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17.03.2003 08:39

Familienzwist im Bienenstock

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Evolutionsbiologie

    Wenn bei sozial lebenden Insekten ein Tier zugunsten der anderen arbeitet oder sogar sein Leben für die Gemeinschaft opfert, macht es dies vor allem zur Weitergabe der eigenen Gene. Zumindest besagt das die Gesamtfitness-Theorie in der Evolutionsbiologie. Der Zoologe Dr. Robert Paxton untersucht das Verhalten und die Verwandtschaftsverhältnisse in Insektenvölkern sowie die Konflikte, die sich unter den Gruppenmitgliedern ergeben.

    Zum Zusammenhang zwischen Verwandtschaft und Verhalten bei Insektenvölkern

    Viele Tiere leben einzeln und kommen nur in der Fortpflanzungszeit mit Artgenossen zusammen. Andere Arten wie die Honigbiene und eine Reihe anderer Insekten bilden dagegen hoch entwickelte Sozialverbände mit teilweise einigen Millionen Individuen. Die Gruppenmitglieder verhalten sich dann nicht nur bei der Abwehr von Feinden oder der Nahrungssuche kooperativ, sondern zeigen altruistische Verhaltensweisen - ein Individuum nimmt Nachteile in Kauf, um den Sozialpartnern Vorteile zu verschaffen: Viele Arbeiterinnen bei Insektenvölkern verzichten auf eigene Nachkommen und opfern für die Verteidigung des Volkes sogar ihr Leben. Offenbar hat sich das soziale Zusammenleben der Insekten aus der Lebensform einzellebender Tiere entwickelt. Biologen sehen diesen Übergang als einen der komplexesten in der Evolution an, der sich mehrere Male unabhängig voneinander entwickelt hat. Ähnlich große Übergänge oder sogar Sprünge hat es nur etwa acht Mal in der Geschichte des Lebens gegeben, zum Beispiel bei der Entwicklung vom Ein- zum Vielzeller. Der Evolutionsbiologe Dr. Robert Paxton vom Zoologischen Institut der Universität Tübingen erforscht den Übergang vom einzellebenden Tier zum Insektenstaat. Er interessiert sich aber auch für das soziale Verhalten, die Organisation und die Konflikte innerhalb eines Insektenvolkes.

    Robert Paxton hat die Bienen zu seinem Forschungsobjekt gewählt, da innerhalb der Insektenordnung der Hautflügler (Hymenopteren), zu der neben Bienen auch Hummeln, Wespen, Hornissen und Ameisen zählen, Übergänge zwischen den verschiedenen Lebensformen zu finden sind: Zum Beispiel lebt Andrena fulva, zu deutsch die rotpelzige Sandbiene, einzeln, die weltweit bekannte Honigbiene aber in Völkern mit einer Königin und bis zu 40 000 Arbeiterinnen. Manche Arten von Furchen- und Prachtbienen leben fakultativ sozial, das heißt, dass neben einzellebenden Tieren teilweise Individuen der gleichen Population Sozialverbände bilden. "Mich interessiert, woher der Evolutionsdruck für das soziale Verhalten kommt", sagt Paxton, der im Freiland, aber auch molekularbiologisch arbeitet. Nach der Auswahltheorie der Evolution müsste jedes Tier für seinen eigenen Fortpflanzungserfolg kämpfen. Damit ließe sich jedoch nicht erklären, warum sich manche Individuen für andere einsetzen. Deshalb haben Evolutionsbiologen die Theorie erweitert auf den Mechanismus der Gesamtfitness-Theorie ("Verwandtenselektion"). Denn die Tiere in einem Sozialverband sind im Allgemeinen miteinander verwandt. "Besonders nahe stehen einem Individuum jeweils diejenigen Individuen, mit denen es eine möglichst große Anzahl von Genen teilt", erklärt Paxton. Die Gesamtfitness (inclusive fitness) eines einzelnen Tieres beinhaltet nicht nur den Anteil der Gene, die das Individuum direkt an Nachkommen weitergeben kann, sondern auch indirekt den Fortpflanzungserfolg der Verwandten.

    Die Verwandtschaftsverhältnisse im Bienenstock, bei Ameisen und Wespen sind kompliziert. Ein Mensch erhält mit der Ei- und Spermienzelle jeweils die Hälfte der Gene von der Mutter und dem Vater. Die Körperzellen enthalten einen doppelten Chromosomensatz, nur wiederum die Eizellen und Spermien einen einfachen. Bei den Hautflüglern entstehen aber die männlichen Nachkommen aus unbefruchteten Eiern, sie haben einen einfachen Chromosomensatz - alle ihre Gene stammen von der Mutter. Weibliche Nachkommen erben die Hälfte der Gene von der Mutter und alle Gene des Vaters. Dadurch entsteht die kuriose Situation, dass Vollschwestern als Nachkommen derselben Königin und Drohne untereinander enger verwandt sein können als sie es mit ihren eigenen Kindern wären. Nach der Theorie der Verwandtenselektion, dem Kernstück der Soziobiologie, haben die Arbeiterinnen im Bienenvolk dann durchaus Interesse, die Nachkommen der Königin großzuziehen. Noch komplizierter wird es allerdings dadurch, dass sich die Königin der Honigbiene mit bis zu 20 Drohnen paart. Die Arbeiterinnen sind dann teilweise nur Halbschwestern. Trotzdem sind sie mit den Nestgenossinnen verwandt und zeigen eine sehr kooperative Lebensweise. Trotz ihres großzügigen Altruismus gegenüber Verwandten sind die Arbeiterinnen eines Volkes kein Klon. Deshalb "treten auch Konflikte auf, weil zum Beispiel die Arbeiterinnen lieber Schwestern als Brüder aufziehen, die Königin aber jeweils zur Hälfte Weibchen und Männchen als Nachkommen bevorzugt", sagt Paxton. Diese Konflikte zeigen sich auch bei Ameisen, bei denen die Königin mehr männliche als weibliche Eier legt. Die Arbeiterinnen fressen jedoch mehr von den männlichen Eiern auf.

    "Bei den Honigbienen gibt es zum einen den Konflikt um die Geschlechterverhältnisse, zum anderen um die Abstammung der Männchen", erklärt Paxton. Auch die Arbeiterinnen können männliche Eier legen, dazu müssen sie sich nicht paaren. Bei vielen Arten stachelloser Bienen in Brasilien paart sich die Königin in der Regel nur ein Mal. Nach der Theorie der Verwandtenselektion sollten die Arbeiterinnen nun möglichst viele eigene männliche Eier aufziehen und die männlichen Eier der Königin vernichten. "Tatsächlich stammte ein erheblicher Prozentsatz der Männchen genetisch nachweisbar von den Arbeiterinnen. Bei den Honigbienen liegt diese Zahl bei nahezu Null", sagt der Forscher. "Wenn man beobachtet, wie die stachellosen Bienen Eier legen, gibt es zwischen Königin und Arbeiterin ritualisierte Bewegungen, die wie ein Kampf aussehen. Dies würde den Konflikt bestätigen, der nach der Theorie bestehen müsste." Nicht bei allen Bienenarten lassen sich die Parteien im Familienzwist so genau voneinander abgrenzen. "Ein Konflikt kann auch von einem anderen überlagert sein, etwa durch so genannte Kastenkonflikte zwischen Nestgenossinnen. Da müssten die Hypothesen viel stärker verknüpft werden als bisher", meint der Biologe.

    Er hat die Verhältnisse auch bei Lasioglossum malachurum untersucht, einer Art von Furchenbienen, die in Süddeutschland häufig vorkommt. Diese Furchenbienen leben sozial, bilden aber jedes Jahr ein neues Volk. Die Königinnen, die überwintert haben, erzeugen im Frühjahr ihre ersten Arbeiterinnen selbst. "Sie gründen neue Nester, werden aber in rund der Hälfte der Fälle von anderen Königinnen aus dem Nest geworfen", sagt Robert Paxton. Hat die Königin eigene Arbeiterinnen, wird sie von ihnen erkannt. Zunächst etwa fünf Arbeiterinnen arbeiten für sie, und die Königin legt neue Eier. Dagegen "erbt" eine Thronräuberin die mit ihr nichtverwandten Arbeiterinnen. "Die neue Königin herrscht zwar, lässt aber teilweise zu, dass sich auch die Arbeiterinnen fortpflanzen", fasst Paxton zusammen. Theoretisch könnten die Arbeiterinnen wegfliegen und sich ein anderes Nest suchen. "Sie bleiben aber, weil sie einen kleinen Teil eigener Nachkommen haben können. In neu besetzten Nestern stammen etwa ein Viertel der Eier von den Arbeiterinnen, in Nestern mit ursprünglicher Königin sind es nur etwa ein halbes Prozent."

    Woher aber wissen die Bienen eigentlich, mit wem sie verwandt sind? "Das wird bei den Insekten sehr wahrscheinlich über Gerüche zum Beispiel von Pheromonen gesteuert, die als Signalstoffe nach außen abgegeben werden. Vermutlich kann ein Tier feststellen, ob der Geruch im Nest recht einheitlich ist und dem eigenen entspricht. Ist er vielfältig, versucht das Insekt, sich beziehungsweise seine eigenen Gene durchzusetzen", erklärt der Biologe. Ergebnisse von Schweizer Forschern zeigten, dass Menschen analoge Fähigkeiten bei der Geruchserkennung besitzen - wenn auch unbewusst. "Vielleicht gibt es mehr Parallelen zwischen Insekten und Menschen als uns bewusst ist", meint Paxton. (7585 Zeichen)

    Nähere Informationen:

    Dr. Robert Paxton
    Zoologisches Institut - Entwicklungsphysiologie
    Auf der Morgenstelle 28
    72076 Tübingen
    Tel. 0 70 71/2 97 53 42
    Fax 0 70 71/29 56 34
    E-Mail: robert.paxton@uni-tuebingen.de

    Der Pressedienst im Internet: http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pd/pd.html

    Unter dieser Adresse sind auch Bilder zu finden, die auf Anfrage bei der Pressestelle per E-Mail zugeschickt werden können.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Informationstechnik
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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