644-y

    Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte:
    Dr. Oliver Tackenberg
    Goethe-Universität Frankfurt/Main
    Tel. +49 (0)69 798-42136
    tackenberg@bio.uni-frankfurt.de

    Marion Leiblein-Wild
    LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) und
    Goethe-Universität Frankfurt/Main
    Tel. +49 (0)69 798-42133
    leiblein@bio.uni-frankfurt.de
    oder

    Dr. Julia Krohmer
    LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F),
    Transferstelle
    Tel. +49 (0)69 7542 1837
    julia.krohmer@senckenberg.de

    Pressebilder auch unter www.bik-f.de/root/index.php?page_id=32&ID=687&year=0


    Bilder

    LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum
    LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum
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    Die Früchte der Beifußambrosie aus Europa (unten) sind deutlich größer als die Früchte aus Nordamerika (oben). Die größeren Samen der europ. Populationen können zu einer erhöhten Fitness führen.
    Die Früchte der Beifußambrosie aus Europa (unten) sind deutlich größer als die Früchte aus Nordameri ...
    Bild: B. Kramer
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Medizin, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum


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    Die Früchte der Beifußambrosie aus Europa (unten) sind deutlich größer als die Früchte aus Nordamerika (oben). Die größeren Samen der europ. Populationen können zu einer erhöhten Fitness führen.


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