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12.03.2003 08:31

Verdammt und gepriesen: Der geldorientierte Mensch im Lauf der Zeit

Robert Emmerich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Das Ansehen von Menschen, die ausgesprochen geld- oder profitorientiert handeln, hat sich in den vergangenen Jahrhunderten stark gewandelt. Das lässt sich auch aus der Literatur herauslesen. Laurenz Volkmann von der Uni Würzburg hat diese Veränderung in seiner Habilitationsarbeit anhand von einer großen Anzahl englischsprachiger Autoren erforscht.

    Die Studie untersucht die Entstehung des "Homo oeconomicus". Damit ist ein Menschentypus gemeint, der stark von individualistischen, auf Profitmaximierung, Selbstbereicherung und Eigennutz bestimmten Vorstellungen beherrscht ist. Im Mittelalter wurde ein solcher Mensch abgelehnt, ja sogar verdammt, denn damals galten andere Prinzipien: Der Mensch hatte sich am Gemeinwohl zu orientieren und Sorge für das Leben im Jenseits zu tragen. Dafür galt es, Erworbenes wieder der Gemeinschaft zukommen zu lassen, etwa in Form von Stiftungen.

    Erst in der Frühen Neuzeit erfuhr der Mensch als Wirtschaftender eine Aufwertung, bis sich schließlich Händler und Kaufleute seit dem 18. Jahrhundert als neues Leitbild der Gesellschaft etablierten. Allerdings verlief diese Entwicklung alles andere als geradlinig, wie Volkmann herausgefunden hat. "Es kam immer wieder zu Brüchen und Widersprüchen, die sich in starken Polarisierungstendenzen bei der Bewertung des Homo oeconomicus niederschlagen", so der Würzburger Anglist.

    Das war auch im Mittelalter der Fall: Volkmann hat nachgewiesen, dass bei Geoffrey Chaucers "Canterbury Tales" (um 1400) und anderen Texten dieser Zeit dem Handelstreibenden auch positive Attribute zugestanden werden. So gilt er bisweilen als Gehilfe Gottes bei der gerechten Verteilung der natürlichen Ressourcen. Noch dazu erhält er als Mehrer des nationalen Reichtums eine wichtige gesellschaftliche Rolle zugewiesen.

    Dies wird in der Renaissance wieder aufgegriffen, so dass spätestens bei Christopher Marlowe, William Shakespeare und Ben Jonson ein schillernd-widersprüchliches Bild des Homo oeconomicus entsteht. So taucht zwar in Shakespeares "The Merchant of Venice" der oft als Verkörperung von Gier und Grausamkeit gedeutete Jude Shylock auf. Gleichzeitig betont das Drama aber die ungeheuren Möglichkeiten der Bereicherung, die sich im überseeischen Handel bieten.

    Am Beginn der Neuzeit, im 17. Jahrhundert, entwickeln sich deutlich erste Polarisierungstendenzen, wobei bürgerliche Stimmen gegen aristokratische Traditionen der herablassenden Ablehnung der Handelswelt laut werden. Etliche heute eher unbekannte Autoren stellen dabei bürgerliche Redlichkeit und handwerkliche Bodenständigkeit gegen adelige Luxussucht und volkswirtschaftlich verderbliche Prasserei.

    Auch innerhalb des für England und später für Amerika so wichtigen Puritanismus, der generell als starke Formkraft des Homo oeconomicus verstanden wird, zeigen sich Widerstände gegen das aufstrebende Menschenbild. Langfristig formte der Puritanismus zwar die sprichwörtliche "puritanische Arbeitsethik", doch im 17. Jahrhundert fühlt er sich zugleich stark den Prinzipien des luxusfeindlichen, gemeinschaftsdienlichen Arbeitslebens verpflichtet.

    Am Beginn des 18. Jahrhunderts verhärten sich die gegensätzlichen Positionen. Sie gipfeln auf der einen Seite in der Aufwertung des Homo oeconomicus bei Bernard Mandeville und Daniel Defoe, auf der anderen Seite in seiner resoluten Ablehnung in den Schriften neoklassizistischer Autoren wie Alexander Pope und Jonathan Swift. Einerseits wurde Defoes "Robinson Crusoe" (1719) zum Urtyp des rational wirkenden und der Arbeit zugewandten westlichen Menschen, gar zum frühen fiktiven Vorbild der späteren Imperialisten. Andererseits erkannte Swift im neuen Modell vom Menschen eher den egoistischen, nur auf Selbstbereicherung ausgerichteten Aufsteigertypus.

    Schließlich lässt sich mit der Etablierung des neuen Menschenbilds am Ende des 18. Jahrhunderts eine multiperspektivische Bestandsaufnahme erkennen: In Tobias George Smolletts Roman "Humphry Clinker" werten verschiedene Charaktere das inzwischen von Industrialisierung und Gelddenken durchdrungene Großbritannien auf höchst unterschiedliche Weise: Einerseits als Land, das dem Individuum viele Möglichkeiten der Selbstbereicherung- und verwirklichung bietet. Andererseits wird mit nostalgischem Blick der Verlust von Gemeinschaftsbindungen und Verantwortungsgefühl beklagt. Diese divergierenden Positionen sind laut Volkmann bis heute bestehen geblieben.

    Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat diese Arbeit mit einer Druckbeihilfe von rund 5.600 Euro unterstützt. Weitere Informationen: PD Dr. Laurenz Volkmann, E-Mail:
    laurenz.volkmann@freenet.de


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    In dieser englischen Karikatur von 1773 wird ein altes antisemitisches Stereotyp aufgegriffen: "Der jüdische Geizhals" als böse Inkarnation des Homo oeconomicus.
    In dieser englischen Karikatur von 1773 wird ein altes antisemitisches Stereotyp aufgegriffen: "Der ...

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    In dieser englischen Karikatur von 1773 wird ein altes antisemitisches Stereotyp aufgegriffen: "Der jüdische Geizhals" als böse Inkarnation des Homo oeconomicus.


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