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12.02.2003 10:27

"... das nicht vergudet oder vnnützlich ußgeben werd"

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Geschichte: Das Bild, das wir vom mittelalterlichen Hof haben, ist durch die Literatur geprägt und lässt an Minnesang und edle Ritter denken. Die Historikerin Prof. Ellen Widder untersucht dagegen Hofordnungen als historische Quellen, um herauszufinden, wie das Leben "bei Hofe" wirklich aussah. Sie hat festgestellt, dass die Hofordnungen weniger die Sitzordnung an der Tafelrunde regeln, als vielmehr die Machtverhältnisse und die sparsame Haushaltsführung.

    Mittelalterliche Hofordnungen erlauben einen Blick hinter die Kulissen von Fürstenhäusern

    Königliche Gewänder und tiefe Hofknickse, holde Prinzessinnen und tapfere Ritter wie aus dem Märchen - das Stichwort "Hof" weckt jede Menge Assoziationen, die oft wenig mit der Realität zu tun haben. "Aber nicht nur Normalbürger sind vorgeprägt, auch Historiker haben Probleme, an das Thema heranzugehen", sagt die Mittelalterforscherin Prof. Ellen Widder vom Historischen Seminar der Universität Tübingen. Denn zum einen dominiere die literarische Überlieferung, etwa die mittelalterlichen Ritterromane, auch das historische Bild vom Hofleben, zum anderen halte sich das Vorurteil, ein Hof sei bloße Geldverschwendung gewesen. Deshalb beschäftigt sich die Geschichtswissenschaft erst seit etwa 15 Jahren mit dem Phänomen "Hof" und mit Themen wie "Wozu war der ganze Luxus gut?" oder "Womit hat ein Fürst geherrscht?" Um solche Fragen zu beantworten, stützt sich die Tübinger Historikerin auf so genannte Hofordnungen, Dokumente, die beispielsweise die Aufgaben von Hofbeamten regeln, und damit historische, also nicht-literarische Quellen darstellen.

    "Von des hußhoffmeister ampts wegen soll er [...] daran sin, das nicht vergudet oder vnnützlich ußgeben werd" - ein mittelalterlicher Haushofmeister hatte dafür zu sorgen, dass sparsam gewirtschaftet wurde, wie aus einer Hofordnung aus dem Jahr 1474 hervorgeht. Bei Recherchen zu ihrer Habilitationsschrift über Kanzleien im Spätmittelalter war Ellen Widder eher zufällig auf diese Hofordnung gestoßen, die der Pfälzische Kurfürst Friedrich I. für den Hof seines Stiefsohns Philipp erlassen hat. Seitdem lässt sie das Thema nicht mehr los. "Man kann hinter die Kulissen blicken", erklärt sie ihre Faszination. Denn hier ist beispielsweise bis ins Detail beschrieben, was auf die fürstliche Tafel kam: Für das Gesinde gab es "an sontag, dinstag vnd dornstag zwey gesotten fleisch, zwey gemüse", den Räten "soll man allen tag ein gebratenes geben". Die Hofordnung ist aber weniger eine Anleitung für ein üppiges Ritter-Gelage, vielmehr stehen hauswirtschaftliche Aspekte im Vordergrund. So soll der Haushofmeister auch darauf achten, "das die koche ire geschirre, kessel, pfannen, hefen, rost, spis, leffel reynclich halten" und der Küchenschreiber muss jeden Tag aufschreiben, "obe geste gespiset sint vnd wie viel vnd warumb".

    In den Abschnitten über die Kanzlei und den Kammermeister ist ebenfalls von sparsamer Wirtschaft und penibler Buchführung die Rede. Sind Hofordnungen also nur "Verwaltung in Reinkultur"? Nein, sagt Ellen Widder, und verweist auf eine Aufgabe, die fast alle in der Hofordnung genannten Amtsträger zu erfüllen hatten: "nach allen sinen synnen und besten vermogen verhuten vnd darfur sin, das zvssen vns vnd vnserm sone nit irrunge, unwille noch widderspann entstee." "Alle sollten dafür sorgen, dass es keinen Krach zwischen Friedrich und seinem Sohn gibt", übersetzt Widder, "das bedeutet, dass die Hofordnung aus einem speziellen Anlass entstanden ist: Es gab Konflikte zwischen dem Fürsten und seinem Nachfolger." Wenn man annimmt, dass Hofordnungen nur dann erlassen wurden, wenn es einen bestimmten Grund dafür gab, lässt sich auch erklären, warum nur so wenige vorhanden sind. "Für den gesamten Bereich des deutschen Reiches sind höchstens 20 mittelalterliche Hofordnungen erhalten - es gab aber etwa 120 Höfe", berichtet Widder, die all diese Dokumente zusammengetragen hat. Ein solcher Anlass wäre beispielsweise die Hochzeit eines Prinzen. Die Historikerin hat aber noch eine andere Theorie: "Eine Hofordnung kann auch als Symbol stehen, nach dem Motto: Wenn ich eine Hofordnung habe, habe ich auch einen Hof." Dies war vor allem der Fall bei relativ kleinen Höfen, zum Beispiel bei denen von jüngeren Geschwistern des Fürsten. Sie gaben sich eine Hofordnung, um ihren Adelsrang zu betonen.

    Je nach Entstehungsgrund unterscheiden sich auch Inhalt und Überlieferungsform der Hofordnungen. In Ellen Widders Sammlung befindet sich etwa eine Hofordnung des württembergischen Grafen Eberhard aus dem Jahr 1478, eine richtige Urkunde, die auf Pergament geschrieben und mit 22 Siegeln versehen ist. "Andere wirken eher wie ein Konzept, ohne Rechtswirkung", erzählt Widder, "da ist etwas durchgestrichen und verbessert, es gibt Nachträge und Einfügungen in einer anderen Handschrift." Gemeinsames Merkmal der Hofordnungen ist jedoch, dass sie keinen Organisationsplan des Hofes darstellen, wie man im 19. Jahrhundert dachte, erklärt die Wissenschaftlerin: "Nicht das ganze höfische Personal bis zum Küchenjungen wird erfasst, sondern die Personen an den Schaltstellen der Macht werden in ihre Aufgaben eingewiesen und darauf verpflichtet."

    In einem Punkt bestätigen die Dokumente allerdings Vorstellungen, die man vom mittelalterlichen Hofleben hat: Ausführlich beschreibt die Hofordnung, wie die Frauen am Hof kontrolliert und bewacht wurden - "aber auch vor testosterongesteuerten Rittern geschützt", betont die Historikerin. Natürlich darf der Frauen-Hofmeister "nymant vnzucht gestatten". Wer grob zu den Frauen ist, wird vor den Fürsten gebracht, und es ist nicht erlaubt, um eine Jungfrau oder eine Kammermagd zu werben. Die Hofordnung zeigt aber auch, dass den Frauen vieles gewährt wurde: Alles, was sie essen oder trinken möchten, soll ihnen gebracht werden, und ab und zu darf sich die Fürstin einen Ring kaufen, ohne ihrem Mann über diese Ausgabe Rechenschaft ablegen zu müssen. Eine weitere Aufgabe des Hofmeisters bestand darin, die zukünftige Fürstin zu unterweisen, wie sie sich in ihrer Rolle richtig kleidet und verhält. Da sich die Eheleute damals vor der Hochzeit kaum kannten, hatte er auch dafür zu sorgen, dass zwischen ihr und ihrem Mann Liebe und Freundschaft herrschen. "Die Hofordnung dient also auch dazu, ein junges Ehepaar für die Herrschaftsnachfolge fit zu machen", fasst Widder zusammen, "sie regelt die Realitäten des höfischen Alltags."

    Bei der Fortsetzung ihrer Forschungen will Ellen Widder alle verfügbaren deutschen Hofordnungen aus dem 15. Jahrhundert miteinander vergleichen, und dabei vor allem den Zusammenhang von Inhalt, Entstehungsbedingungen und Überlieferungsform untersuchen. "Die äußere Form, der Text als Text, gibt über die Gebrauchsfunktion Auskunft", erklärt sie. "Je nachdem könnte sie einen anderen Stellenwert besessen haben: Hat sich das nur ein Kanzleischreiber ausgedacht? Oder musste sich der ganze Hof daran halten?" Schon jetzt steht aber fest, dass Hofordnungen nicht die höfische Etikette, die Länge der Kleider der Damen oder die Sitzordnung der Tafelrunde regeln: "Eine Hofordnung ist in erster Linie ein Instrument, das den Geld- und Warenfluss kontrolliert."

    Nähere Informationen:

    Prof. Dr. Ellen Widder
    Universität Tübingen
    Historisches Seminar, Abteilung für Mittelalterliche Geschichte
    Wilhelmstr. 36
    72074 Tübingen
    Tel.: 07071/29 7 42 32
    Fax: 07071/29 59 05
    E-Mail: ellen.widder@uni-tuebingen.de

    Der Pressedienst im Internet: http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pd/pd.html


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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