Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat sein neues Politikpapier zum Thema "Zivilisatorischer Fortschritt innerhalb planetarischer Leitplanken. Ein Beitrag zur SDG-Debatte" veröffentlicht und an Bundesentwicklungsminister Gerd Müller und Bundesumweltministerin Barbara Hendricks übergeben.
Umweltschutz und Armutsbekämpfung sind kein Widerspruch, im Gegenteil: Maßnahmen zur Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen sind nicht nur Voraussetzung, sondern können auch zum Motor von Wohlstandszuwächsen bei den unteren Einkommensgruppen der Welt werden. Allerdings können diese Maßnahmen nicht von den Armen selbst finanziert werden. Zu diesen Schlüssen kommt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in dem Politikpapier "Zivilisatorischer Fortschritt innerhalb planetarischer Leitplanken - Ein Beitrag zur SDG-Debatte". Die nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) sollen im kommenden Jahr die Millenniumentwicklungsziele der Vereinten Nationen ablösen und prägen somit weltweit die Debatten zur Entwicklungspolitik. Der WBGU, vertreten durch den WBGU-Vorsitzenden und Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) Dirk Messner sowie WBGU-Mitglieder Peter Lemke und Sabine Schlacke, übergab das Politikpapier am Mittwoch Abend der Bundesregierung.
Die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Armutsbekämpfung ist der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Diese sind durch bisherige, regelmäßig nicht nachhaltige Entwicklungsmuster massiv gefährdet. Aus diesem Grund empfiehlt der WBGU, ein umfassendes Umweltziel "Sicherung der Erdsystemleistungen" in den Katalog der neuen nachhaltigen Entwicklungsziele aufzunehmen. Durch die Einführung dieses Ziels sollen Entwicklungspfade in Einklang mit ökologischen Grenzen gebracht werden, damit der zivilisatorische Fortschritt gesichert werden kann. Die dazu notwendigen Impulse zur Transformation und die erforderliche Finanzierung können nur von den globalen Mittel- und Oberschichten kommen. Als Operationalisierung dieses Ziels empfiehlt der WBGU sechs Handlungsgebiete zum Schutz des Klimas, der Böden und der biologischen Vielfalt zu verankern:
- Erderwärmung auf 2°C begrenzen, um unumkehrbare Klimafolgen zu vermeiden.
- Ozeanversauerung auf 0,2 pH Einheiten begrenzen, um die Meeresumwelt intakt zu halten.
- Verlust von biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen stoppen, um die natürlichen Lebengrundlagen zu schützen
- Land- und Bodendegradation stoppen, um die weltweite Nahrungsproduktion nicht zu gefährden.
- Risiken durch langlebige anthropogene Schadstoffe (wie z.B. Quecksilber oder Plastikabfälle) begrenzen, da die damit verbundenen negativen Auswirkungen schwer rückgängig zu machen sind.
- Verlust von Phosphor beenden, da dieses Element der limitierende Faktor für die Landwirtschaft ist.
Die neuen nachhaltigen Entwicklungsziele sollen für alle Länder gelten, unabhängig von ihrem Entwicklungsstand. Auch Deutschland und die Europäische Union haben hier erheblichen Handlungsbedarf und sollten sich im Rahmen der laufenden internationalen Verhandlungen zu den globalen nachhaltigen Entwicklungszielen für dieses Umweltziel einsetzen.
Im Einzelnen begründet der WBGU seine Empfehlungen wie folgt:
Die Berücksichtigung ökologischer Grenzen in Form planetarischer Leitplanken ist Voraussetzung für Armutsbekämpfung und Entwicklung. Planetarische Leitplanken sind quantitativ definierbare Schadensgrenzen, deren Überschreitung heute oder in Zukunft intolerable Folgen mit sich brächte, so dass auch großer Nutzen in anderen Bereichen diese Schäden nicht ausgleichen könnte. Wenn Leitplanken überschritten werden, zum Beispiel durch den Verlust fruchtbarer Böden, können bisherige Erfolge der Armutsbekämpfung zunichte gemacht werden. Auch die weltweit aufstrebenden Mittel- und Oberschichten, also die wohlhabendsten 3 Mrd. Menschen, würden in ihrer Entwicklung gebremst werden, etwa durch Extremwetterereignisse.
Die Berücksichtigung planetarischer Leitplanken bedeutet keine Begrenzung für die zukünftige Entwicklung der ärmsten 2 Milliarden Menschen, die mit weniger als 2 US-$ täglich auskommen müssen. Vielmehr wird Entwicklung auf Dauer nur innerhalb der planetarischen Grenzen möglich sein, weil etwa Ernährungssicherheit ohne Erhalt der Böden nicht möglich ist. Darüber hinaus können die Grundbedürfnisse menschlicher Entwicklung, wie etwa Zugang zu Nahrung und Energie, ohne eine Verletzung von Leitplanken erreicht werden.
Konsumentscheidungen und Lebensstile der Mittel- und Oberschichten tragen am stärksten zur Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen bei, etwa durch deren hohen Ressourcenverbrauch oder CO2-Ausstoß pro Kopf. Gleichzeitig haben diese Gruppen aber den besten Zugang zu nachhaltigen Technologien. Damit obliegt ihnen die Verantwortung, Vorreiter für den Schutz des Erdsystems zu werden und Raum für eine nachhaltige Entwicklung der armen Bevölkerungsgruppen zu schaffen. Bereits der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Michael Spence wies darauf hin, dass das bestehende Wachstumsmuster nicht global übertragbar ist. Hier ist die Politik gefordert, passende Voraussetzungen für nachhaltige Produktions- und Konsummuster zu schaffen. Ordnungsrecht sollte in Form von Ge- und Verboten den Rahmen zur Einhaltung von Leitplanken setzen und marktwirtschaftliche Instrumente die dazu förderlichen Anreize. Konsumenten und Produzenten benötigen zudem ausreichend Informationen zur Beurteilung des eigenen Handelns. Gleichzeitig sollten tägliche Konsumentscheidungen, etwa durch Aufklärungskampagnen und Bildungsprogramme, stärker problematisiert werden, damit individuelles Handeln die politische Gestaltung unterstützt.
Planetarische Leitplanken verdeutlichen die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit. Globale Gemeinschaftsgüter wie die Atmosphäre lassen sich nicht durch unilaterale Maßnahmen schützen. Eine Kooperation der internationalen Staatengemeinschaft zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen zu forcieren, ist somit eine der großen Menschheitsherausforderungen des 21. Jahrhunderts. Das vom WBGU empfohlene Umweltziel kann bei der Entwicklung von Institutionen zum Schutz des Erdsystems einen wichtigen Beitrag leisten.
Im September beginnen die zwischenstaatlichen Verhandlungen zu den nachhaltigen Entwicklungszielen, die im Herbst 2015 von der UN-Generalversammlung verabschiedet werden sollen.
Das Politikpapier ist unter www.wbgu.de als PDF verfügbar.
Rückfragen bitte an:
Geschäftsstelle WBGU
Luisenstraße 46
D-10117 Berlin
Tel: 030 263948 0
E-Mail: wbgu@wbgu.de
Internet: www.wbgu.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Energie, Gesellschaft, Meer / Klima, Politik, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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