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06.03.2003 11:58

Helicobacter pylori und andere Immuntrainer

Peter Pietschmann Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universität Ulm

    Helicobacter pylori und andere Immuntrainer
    Zweite Runde der Ulmer Säuglingsstudie
    Einladung zur Pressekonferenz auf Montag, den 17. März 2003, 11.00 Uhr, Barockbibliothek Kloster Wiblingen

    Derzeit wird in Ulm eine bundesweit einmalige epidemiologische Studie durchgeführt, in die alle Kinder einbezogen sind, die zwischen November 2000 und November 2001 in der Universitätsfrauenklinik Ulm geboren wurden. Insgesamt konnten 1060 Mütter und deren Säuglinge in die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützte Studie einbezogen werden, die gemeinsam von den Abteilungen Frauenheilkunde und Geburtshilfe (Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Rolf Kreienberg) und Innere Medizin I (Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Guido Adler) der Universität Ulm und der Abteilung Epidemiologie des Deutschen Zentrums für Alternsforschung (DZFA) an der Universität Heidelberg (Leiter Prof. Dr. Hermann Brenner) durchgeführt wird. Zum ersten Geburtstag der Kinder wurde nun erstmalig deren Gesundheitszustand erneut erhoben. Dank der Mitwirkung der Eltern und der Kinderärzte der Region wurde bei dieser ersten Nachbeobachtungsrunde eine Beteiligung von nahezu 90% erreicht.

    Das erst 1983 im menschlichen Magen "wiederendeckte" Bakterium Helicobacter pylori wird gegenwärtig als wichtigste Ursache der Magenschleimhautentzündung und des Magengeschwürs sowie als Mitursache bei der Entwicklung von Magenkrebs angesehen. Bei den meisten Menschen verläuft die Besiedlung (unter der schützenden Schleimschicht des Magens) jedoch ohne erkennbare Symptome. Man nimmt an, daß ca. 50% der Weltbevölkerung mit diesem Keim infiziert sind. Da Helicobacter pylori und der Mensch wahrscheinlich den größten Teil ihrer Evolutionsgeschichte gemeinsam durchlaufen haben, liegt die Vermutung nahe, daß die Besiedlung für den Menschen nicht nur schädlich, sondern in irgendeiner Weise auch von Nutzen ist. Dieser Nutzen könnte beispielsweise in einer besseren Antikörperausstattung auf der Magenschleimhaut (mit vermindertem Risiko für Durchfallerkrankungen) bestehen. Es gibt auch Hinweise darauf, daß der Keim in der frühen Kindheit das Immunsystem im Sinn einer Herabsetzung des Risikos für allergische Erkrankungen beeinflußt.

    Die Ulmer Säuglingsstudie soll dazu beitragen, die Faktoren herauszufinden, die für die gesundheitliche Entwicklung der Kinder von Bedeutung sind. Dabei sind vor allem der Magenkeim Helicobacter pylori und weitere frühkindliche Infektionen im ersten Lebensjahr von großem Interesse. In der Studie waren bei Geburt des Kindes ca. jede vierte Mutter und ca. jeder vierte Vater mit dem Magenkeim besiedelt. Schwangerschaftserbrechen und Übelkeit, die bei nahezu 80% vorkommen und deren Ursachen noch ungeklärt sind, treten bei Schwangeren mit und ohne Helicobacter-pylori-Infektion gleichhäufig auf. Der Magenkeim "schlägt" also den Schwangeren nicht auf den Magen.

    Da Helicobacter pylori ein "Eisenfresser" ist, lag die Vermutung nahe, daß der Besiedlungsstatus der Mutter einen Einfluß auf die Ausprägung einer Schwangerschaftsanämie hat. Einer Eisenmangelanämie wird bekanntlich durch Eisengabe während der Schwangerschaft vorgebeugt. In diesem Zusammenhang erweist sich Helicobacter pylori nicht als ganz harmloser Siedler, da er den Anteil des roten Blutfarbstoffs leicht reduziert. Dies geschieht jedoch in einer Größenordnung, die von geringer klinischer Relevanz sein dürfte.

    Neue Erkenntnise ergaben sich im Zusammenhang mit der Blutgruppe der Mutter: Helicobacter pylori unternimmt ein raffiniertes Täuschungsmanöver, um dem körpereigenen Angriff des Immunsystems zu entgehen. Es exprimiert an seiner Zelloberfläche Proteinstrukturen, die sich auch auf Blutzellen finden, und gibt so vor, ein körpereigener Bestandteil zu sein. Über diese Strukturen findet auch eine Anbindung an die Zellen der Magenschleimhaut statt - eine für die dauerhafte Siedlung notwendige Vorraussetzung. Die Expression dieser Membranbestandteile auf der Zelloberfläche von Helicobacter pylori und damit die Anhaftung auf der Magenschleimhaut scheint aber bei Menschen, die lösliche Antikörper gegen diese Bestandteile im Speichel und anderen Körperflüssigkeiten haben, erschwert zu sein. Das ist bei Personen mit dem Blutgruppenmerkmal Lewis A-/B+ der Fall; sie haben deshalb die Infektion viel seltener als andere.

    Der Anteil der stillenden Mütter in der Studie lag erfreulicherweise sehr hoch. So haben nahezu 80% aller Mütter sechs Wochen nach der Geburt und über 60% sechs Monate danach noch gestillt. Von 98% aller stillenden Mütter konnte eine Milchprobe eingeholt werden. Damit verfügt die Forschergruppe über die weltweit einmalige Gelegenheit, die Bedeutung des Stillens und die Zusammensetzung der Muttermilch im Hinblick auf die weitere gesundheitliche Entwicklung der Kinder genauer zu erforschen. Die Muttermilch enthält neben Ernährungskomponenten auch verschiedene Substanzen, die immunologische Aufgaben wahrnehmen. Auf diese Weise schützt das Stillen den kindlichen Organismus vor einer Reihe von Infektionen, bis dieser mehr und mehr diese lebenswichtige Aufgabe selbst wahrnehmen kann. In diesem Kontext führte die Studie zu beeindruckenden Erkenntnissen: Tatsächlich fand sich bei Helicobacter-pylori-infizierten Müttern auch ein erstaunlicher Antikörperschutz gegen den Keim in der Muttermilch (passive Immunisierung). Teilweise sogar bei Müttern, die zum Zeitpunkt der Untersuchung gar keine Infektion mit H pylori (mehr) hatten; anscheinend wird hier das immunologische "Gedächtnis" der Mutter nach früherem Keimkontakt mobilisiert, um dem Kind den maximalen Antikörperschutz über die Muttermilch zu vermitteln.

    Ein spezifischer Antikörperschutz gelangt auch vom Blut der Mutter über die Nabelschnur in den kindlichen Kreislauf (und ist teilweise bis zum 1. Lebensjahr dort nachzuweisen). Diese mütterlichen Antikörper helfen den kindlichen Organismus zu schützen, bis sich dessen eigenes Immunsystem ausbildet. Von allen einjährigen Kindern wurde eine Stuhlprobe zu Feststellung des Besiedlungsstatus mit Helicobacter pylori untersucht. Dabei zeigte sich, daß es im ersten Lebensjahr kaum zu einer Übertragung des Keims auf das Kind kommt. Nur ca. 2% der 1jährigen waren infiziert. Dies könnte nicht zuletzt dem passiven Schutz durch die Mutter über das Nabelschnurblut und die Muttermilch zu danken sein.

    Das menschliche Immunsystem bildet sich in den ersten Lebensjahren langsam aus, und es gibt Vermutungen, daß der Schlüssel zu vielen Gesundheitsstörungen, z. B. Allergien, die sich eventuell erst im Erwachsenenalter bemerkbar machen, in diesem Prozeß liegt. Um diese Fragen zu klären, ist eine weitere Verfolgung der gesundheitlichen Entwicklung aller Studien-Kinder unerläßlich. Eine zweite Nachbeobachtung wird derzeit unter Einbeziehung der niedergelassenen Kinderärzte der Region jeweils zum 2. Geburtstag der Kinder durchgeführt.

    Von den Professoren Adler und Kreienberg werden erste Ergebnisse der Studie am

    Montag, dem 17. März 2003, 11.00 Uhr
    im Studienzentrum im Kloster Wiblingen (Barockbibliothek), Schloßbau 38, 89079 Ulm,

    vorgestellt. Die Vertreter der Medien sind dazu herzlich eingeladen.

    Kontakt: Tel. 08001060-123 oder 0731-50-25821


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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