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26.03.2003 09:54

Der stressbedingte Griff zur Flasche - Forscher finden genetische Ursache

Frank Luerweg Dezernat 8 - Hochschulkommunikation
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

    Der Cannabis-Rezeptor CB1 scheint zumindest in Mäusen bei der Entstehung der Alkoholsucht eine Schlüsselrolle zu spielen. Das entdeckten Mediziner der Universität Bonn und des Labors für Neuromorphologie in Budapest bei Experimenten mit zwei verschiedenen Mäuse-Stämmen. Normalerweise reagieren die Kleinnager auf Stress, indem sie mehr Alkohol konsumieren - ähnlich wie auch manche Menschen. Genetisch modifizierte Mäuse, denen die Erbinformation für den Cannabis-Rezeptor fehlte, griffen dagegen in solchen Situationen nicht schneller "zur Flasche", konnten die Forscher zeigen. Außerdem litten sie im Gegensatz zur Kontrollgruppe nicht unter Entzugssymptomen. Die Ergebnisse wurden soeben im Journal of Neuroscience (Vol. 23(6), 2003) veröffentlicht.

    Alkohol und Marihuana ähneln sich in ihrer Wirkung, obwohl sie an ganz unterschiedlichen Stellschrauben im Gehirn drehen: Die Konsumenten reagieren mit Euphorie, sie können ihre Bewegungen schlechter koordinieren, ihre Körpertemperatur sinkt. Schnittstelle beide Drogen scheint der Cannabis-Rezeptor CB1 zu sein: So ist seit 1999 bekannt, dass Mäuse bei chronischem Alkoholkonsum vermehrt körpereigene Cannabis-Derivate produzieren; gleichzeitig sinkt in ihrem Gehirn die Zahl der CB1-Rezeptoren. "Wir fragten uns daher, ob ein kompletter Verlust des Rezeptors Trinkverhalten und physiologische Wirkung von Alkohol in Mäusen beeinflusst", erklärt Professor Dr. Andreas Zimmer vom Bonner Institut für molekulare Neurobiologie.

    Die Wissenschaftler arbeiteten dazu mit Mäusen, die besonders leicht eine Alhoholsucht entwickeln. Bei einem Stamm hatte man die Information für den Cannabis-Rezeptor gentechnisch entfernt; der zweite Stamm verfügte über ein normales CB1-Gen. Ansonsten unterschieden sich die Nager nicht. "Nach Gabe unterschiedlicher Alkoholmengen zeigten beide Stämme ähnliche Symptome: Die Körpertemperatur der Tiere sank, ihre Koordinationsfähigkeiten ließen nach, sie waren weniger ängstlich", so der Neurowissenschaftler. Nach dreiwöchigem Dauerkonsum hatten sich die Tiere weitgehend an die Droge gewöhnt; Trunkenheits-Symptome traten bei beiden Stämmen dann erst nach erheblich höheren Dosen auf. Ganz anders sah es bei den Entzugserscheinungen aus: Kurz nachdem die Wissenschaftler die Droge abgesetzt hatten, registrierten sie bei den Mäusen mit intaktem Cannabis-Rezeptor eine vermehrte Neigung zu Krämpfen, Unruhe und Hyperaktivität - die klassischen Symptome des Alkohol-Entzugs bei Mäusen. Die rezeptorlosen Nager verhielten sich dagegen völlig unauffällig.

    Aus Untersuchungen bei "trockenen" Alkoholikern ist bekannt, dass vor allem Stresssituationen den erneuten Griff zur Flasche auslösen können. Um nun die Auswirkung von Stress auf das Trinkverhalten der Versuchstiere zu bestimmen, boten die Wissenschaftler ihnen in einem weiteren Versuch sowohl 8-prozentigen Alkohol als auch Wasser als Durstlöscher an. Fünf Wochen nach Versuchsbeginn nahmen beide Gruppen täglich etwa die gleiche Menge Alkohol zu sich. Dann setzten die Forscher die Mäuse unter Stress, indem sie ihnen über den Käfigboden drei schwache elektrische Reize zufügten. Obwohl beide Gruppen deutliche Anzeichen von Unbehagen zeigten und sich auch ihre Hirnaktivität auf ähnliche Weise änderte, nahmen nur die Tiere mit dem intakten Cannabis-Rezeptor in den 24 Stunden nach der Stresssituation mehr Alkohol zu sich - und zwar durchschnittlich um fast 50 Prozent.

    "Der Cannabis-Rezeptor hat in unseren Versuchen zwar keine Auswirkungen auf das Trinkverhalten unter Normalbedingungen", fasst Professor Zimmer die Ergebnisse zusammen. "Bei stressinduziertem Alkoholkonsum und beim Entzug scheint ihm jedoch eine Schlüsselrolle zuzukommen. Medikamente, die den CB1-Rezeptor hemmen, könnten daher bei der Behandlung der Alkoholsucht sehr nützlich sein."

    Ansprechpartner:
    Professor Dr. Andreas Zimmer
    Institut für molekulare Neurobiologie der Universität Bonn
    Telefon: 0228/287-9123 oder -9124
    E-Mail: a.zimmer@uni-bonn.de


    Weitere Informationen:

    http://www.jneurosci.org/cgi/reprint/23/6/2453.pdf


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Informationstechnik, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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