„Die jüngsten Veröffentlichungen der Bertelsmann Stiftung zu regionalen Unterschieden in der Gesundheitsversorgung sind der sachgerechten Information abträglich“, sagt der Generalsekretär der Gesellschaft für Urologe e.V. (DGU), Prof. Dr. Oliver Hakenberg. Die Stiftung hatte am 16. September in Berlin einen neuen „Faktencheck Gesundheit“ vorgestellt: eine Analyse regionaler Gesundheitsversorgung in Deutschland – bezogen auf die Landkreise - anhand ausgewählter Eingriffe.
Dabei wurde unter anderem festgestellt, dass es zwischen verschiedenen Landkreisen Unterschiede in der Häufigkeit der radikalen Prostataentfernung gebe; diese variiere zwischen 2 und 13 pro 10.000 Männern/Landkreis. Es wurde betont, dass diese Untersuchung in Zusammenarbeit mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) entstanden sei. Die OECD hatte regionale Unterscheide zwischen und innerhalb von 13 Ländern analysiert.
Während die OECD-Studie auch feststellt, dass es in Deutschland regionale Versorgungsunterschiede gibt – bezogen auf Basis des Vergleichs der Bundesländer – weist sie die gleichen regionalen Versorgungsunterschiede in allen anderen untersuchten europäischen und außereuropäischen Ländern auch aus. Für Deutschland stellen die Autoren der OECD-Studie ausdrücklich fest, dass es regionale Versorgungsunterschiede gibt, die aber nicht einfach erklärbar seien. Für die Autoren der OECD-Studien ergibt sich daraus die Notwendigkeit, weitere Untersuchungen zu möglichen Unterschieden in der Inzidenz und Prävalenz der Erkrankungen, aber auch zu anderen möglichen Ursachen, so zu soziodemographischen und strukturellen Unterschieden im Gesundheitssystem, durchzuführen, bevor Erklärungen gegeben werden können. Belastbare Ergebnisse bezüglich der möglichen Ursachen der festgestellten regionalen Versorgungsunterschiede, so die OECD-Studie, seien bislang nicht vorhanden.
Prof. Hakenberg: „Demgegenüber liefert ‚Faktencheck Gesundheit’ mit den eigenen Landkreis-bezogenen Zahlen rasch auch schnell Erklärungen und Handlungsanleitungen.“ Regionale Unterschiede bei Operationsverfahren seien ein Ausdruck von regionaler „Überversorgung“ bzw. „Übertherapie“, so auch bei der radikalen Prostataentfernung. Auch weiß der „Faktencheck“, wer dafür
verantwortlich ist, nämlich die Ärzte, die sich nicht ausreichend mit Leitlinien befassen und zuwenig Active Surveillance beim Prostatakarzinom anbieten würden. Außerdem gäbe es vielleicht nicht genügend Strahlenkliniken, so „Faktencheck Gesundheit“.
„Im Vergleich zur OECD-Studie zeigen die Verlautbarungen von ‚Faktencheck Gesundheit’ einen deutlichen Mangel an kritischer Bewertung der eigenen Zahlen. Es werden interaktive Karten mit farblicher Hervorhebung der Landkreise gezeigt, die statistische Methodik, die der Analyse zugrunde liegt, wird nicht gewürdigt und eine Methodenkritik findet nicht statt. So erfährt man nicht, ob eine Varianzanalyse durchgeführt wurde und ob die Unterschiede zwischen den verschiedenen Landkreisen überhaupt statistisch signifikant sind“, kritisiert der DGU-Generalsekretär.
Aus der Tatsache, dass in einem Landkreis 2 pro 10.000 männliche Einwohner radikal operiert wurden und in anderen aber 14 pro 10.000, folgern die Autoren von „Faktencheck Gesundheit“, dass der obere Wert eine Übertherapie darstelle. Prof. Hakenberg: „Womit diese Behauptung begründet werden kann, bleibt völlig offen. Die rein theoretische Möglichkeit, dass in Kreisen mit niedrigen Operationszahlen eine Untertherapie vorliegt, wird gar nicht erst in Betracht gezogen. Ein Abgleich mit Inzidenzzahlen oder der Häufigkeit von Strahlentherapie oder hormoneller Behandlung beim Prostatakarzinom findet nicht statt.“
Generell müsse man sich fragen, wie denn Durchschnittswerte überhaupt bewertet werden sollen, wenn jede Abweichung vom Durchschnittswert eine Auffälligkeit darstellt. Man könne kaum erwarten, dass bei der Erhebung von regionalen Zahlenwerten alle Regionen grundsätzlich den gleichen Wert aufweisen können, so der Rostocker Urologe weiter. Sein Fazit: „Hier wird offenbar mit einer vorgefassten Meinung Zahlenmaterial interpretiert, dessen Erhebungsweise und Qualität eine Interpretation wissenschaftlich gar nicht erlaubt, ohne sehr viel weiter auszuholen. Es wird hier bedauerlicherweise die gebotene Gründlichkeit durch eine vorgefasste Meinungen ersetzt, was einer sachgerechten Information der Öffentlichkeit nicht dienlich ist.“
Kontakt:
Prof. Dr. med. Oliver Hakenberg
Universitätsklinik Rostock, Med. Fakultät
Direktor der Urologischen Klinik und Poliklinik
Ernst-Heydemann-Straße 6
18055 Rostock
E-Mail: oliver.hakenberg@med.uni-rostock.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
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