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02.10.2014 17:51

High-End-Bremsen für den Cinquecento?

Rainer Klose Kommunikation
Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt

    Im Labor für Hochleistungskeramik reift ein ehrgeiziges Projekt heran: Keramik-Bremsscheiben für Kleinwagen. Zusammen mit italienischen, spanischen und liechtensteinischen Partnern entwickeln Empa-Wissenschaftler Automobiltechnik von morgen. Nur – lässt sich die Hightech-Lösung auch günstig genug realisieren?

    Bremsen Autos bald auf einer Leichtbaukonstruktion? Während heutige Bremsscheiben aus schwerem, hitzebeständigem Gusseisen gefertigt sind, könnten die Scheiben der Zukunft aus leichtem Aluminium bestehen. Das würde Gewicht sparen und damit Sprit. Zugleich würde sich das Fahrverhalten verbessern, weil die ungefederten Massen im Fahrwerk kleiner werden.

    Doch vor dem Erfolg der Leichtbaubremse gilt es, ein Materialproblem zu lösen: Aluminium, das gewünschte Baumaterial, ist weich und für hart zupackende Bremszangen nicht geeignet. Eine Keramikschicht muss daher die Aluminium-Bremsscheiben schützen, die Reibarbeit übernehmen und die entstehende Hitze ableiten. Die Empa entwickelt dieses entscheidende Bauteil

    Keramikbremsen sind an sich nichts Neues. Im Sport- und Rennwagenbau werden sie seit langem eingesetzt. Nur – sie sind teuer. Beim Porsche 911 etwa sorgen Keramik-Carbon-Bremsen für einen Aufpreis von schlappen 12‘000 Franken Aufpreis. Dafür bekäme man fast schon einen kompletten Fiat 500. Für den Einsatz in preisgünstigen Kleinwagen scheint die Technik also kaum geeignet.

    Mehrere technische Hürden auf einmal
    Die Empa soll helfen, das unmögliche Wirklichkeit werden zu lassen: Unter der Leitung des «Politecnico di Torino» und zusammen mit dem spanischen Bremsenhersteller Fagor Ederlan, dem liechtensteinischen Lötspezialisten Listemann AG und dem Fiat Forschungszentrum C.R.F. soll mit Hilfe von Empa-Knowhow eine neuartige Bremsscheibe für massenproduzierte Kleinwagen entstehen. Den schweizerisch-liechtensteinischen Forschungsanteil finanziert die KTI. Die Bremse muss sich in grossen Stückzahlen rasch fertigen lassen, sie darf nicht teuer sein, und sie muss mindestens so lange halten wie bisher übliche Gusseisen-Bremsen. Für den Empa-Keramikspezialisten Jakob Kübler sind das mehrere technische Hürden auf einmal. «Zunächst einmal mussten wir nach einem preisgünstigen, keramischen Material suchen, das Wärme gut leitet und sich auch gut verarbeiten lässt», erläutert der Forscher. Zirkonoxid fällt also aus – es isoliert zu stark. Siliziumcarbid leitet Wärme gut, bricht aber zu leicht. Als Grundstoff bleibt einzig: Aluminiumoxid. Der Stoff ist in vielerlei Keramikbauteilen, vom Wasserhahn bis zum Hüftgelenk enthalten und preisgünstig zu haben.

    Daraus konzipierte Kübler mit seinem Team ein Keramiklaminat – eine rund zwei Millimeter dünne Keramikplatte, die aus bis zu 15 einzelnen Schichten besteht: Zu den Aluminiumoxid-Schichten kommt Siliziumkarbid, um die Wärmeleitfähigkeit zu erhöhen, eine Deckschicht, um den Verschleiss zu regulieren, eine Haftschicht, mit der die Keramik auf die Alufläche gelötet werden kann. Jede der Schichten wird als Schlicker mit Wasser angerührt, dann auf eine Kunststofffolie aufgezogen. Schliesslich werden die Schichten zusammengepresst, der Kunststoff dazwischen herausgebrannt und die verschiedenen Schichten bei mehreren hundert Grad miteinander verbunden und verdichtet. Wie gut die vertikale Vernetzung funktioniert hat, zeigt dann das Elektronenmikroskop.

    Das Konsortium entschied sich, kleine Kacheln zu fabrizieren, die nebeneinander – wie Badezimmerkacheln – auf die Bremsscheibe aufgelötet werden. Der Grund: Bei Hitze dehnt sich Aluminium drei bis vier Mal mehr als die Keramik. Ein einteiliger Keramik-Bremsbelag würde also aufgrund von Spannungsrissen vom Alu-Träger abfallen. Doch auch mit kleinen Kacheln ist das Festlöten kein triviales Problem: Alu schmilzt bei knapp 700 Grad, daher muss die Lötung bei tieferen Temperaturen geschehen. Trotzdem darf das Lot auch bei einer Notbremsung nicht weich werden, sonst fallen die Kacheln genau dann ab, wenn man sie am nötigsten braucht.

    Ein einziger Keramik-Mix genügte also nicht. Kübler und sein Team müssen immer wieder auf Feedback der Lötspezialisten aus Turin eingehen, die Mischung der Keramik weiter optimieren und neue Proben liefern. Dabei muss er schon bei der Konzeption auf die Kosten achten: Teure Verfahren, etwa im Vakuum oder unter Schutzgas, gilt es zu vermeiden – die wären nicht tauglich für die Massenfertigung

    Die Listemann AG in Vaduz entwickelt unterdessen die spezielle, industriegeeignete Fügetechnik zum Festlöten der Kacheln. Der Bremshersteller Fagor Ederlan konzipiert das Bremssystem aus Aluminium und die nötigen Dimensionen der Bremsscheibe. Am Ende des Projekts – im April 2015 – steht ein Prototyp der «Forscher-Bremse», die dann auf Bremsprüfständen auf Herz und Nieren geprüft werden und anschliessend in ein Versuchsfahrzeug integriert werden kann. Wenn sie sich bewährt, entsteht in den nächsten Jahren daraus ein Serien-Bauteil, das europäischen Autos einen Vorsprung auf dem Weltmarkt verschafft.


    Weitere Informationen:

    http://www.empa.ch/plugin/template/empa/3/151449/---/l=1


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler
    Chemie, Maschinenbau, Verkehr / Transport, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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