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07.02.2003 13:36

Gentherapie-Studien mit retroviralen Vektoren können weitergeführt werden

Dr. Susanne Stöcker Medien - und Öffentlichkeitsarbeit
Paul-Ehrlich-Institut (Federal Agency for Sera and Vaccines)

    In einer gemeinsamen Pressemittelung berichten das Paul-Ehrlich-Institut und die Bundesärztekammer über die Entscheidung, dass einige der unterbrochenen Gentherapie-Studien mit retroviralen Vektoren in Deutschland weitergeführt werden können. Gründe für das Auftreten einer Leukämie-ähnlichen Erkrankung im Rahmen der sogenannten SCID-X1-Studie werden diskutiert.

    Bestimmte Gentherapiestudien unter Verwendung retroviraler Vektoren werden in Deutschland zu Beginn bzw. Weiterführung empfohlen. Dies ist das Ergebnis einer Sitzung der Kommission Somatische Gentherapie (KSG) des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer in Abstimmung mit dem Paul-Ehrlich-Institut am Dienstag, dem 04.02.2003. Bei einer Gentherapie-Studie zur Behandlung der erblichen Immunschwächekrankheit SCID-X1 ("Severe Combined Immunodeficiency Disease") waren in Frankreich kürzlich zwei Leukämie-ähnliche Krankheiten aufgetreten. Vorsichtshalber waren daraufhin auch andere Gentherapie-Studien unter Verwendung retroviraler Vektoren unterbrochen worden, um das Nutzen-/Risikoverhältnis neu zu bewerten.
    Im einzelnen wurde beschlossen, die Aufnahme einer HIV-Gentherapiestudie unter strengen Auflagen zu befürworten. Zwei weitere Studien zur Spender-gegen-Wirt Krankheit (GvHD) erhielten bereits im Januar 2003 eine positive Empfehlung, nachdem Protokolländerungen inklusive eines expliziten Hinweises auf die Leukämiefälle bei der französischen Gentherapiestudie (s.u.) vorgelegt worden waren. Die Gentherapie der rheumatoiden Arthritis kann derzeit wegen notwendiger Protokollverbesserungen nicht empfohlen werden. Gegen eine lokale Rheuma-Gentherapie unter Verwendung retroviral modifizierter Gelenkzellen bestehen jedoch keine grundsätzlichen Einwände. Dagegen wird die bisherige Empfehlung zur Unterbrechung der Studie zur Chronischen Granulomatose (CGD; "Chronic Granulomatous Disease") aufrecht erhalten, bis das Leukämierisiko nach Behandlung mit lebenden, retroviral modifizierten Blutstammzellen genauer eingeschätzt werden kann. Hier werden in den nächsten Monaten weitere wissenschaftliche Erkenntnisse erwartet.
    "Die Empfehlung der KSG und des Paul-Ehrlich-Instituts beziehen aktuelle Erkenntnisse über Leukämierisiken bei der Verwendung retroviraler Vektoren ein. Sie machen aber auch deutlich, dass retrovirale Vektoren weiterhin im Rahmen der Gentherapie eingesetzt werden können " fasste Prof. Klaus Cichutek, der Vizepräsident des Paul-Ehrlich-Instituts und Vorsitzender der KSG, die Entscheidung zusammen. Eine auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauende Risiko-/Nutzenanalyse sowie die Beratung der Antragsteller durch KSG und zuständige Behörden sichere den an Gentherapiestudien teilnehmenden Patienten grösstmögliche Sicherheit und zeitnahe Risikoberatung. Aufgrund dieser Rahmenbedingungen ist die Entwicklung neuartiger Therapien auch bei Auftreten erhöhter Risiken schrittweise weiterhin vertretbar.
    Hintergrundinformation
    Hintergrund für die Neubewertung der Studien war das kürzliche Auftreten von zwei Leukämie-ähnlichen Krankheiten bei Kindern, deren erbliche Immunschwächekrankheit SCID-X1 im Rahmen einer französischen Gentherapiestudie (Studienleiter: Dr. Alain Fischer) vor etwa drei Jahren mit retroviral modifizierten Knochenmarkstammzellen behandelt worden war. Hierzu lagen der Bundesärztekammer und dem Paul-Ehrlich-Institut zum Zeitpunkt der Entscheidung vollständige mündliche Informationen von Alain Fischer und den mit ihm zusammenarbeitenden Wissenschaftlern über die bisherige Analyse der Mechanismen vor, die zum Auftreten der zwei Leukämiefälle geführt hatten. Es besteht der begründete Verdacht, dass der Einbau der Genfähre (Insertion des retroviralen Vektors in das LMO2-Gen im Erbgut der modifizierten Blutstammzellen) im Kontext des SCID-X1-Gentherapieansatzes bei beiden Kindern die Leukämie-ähnliche Vermehrung der weißen Blutzellen verursachte. Weltweit besteht bisher ausschliesslich bei den zwei im Rahmen der SCID-X1-Gentherapiestudie behandelten Patienten der Verdacht der Tumorinduktion durch die Anwendung bestimmter Vektoren. Allerdings ist derzeit nicht auszuschliessen, dass auch bei anderen Anwendungen retroviral modifizierter Blutstammzellen ein Risiko der Leukämieentstehung besteht.
    Die Experten der KSG und des Paul-Ehrlich-Instituts waren sich einig, dass nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis eine Einschätzung des Leukämierisikos nach Anwendung lebender, retroviral modifizierter Zellen abhängig zu sein scheint von:
    - der Art der retroviral modifizierten Zelle,
    - - dem zu erwartenden Ausmaß der Zellvermehrung im Körper (in-vivo Expansion) und der damit einhergehenden natürlichen Mutationsrate;
    - - der Anzahl der zu übertragenden retroviral modifizierten Zellen,
    - - dem Einfluss des therapeutischen Gens auf die Zellvermehrung und/oder Differenzierung und
    - - dem Alter der Behandelten.
    Bei der Risiko-/Nutzenanalyse wurde weiterhin die Schwere der Krankheit der Patienten in Betracht gezogen.
    Bei der Anwendung retroviral modifizierter Lymphozyten oder anderer modifizierter somatischer Zellen sehen die Experten ein geringeres Risiko als bei der Anwendung modifizierter Blutstammzellen. Entscheidend ist weiterhin, dass die bei der CGD-, der HIV- und der GvHD-Gentherapie übertragenen therapeutischen Gene nicht im Verdacht stehen, zur Zellvermehrung und damit zur Tumorinduktion beizutragen. Das Risiko erscheint daher bei der CGD-Studie erhöht, da bei dieser Therapie Stammzellen modifiziert werden, welche aufgrund einer vorgesehenen Chemotherapie zur Vorbereitung der Gentherapie zusätzlich zur Zellvermehrung (Proliferation) angeregt werden sollen. Es kann empfohlen werden, die HIV-Gentherapiestudie zu beginnen, weil hier Lymphozyten modifiziert werden und das therapeutische Gen nicht im Verdacht steht, eine vermehrte Zellproliferation auszulösen. Die Empfehlung zur Aufnahme der HIV-Gentherapiestudie wird an die Bedingung geknüpft, das Patientenkollektiv auf AIDS-Kranke mit Resistenz gegenüber zugelassenen anti-retroviralen Chemotherapeutika einzuschränken. Ähnliche Gründe gelten für die Empfehlung, die GvHD-Studien weiterzuführen, bei denen ebenfalls kein die Zellvermehrung förderndes Gen eingesetzt wird. Auch bei diesen Studien werden lebensbedrohlich Erkrankte behandelt.
    Über die zur Weiterführung bzw. Aufnahme empfohlenen Studien können jetzt die zuständigen, nach Landesrecht gebildeten Ethikkommissionen entscheiden. Im Falle eines positiven Votums dieser Ethikkommissonen müssen die gewünschten Protokolländerungen beim Paul-Ehrlich-Institut vorgelegt werden. Das Institut wird dann der zuständigen Landesbehörde die Aufhebung der Studienunterbrechung empfehlen.


    Weitere Informationen:

    http://www.pei.de/pm/2003/2_2003.htm


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Organisatorisches
    Deutsch


     

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