Der Arbeitsgruppe um Professor Dr. Dietrich von der Linde und Dr. Klaus Sokolowski-Tinten am Institut für Experimentelle Physik der Universität Duisburg-Essen, Standort Essen, ist es jetzt erstmals gelungen, mit Hilfe extrem kurzer Röntgenblitze die Bewegung von Atomen in einem Material direkt und in Echtzeit zu beobachten. Über ihre Arbeit berichtet die jüngste Ausgabe der renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift "Nature" (Nature 422, 20. März).
An den Experimenten, die im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Schwerpunktprogramms durchgeführt wurden, waren neben den Essener Physikern auch Wissenschaftler vom Lawrence Berkeley National Laboratory in Berkeley (USA) und den Universitäten in Jena und Hannover beteiligt. Die Zeitschrift "Nature" beschränkt sich auf die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen von erheblichem allgemeinen wissenschaftlichen Interesse. Der Herausgeber formuliert den Anspruch, Marksteine in der Entwicklung der Wissenschaften zu markieren, und lässt sich bei der Auswahl der Beiträge von international anerkannten Experten beraten.
Atome im "Gleichschritt"
Die Gruppe am Essener Institut beschäftigt sich mit dem Verhalten von Materialien, die mit sehr kurzen, intensiven Laserimpulsen bestrahlt werden. Diese Untersuchungen sind unter anderem bedeutsam für die Entwicklung neuer Methoden für die präzise, laser-gestützte Materialbearbeitung in der Technik und auch für mikrochirugische Anwendungen in der Medizin. In vielen Fällen ist das Ergebnis der Laserbestrahlung recht einfach zu verstehen: Das Material wird bei der Laserbestrahlung heiß, allerdings in einer unglaublich kurzen Zeit von nur einigen Pikosekunden (Piko = Millionstel einer Millionstel-Sekunde).
In ihren neuesten Experimenten untersuchten die Essener Physiker das Halbmetall Wismut, welches das schwerste in der Natur vorkommende nicht-radioaktive Element ist. Führt man diesem Material mit einem sehr kurzen Laserblitz Energie zu, so ergibt sich der erstaunliche Umstand, dass die Atome im Wismut-Kristall nicht einfach eine vollkommen ungeordnete Bewegung ausführen, wie man sie erwartet, wenn der Festkörper sich lediglich erwärmt. Stattdessen schwingen die Atome kohärent, das heißt quasi im "Gleichschritt", um ihre Ausgangslage.
Neuartige Messmethode
Verglichen mit dem Zeitmaßstab der menschlichen Erfahrungswelt erfolgt die Bewegung der Atome jedoch unvorstellbar schnell. Um dies in Echtzeit beobachten zu können, bedienten sich die Essener Physiker einer neuartigen Messmethode. "Wir arbeiten mit Röntgenblitzen, die so kurz sind, dass selbst die Atome in dieser Zeit praktisch stillstehen", erklärt Dietrich von der Linde. "Das ist ganz ähnlich wie die Verwendung eines Blitzlichtes in der Fotografie. Die Impulse, mit denen wir arbeiten, sind allerdings sehr viel kürzer als das gewöhnliche Blitzlicht. Außerdem benutzen wir Röntgenstrahlung, deren Wellenlänge so klein ist, dass man die atomare Struktur des Materials erkennen kann", ergänzt Klaus Sokolowski-Tinten.
Die vor rund hundert Jahren entdeckte Röntgenstrahlung hat eine hervorragende Rolle bei der Entschlüsselung der atomaren Struktur der Materie, vom einfachen kristallinen Festkörper, wie zum Beispiel Kochsalz, bis hin zu den komplexesten Bio-Molekülen, wie beispielsweise Proteinen, gespielt. Allerdings war es bisher nicht möglich, die Bewegung der Atome in einem solchen Festkörper oder Molekül direkt zu beobachten. Man konnte zum Beispiel bei einer chemischen Reaktion nur feststellen, welches die Struktur des Ausgangs- und welches die Struktur des Endzustandes ist. Was sich jedoch zwischen Ausgangs- und Endzustand abspielte, ließ sich aufgrund der Schnelligkeit der atomaren Bewegung bisher nicht beobachten, ist für die Wissenschaftler aber von grundlegendem Interesse. Von der Linde erklärt: "Zurzeit werden deshalb, national wie international, sehr große wissenschaftliche, technologische und vor allem finanzielle Anstrengungen unternommen (z.B. das TESLA-FEL-Projekt am Deutschen Elektronen Synchrotron DESY in Hamburg), um die Röntgenspektroskopie in den Bereich der sehr kurzen Zeiten auszudehnen."
"Vor diesem Hintergrund sind unsere Ergebnisse nicht nur für uns Physiker von Interesse", so Sokolowski-Tinten. "Ihre Bedeutung geht vielmehr über das Gebiet der Physik hinaus und reicht weit in andere Forschungsgebiete hinein. Unser Experiment zeigt, dass die noch sehr junge Ultrakurzzeit-Röntgenspektroskopie den Kinderschuhen entwächst und wir mittlerweile richtige Wissenschaft betreiben können. Es macht uns natürlich auch ein wenig stolz, dass dieser Schritt in die Zukunft an unserer 'kleinen' Universität und trotz der momentanen Turbulenzen gemacht werden konnte."
Hinweis für die Redaktionen: Ein Foto der Arbeitsgruppe um Professor von der Linde (hintere Reihe, zweiter von links) und Dr. Klaus Sokolowski-Tinten (hintere Reihe, links außen) ist dieser Mail als Attachement beigefügt. Es kann zudem im Internet unter www.uni-essen.de/pressestelle/fotos heruntergeladen werden. Auf gleichem Wege erhalten Sie Porträts von den beiden Physikern.
Redaktion: Daniela Endrulat, Tel.: (0201) 183-4518
Weitere Informationen: Klaus Sokolowski-Tinten, Tel.: (0201) 1 83-2570
Universität Duisburg-Essen
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Mathematik, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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