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14.01.2003 10:45

Missverstandenes Judentum: Auge um Auge, Zahn um Zahn

Roland Hahn Pressestelle
Fachhochschule Erfurt

    Einen Vortrag zum Thema "Auge um Auge, Zahn und Zahn - Ein Missverständnis von Rache und Vergeltung in der jüdischen Ethik" hält Prof. Dr. Susanne Zeller am 28. Januar um 18 Uhr an der FH Erfurt. Interessenten sind zu der Veranstaltung, die im Hörsaal 1 des Hauses 4 der Altonaer Straße 25 stattfindet, herzlich willkommen.

    Hintergrund/ Inhalte: Die Begriffskonstruktion "Auge um Auge ..." aus der Bibel ist für "Rache und Vergeltung" Alltagssprache geworden. Professor Zeller geht auf die tatsächliche Bedeutung von Rache und Vergeltung ein und betrachtet das sog. "ALTE" Testament (2. Buch Mose 21: 23 - 25, 3. Buch Mose 24: 17 - 20, 5. Buch Mose 19: 21). Sie stellt fest: "Allerdings hat sich dann die Auffassung durchgesetzt, daß diese Formulierungen angesichts vorgeschriebener ethischer Prinzipen der fünf Bücher Mose - die universal geworden sind - eben gerade nicht wörtlich gemeint sind."
    In der weiteren Betrachtung geht die Professorin auf die historische Justiz ein (Lex Talionis, Codex Hammurabi): Bei der Formulierung "Auge um Auge, Zahn um Zahn" geht es nicht um den Geschädigten und seine berechtigten oder unberechtigten Rachegelüste. Es handelt sich um richterliche Entscheidungen, die weitverbreitete Blutrache - die sog. "Vendetta" - eindämmen zu wollen.
    Im Weiteren ist die Praxis der "Blutrache" antiker Völker Gegenstand der Betrachtungen: Die Blutrache wird in der Bibel geächtet. Die fünf Bücher Mose benennen sechs Städte als "Schutzzonen", in denen Betroffene Zuflucht finden konnten, bis sie sich vor einem ordentlichen Richter zu verantworten hatten. Die Blutrache wurde im antiken israelitischen Gemeinwesen in Grenzen gehalten und schließlich fast zum Verschwinden gebracht. Die Rabbinen, Richter und Gelehrten des Talmud, interpretierten die Bibel so, dass die Verhältnismässigkeit von Schädigung und Entschädigung garantiert werden sollte. Hierfür entwickelten sie einen Forderungskatalog an den Beschuldigten. So heißt es im Talmud: "Wer seinen Nächsten verwundet, ist ihm fünf Dinge dafür schuldig (...)": Zahlung von Schadensersatzleistungen, Zahlung von Schmerzensgeld, Zahlung von Heilungskosten, Entschädigungs Zahlungen für Arbeitsversäumnisse und Strafgeldzahlungen für die zugefügte Beschämung des Geschädigten.
    Oftmals führten Übersetzungsfehler (althebräische Schrift ohne Vokale, übersetzte Wörter oft mit mehrfacher Bedeutung) zur exegetischen Verzerrung der Lex Talionis. Das Schlüsselwort im Hebräischen "tachat" heißt nicht "um" oder "für", sondern "anstelle von". So übersetzten Franz Rosenzweig und Martin Buber die Verse folgendermaßen: "Geschieht das Ärgste aber, so gib Lebensersatz für Leben; Augersatz für Auge, Zahnersatz für Zahn." (2. Buch Mose, 21: 23 - 25). Nur im Kontext der Schadensersatzleistung wurde das Talionsgesetz im Judentum verstanden und im Talmud codifiziert. Das rabbinische Judentum hat die Anwendung altorientalischer Rache - und Vergeltungspraxis abgeschafft. Es waren nur bildhaft genaue Maßeinheiten für Schadensersatzregelungen gemeint.
    Das verpönte antike Talionsrecht war also ein gewaltiger Schritt in Richtung Humanität angesichts brutaler Praktiken von antiken Zivilisationen der Wüste in vorbiblischen Zeiten. Es wurde Grundlage unserer heutigen Wiedergutmachungsregelungen im christlichen Abendland. Historische Unkenntnis, exegetische Verzerrungen, Übersetzungsfehler und nicht zuletzt die tief verankerten antijudaistischen Überzeugungen schlagen sich seit rund 2000 Jahren in hartnäckigen Vorurteilen dem Judentum gegenüber nieder. Ein Beispiel ist die Begriffskonstruktion "Auge um Auge", "Zahn um Zahn". Sie harrt einer unmissverständlichen historischen Richtigstellung in der breiten Öffentlichkeit bis heute, oder noch besser der endgültigen Streichung aus unserer Alltagssprache. Prof. Zeller fragt polemisch: "Würde dieses "Vergeltungs" Prinzip aus dem alten Talionsrecht in Bezug auf die aktuelle Terrorismusdebatte dann nicht auch folgerichtig bedeuten, dass Gerichte zu entscheiden hätten, in welcher Höhe nun die Terroristen angemessenen materiellen Schadensersatz für das zugefügte Leid zu leisten hätten?"

    Kontakt: Prof. Dr. Susanne Zeller, Tel. 0361/ 6700-516, Fax -533, Mail: zeller@soz.fh-erfurt.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Philosophie / Ethik, Religion
    regional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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