idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
20.03.2003 14:18

Nationale Klischees: Erfassen sie doch Realität?

Angelika Rockel Hochschulkommunikation und -marketing
Universität Bremen

    Deutschland ist eine Kulturnation. Frankreich ist die Nation der Revolution. Die USA ist die Nation des ausgeprägten IndividualismusŽ. Drei nationale Klischees, bei denen es sich nicht um platte, von außen aufgedrückte Pauschal(vor)urteile handelt: Dennoch sind Klischees bekanntlich mit Vorsicht zu genießen. Sie sagen nur bedingt etwas über die Wirklichkeit aus, die sie zu beschreiben vorgeben. Sie sind Verallgemeinerungen, die keine Unterschiede berücksichtigen. Also: Der aufgeklärte Mensch hinterfragt Klischees oder meidet sie. Dagegen untersucht Dr. Stefan Lindl die Tiefenstrukturen von Klischees in der Dissertation "Klischee und Klio (Muse der Geschichtsschreibung). Über das Konstruieren der Geschichte. Repräsentationsanalysen des kommunikativen und kulturellen Gedächtnisses", die er im Studiengang Geschichte der Universität Bremen vorlegte. Er fragt, ob die Tiefenstrukturen der Klischees nicht in allem Denken einer Nation zu finden sind, ob das Schulwesen, die Literatur und vor allem auch die Geschichtswissenschaft einer Nation nicht die Tiefenstrukturen der Klischees aufweisen?

    Lindl kommt in seiner Studie zu einer überraschenden Aussage: Nationale Klischees und die Geschichtswissenschaft einer Gesellschaft sind mit identischen Tiefenstrukturen ausgestattet. Innerhalb einer Gesellschaft gibt es spezifische Arten des Denkens und des Konstruierens von Sinn. Diese Arten des Denkens hinterlassen überall ihre Spuren: in den Klischees über die Gesellschaft wie in der Geschichtswissenschaft und -theorie.

    Dr. Stefan Lindl analysiert nationale Gründungstexte für Deutschland, Frankreich und die USA: Johann Gottfried Herders Frühtexte zur Sprach- und Kulturnation Deutschland; Jean-Jacques Rousseaus "Contrat social" für Frankreich; Frederick J. Turners "The significance of the Frontier in American History". Nach Aussage von Lindl fassen alle drei Texte die Gesellschaften in Klischees, die noch heute bestehen: Deutschland - die Kulturnation, Frankreich - die Vertragsnation, USA - die Frontiernation. Die Texte sind Ausdruck wichtigen Erscheinens der jeweiligen nationalen Klischees.

    Die Antwort auf die Fragen nach dem Auftreten der Klischees erklärt noch nicht die große Akzeptanz des klischeehaften Denkens in der Gesellschaft. Der Bremer Historiker untersucht dazu die Schulsysteme und die Prüfungspraktiken in Deutschland, Frankreich und den USA. Dabei findet er wiederum Denkweisen, die den allgemeinbekannten Klischees entsprechen:

    · Deutschland braucht ein oberstes Ziel, eine Idee, der alles Unterschiedliche unterworfen wird, um eine Einheit zu erzeugen. Differenz wird ausgeschlossen.
    · Frankreich baut auf Differenz für die Gesellschaft. Es schließt sie nicht aus, sondern benötigt sie. Vielfalt und nicht die Einfalt wird angestrebt - aber immer im Hinblick auf die Gesellschaft.
    · Die USA bauen auf die totale Differenz bis hin zur Vereinzelung. Alles lässt sich auf das Individuum reduzieren, das vor einer Herauforderung steht und sie bewältigt.

    Lindl weist darauf hin, dass sich diese Tiefenstrukturen des Denkens wie ein roter Faden durch das Denken der drei Länder ziehen. Sein Fazit lautet deshalb: Es gibt in Deutschland, Frankreich und den USA unterschiedliche gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Denkens, die bereits 200 Jahre angewendet werden und sich in Klischees ausdrücken. Diese haben ihre Wurzeln in der nationalen Selbsterfahrung und -bestimmung, werden noch heute in der Schule vermittelt und finden sich in den Wissenschaften als grundlegende Denkkonstruktionen wieder. So hängen die als gewöhnlich klischeefrei erachteten geschichtswissenschaftlichen Ergebnisse eng mit klischeehaften Konstruktionen zusammen. Dr. Stefan Lindl stellt also in seiner Doktorarbeit das Vorurteil über das nationale Klischee vom Kopf auf die Beine.

    Weitere Informationen:

    Universität Bremen
    Studiengang Geschichte
    Dr. Stefan Lindl
    Hauptstr. 98
    85579 Neubiberg
    Tel. 089 / 60668281
    eMail: lindl@repraesentation.org


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Politik, Psychologie, Recht, Religion
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).