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08.01.2003 12:49

FH Jena: Befragungsergebnisse zu Kriminalität und Gewalt liegen vor

Annette Leucke Marketing und Kommunikation
Fachhochschule Jena

    Vor ca. einem Jahr wurden die Jenaer Bürger gebeten, sich an einer Befragung zu Kriminalität, Strafen und Gewalt zu beteiligen, sofern sie zu den nach dem Zufallsprinzip aus der Einwohnerdatei ausgewählten Bürgern gehörten. Nunmehr liegt eine praxisorientierte Ergebnisdarstellung vor, die noch vor Weihnachten an Justiz- und Sozialbehörden, Polizei und Stadtverwaltung übergeben wurden. Die wissenschaftliche Auswertung der insgesamt ca. 400.000 Einzeldaten dauert an und wird in einer Buchveröffentlichung münden. Ziel des Forschungsprojektes "Kriminalitätswahrnehmung" am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Jena ist es, unser Bild über Kriminalität in der Gesellschaft nicht nur von den Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik abhängig zu machen. Die Vorstellungen der Bürger über das Ausmaß und die Qualität von Kriminalität, ihre Erwartungen an effektive Strafverfolgung und angemessene Strafen sollten ein wichtiger Bestandteil kriminalpolitischer Strategien sein. Deshalb wurden 3000 Jenaer Bürger zu ihren diesbezüglichen Wahrnehmungen und Einstellungen schriftlich befragt. Schwerpunkt war insbesondere die Gewaltkriminalität.

    1100 Bürger haben sich beteiligt. Damit hat die umfangreiche Befragung mit 36,7 % Rücklauf eine sehr gute Resonanz gefunden, wofür sich die Projektleiterin Prof. Dr. Ludwig vom Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Jena und ihre Mitarbeiterin Dipl. Soz.-päd. Ulrike Knoll sowie Prof. Dr. Kräupl von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FSU Jena als Kooperationspartner herzlich bedanken.
    Da ähnliche Befragungen mit teilweise identischen Fragen bereits Ende 1991 und Ende 1995 stattfanden, ist es möglich, Entwicklungen über einem Zeitraum von zehn Jahren nachzuvollziehen.

    Kurz gefasst wird Folgendes deutlich: Die Kriminalitätsfurcht, die Anfang der 90-er Jahre durch den ungewohnten Stellenwert der Medienberichte über Kriminalität sowie den erlebbaren Kriminalitätsanstieg extrem hohe Ausprägungen aufwies, ist auf ein bundesdeutsches Durchschnittsniveau gefallen. Die Bürger haben gelernt, mit der Problematik Kriminalität und der intensiven Medienberichten zu leben. Ungeachtet dessen werden sehr differenzierte vom Alter, dem Geschlecht, dem jeweiligen Bildungsstand und der Lebenssituation abhängige Einstellungsmuster zu Kriminalität und Strafe deutlich. 43,9 % der Befragten sind im Jahr vor der Befragung Opfer von Straftaten gewesen. Vieles verbleibt im Bagatellbereich und wird nicht angezeigt. Die Opferwerdung hat im Vergleich zu 1995/96 insgesamt abgenommen.
    22,5 % der Befragten gaben an, Opfer einer Sachbeschädigung geworden zu sein. An zweiter Stelle rangierten mit 10,0 % die Opfer von Betrugsdelikten. Aus mehreren Einzeldelikten addiert, sind insgesamt 11,7 % der Befragten Opfer von Gewaltstraftaten gewesen.
    Im Unterschied zur öffentlichen Meinung haben Opfer und sogar auch Gewaltopfer keine härteren Strafbedürfnisse. Vielmehr gehen ihre Erwartungen stärker in Richtung Schadenswiedergutmachung und trotz Bestrafung auch mehr in Richtung Therapie für die Täter.
    Die Einstellung der Bürger zu angemessenen Strafen bei einem Katalog von 21 vorgegebenen Delikten zeigt eine ähnliche Entwicklung für fast alle Delikte.
    Die Betonung intensiver Strafmaßnahmen (insbesondere Bewährung und Strafvollzug) ist von 1991/92 zu 1995/96 deutlich gesunken und zu 2001/02 erneut angestiegen, in den meisten Fällen jedoch nicht auf das hohe Ausgangsniveau von Anfang der 90-er Jahre. Die Einstellung zum Schwangerschaftsabbruch ist im gesamten Zeitraum konstant geblieben. Es wird fast von allen Befragten betont, dass Strafrecht hier nicht erforderlich ist. Interessant ist, dass die Befragten bei den Zwecken staatlicher Strafe auch deutlich betonen, dass sie mit Strafe auch die Entwicklung eines Schuldbewusstseins beim Täter - also eine Auseinandersetzung mit der Tat - verbinden. Bei Drogen-, Sexual- und Körperverletzungsdelikten wird die Therapienotwendigkeit stark betont.
    Erfreulich ist, dass die Einschätzung der Polizeiarbeit im Vergleich zu den vorangegangenen Befragungszeitpunkten deutlich positiver ausfällt. Ende des Jahres 2001/Anfang 2002 schätzen 10,1 % die Polizeiarbeit als gut und 61,6 % als überwiegend gut ein. Überwiegend schlecht sehen 17,7 % die Arbeit der Polizei und generell als schlecht werten sie 3,9 %.
    Aus dem umfangreichen Fragenkomplex zur Gewalteinschätzung soll hervorgehoben werden, dass mit einer offenen Frage (d. h. die Bürger sollten ihre Meinung selbst formulieren) Gewaltursachen sehr deutlich gesellschaftlichen Problemlagen zugeschrieben werden. An erster Stelle stehen die Nennung von Problemen sozialer Ungerechtigkeit (Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, soziale Ungleichheit, Ausgrenzung u. a.).
    Beachtenswert sind auch die Äußerungen der Bürger zur Medienberichterstattung über Kriminalität, Justiz und Strafe. Es fällt auf, dass ca. 40 % der Befragten der Meinung sind, dass sie die Arbeit der Strafjustiz (Staatsanwaltschaft und Gericht) nicht beurteilen können. Hier wird eine Parallele zur Einschätzung der Medienberichte deutlich. Die Befragten äußern, dass zu wenig über den Strafprozess und vor allem über die Entscheidungshintergründe der Gerichte berichtet wird und am stärksten vermissen die Befragten Informationen der Medien über Hilfen für Opfer.
    Generell wird aus dem auf Medienberichte bezogenen Befragungsabschnitt deutlich, dass die Bürger sich nicht mehr, sondern eine schwerpunktmäßig andere Berichterstattung wünschen.
    Insgesamt liegen mit den Daten der durchgeführten Befragung sehr differenzierte Abbilder vor zur Meinung der Bürger zu Kriminalitäts- und insbesondere Gewaltursachen sowie zu ihren Vorstellungen darüber, welche gesellschaftlichen Reaktionen angemessen sind.

    Es bleibt zu hoffen, dass die Praxis die im Praxisbericht dargelegten zentralen Ergebnisse angemessen zur Kenntnis nimmt.

    Interessenten an einer Vortragsveranstaltung zu den Befragungsergebnissen melden sich bitte unter bei Prof. Ludwig an der FH Jena, Telefon 0 36 41 / 205 842.

    Pressetermin

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    wir laden Sie am Montag, 13. Januar 2003, um 14 Uhr zu einem Gespräch mit Prof. Dr. Heike Ludwig, Prof. Dr. Günther Kräupl von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FSU Jena und Herrn Treunert von der Polizeidirektion Jena ein, die Ihnen gern detailliert Auskunft zu den Befragungsergebnissen geben.

    Das Gespräch findet im Beratungsraum des Büros für Technologietransfer der FH Jena, Haus 5, EG, Carl-Zeiss-Promenade 2 statt.

    Wir freuen uns über Ihr Interesse.

    Für das begonnene Jahr wünschen wir Ihnen Gesundheit und ausreichend Gelegenheit, um immer wieder Kraft zu schöpfen, damit Ihnen alle großen und kleinen Aufgaben gelingen und Ihnen neben dem beruflichen Alltag noch genügend Muße für ein erfülltes Privatleben bleibt!

    Freundliche Grüße

    Annette Sell


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Politik, Recht
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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