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21.01.2003 14:12

Widerstand des 20. Juli 1944 im neuen Licht

Dr. Christian Jung Stabsreferat Kommunikation
VolkswagenStiftung

    Forscherin an der Universität Bochum erschließt mit Hilfe der VolkswagenStiftung neue Quellen - und entdeckt verschwundene Volkswirtschaftsfibel

    Forschungen über die Geschichte des Widerstands gegen Hitler stehen vor dem Problem, dass viele Dokumente bei der Verfolgung der Widerständler vernichtet wurden. Fast sechzig Jahre nach Ende des Dritten Reiches wurden nun im Zuge eines von der VolkswagenStiftung mit rund 50.000 Euro geförderten Forschungsvorhabens Quellen neu erschlossen, die ein in vielerlei Hinsicht neues Licht auf die Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944 werfen.
    Die Ergebnisse liegen jetzt als Buch aufbereitet vor und sind damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Das 491-seitige Werk ist erschienen im Schöningh Verlag unter dem Titel "Der Widerstand des 20. Juli auf dem Weg in die Soziale Marktwirtschaft. Die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der bürgerlichen Opposition gegen Hitler" (68 Euro). Autorin ist Daniela Rüther.
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    Kontakt Autorin: Daniela Rüther, Tel.: 0211/9010426, E-Mail: daniela.ruether@gmx.de
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    Rezensionsexemplare des Buchs "Der Widerstand des 20. Juli auf dem Weg in die Soziale Marktwirtschaft. Die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der bürgerlichen Opposition gegen Hitler" von Daniela Rüther sind erhältlich beim Verlag Ferdinand Schöningh. Ansprechpartner ist Georg Enzian, Jühenplatz 1 - 3; 33098 Paderborn, Tel.: 05251/127-790, Fax: 05251/127-860, E-Mail: enzian@schoeningh.de.
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    Die zentrale Erkenntnis der Untersuchung: Anders als oft proklamiert, maßen die Verschwörer des 20. Juli den Vorbereitungen für eine Wirtschaftsordnung nach Hitler alles andere als eine nachgeordnete Bedeutung bei. Es lässt sich zudem bei namhaften Personen des Widerstands eine unübersehbare Annäherung ihrer wirtschaftspolitischen Positionen feststellen. Die entscheidende Rolle spielten nach den nun vorliegenden Ergebnissen die Nationalökonomen der Freiburger Schule: Constantin von Dietze, Walter Eucken und Adolf Lampe. Sie waren es, die maßgeblich die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Männer und Frauen des 20. Juli 1944 prägten. Unter ihrem Einfluss wurden Programme entwickelt, die mit ihrer wettbewerbswirtschaftlichen Ausrichtung bereits auf die Soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland verweisen sollten.

    Auch lässt sich parallel zur Entwicklung der wirtschaftspolitischen Programme eine erstaunliche Positionsverschiebung innerhalb der Verschwörung beobachten. Carl Friedrich Goerdeler, bekannt als "Haupt und Motor" des zivilen Teils der Verschwörung, scheint frühzeitig isoliert. Er hielt fast doktrinär an seinen spezifischen, theoriefeindlich erscheinenden Anschauungen von den in der Wirtschaft wirkenden "Naturgesetzen" fest - so ein weiteres Ergebnis der Studie. Hingegen zeigen sich die "Kreisauer" um die Grafen Helmuth James von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg, die oftmals als Vertreter sozialistischer und "romantischer" Ideen betrachtet werden, als Verfechter eines Programms, das in seinen Grundlinien am stärksten auf die nach dem Krieg dann verwirklichte Soziale Marktwirtschaft zielt. Als Vertreter "linker", sogar als sozialrevolutionär zu bezeichnender Positionen tritt schließlich der ultrakonservative preußische Finanzminister Johannes Popitz auf dem Gebiet wirtschaftsordnungspolitischer Programmentwürfe hervor, stellte die Forscherin fest.

    Der bedeutendste Quellenfund Rüthers ist zweifelsohne die "Volkswirtschaftsfibel", die bisher als verschollen galt. Mit ihren etwa 130 Seiten ist die Schrift - sie wurde 1941/42 im Auftrag Goerdelers erarbeitet - eines der ausführlichsten Zeugnisse der Auseinandersetzung der Widerständler mit Fragen wirtschaftlicher Zusammenhänge. Sie zeigt die Bedeutung der Freiburger Professoren, die von allen Gruppierungen der Widerstandsbewegung des 20. Juli als Berater und übergeordnete Urteilsinstanz konsultiert wurden, und belegt sowohl deren frühzeitige, breit angelegte Auseinandersetzung mit Wirtschaftsfragen als auch Goerdelers rasche Isolierung.

    Bisherige Darstellungen zum Widerstand des 20. Juli gingen davon aus, dass die Planungen für die Zeit nach Hitler sich im Wesentlichen auf die Vorbereitung der politischen Rahmenbedingungen für ein Deutschland nach dem Umsturz konzentrierten. Überlegungen zum wirtschaftlichen Rahmen der Nachkriegsordnung seien danach nur von sekundärer Bedeutung gewesen. Allerdings wurden auf dem Gebiet der Ökonomie die größten Unterschiede in den Vorstellungen der bürgerlichen Opposition vermutet; während Goerdeler ein wirtschaftsliberales Programm vertreten habe, hätten die "Jungen" des Kreisauer Kreises ebenso wie der Preußische Finanzminister Popitz vorwiegend staatssozialistischen Plänen angehangen. Weitgehend ungeklärt blieb stets die Rolle der Nationalökonomen der Freiburger Schule für die programmatischen Vorbereitungen der engeren Verschwörung - obwohl schon länger bekannt war, dass Constantin von Dietze, Walter Eucken und Adolf Lampe immer wieder als Berater konsultiert worden waren.

    Nun erscheint durch die Untersuchung nicht nur die Vorgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft in einem neuen Licht. Konsequenzen haben die Forschungsergebnisse auch für die Beurteilung des Widerstands allgemein. Entgegen der landläufigen Meinung, dass der Widerstand sich in allen wesentlichen Fragen nach 1945 politisch nicht durchzusetzen vermochte, zeigt er sich auf dem Feld der Wirtschaftsordnungspolitik im Nachhinein als durchaus politikfähig.

    Das Forschungsvorhaben wurde von der VolkswagenStiftung im Rahmen ihrer - inzwischen beendeten - Förderinitiative "Deutscher Widerstand (1933 bis 1945) an der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum gefördert und geleitet von dem Historiker Professor Dr. Hans Mommsen.
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    Kontakt VolkswagenStiftung, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Dr. Christian Jung, Tel.: 0511/8381-380, E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de


    Weitere Informationen:

    http://www.volkswagenstiftung.de/presse-news/presse03/21012003.htm


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Philosophie / Ethik, Politik, Recht, Religion, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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