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13.11.2014 11:28

Die nationale Identitätskrise in der Ukraine ist Thema einer Masterarbeit an der Saar-Uni

Gerhild Sieber Pressestelle der Universität des Saarlandes
Universität des Saarlandes

    Die nationale Identitätskrise innerhalb der ukrainischen Bevölkerung hat Jean Baptiste Péon zum Thema seiner Masterarbeit im Studiengang „Deutsch-Französische Studien: Grenzüberschreitende Kommunikation und Kooperation“ gemacht. Eine der wichtigsten Schlussfolgerungen des 25-jährigen Franzosen lautet: Es gibt keine einheitliche ukrainische Identität, sondern mindestens zwei „ukrainische Nationen“. Dies habe die aktuelle Krise in der Ukraine erst möglich gemacht.

    „Die Geschichte der Ukraine, die Sprache, die Religion – das sind alles trennende Faktoren innerhalb der Bevölkerung“, sagt Jean Baptiste Péon, der den grenzüberschreitenden Studiengang „Deutsch-Französische Studien“ an der Saar-Uni absolviert und nebenbei einen Germanistik-Master in Metz gemacht hat. Für seine Studie, die von dem Saarbrücker Professor Roland Marti und Professor Michel Grunewald aus Metz betreut wurde, hat der junge Mann aus der Picardie viele historische Quellen sowie aktuelle Presseberichte ausgewertet. Er steht in Kontakt mit befreundeten Journalisten in der Ukraine und pflegt außerdem enge persönliche Kontakte mit Ukrainern. Mit ihrer Unterstützung hat er per Fragebogen 25 Männer und Frauen aus dem gesamten Land interviewt. 2010 ist Péon selber erstmals dorthin gereist, und im Frühjahr 2014 hat er zwei Tage und Nächte auf dem Maidan verbracht, „glücklicherweise, bevor dort Menschen starben.“

    Die Ukraine blicke auf eine chaotische Geschichte zwischen den beiden Großmächten Polen und Russland zurück, die das Territorium immer wieder zwischen sich aufteilten. „Die Ukraine hat keine gemeinsame Vergangenheit. In dem Versuch, trotzdem eine Nation zu werden, wurde die Geschichte der Ukraine nach ihrer Unabhängigkeitserklärung 1991 neu geschrieben – wobei man bestimmte Epochen wie unter dem Zar oder der UdSSR einfach unterschlagen hat, erklärt Jean Baptiste Péon. Die kommunistische Epoche (von 1922 bis 1991) spalte die Ukrainer am meisten: Beispielsweise werde Stepan Bandera in der West- und Zentralukraine als Freiheitskämpfer und Nationalheld verehrt, während er im Süden und Osten als Nazi-Kollaborateur und Faschist gelte. Als Führer des radikalen Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten wollte Bandera die Ukraine von Stalins Roter Armee zurückerobern und erkannte dazu 1941 zunächst die Vorherrschaft Hitlers in Europa an; ab 1942 kämpfte er aber sowohl gegen die Nazis als auch gegen die politische Partei der UdSSR für die Unabhängigkeit der Ukraine.

    Ebenso wenig identitätsstiftend wie die Geschichte ist die Muttersprache, die je nach Region unterschiedlich ist: Rund 66 Prozent der Bevölkerung sprechen Ukrainisch als Muttersprache, für 30 Prozent ist die Muttersprache Russisch. Dabei ist die ukrainische Sprache mehr im Westen und in der zentralen Ukraine verbreitet und wird in den bäuerlichen Gebieten gesprochen. Menschen im Osten, im Süden, auf der Krim sowie in den Städten sprechen eher Russisch. Ukrainisch gilt seit 1989ls einzige Amtssprache.

    Und wie sieht es mit dem Identitätsgefühl in der Ukraine aus? „Fast die ganze Bevölkerung fühlt sich ukrainisch, aber was das bedeutet, ist in den einzelnen Regionen unterschiedlich, und jede Volksgruppe nimmt für sich in Anspruch, die ukrainische Nation zu repräsentieren“, fasst der 25-Jährige ein wichtiges Ergebnis seiner Arbeit zusammen. „Die Analyse hat gezeigt, dass es mindestens zwei ukrainische Nationen gibt, die aber nicht zu Russland gehören wollen. Daher ist die Idee einer ethnischen Nation für die Ukraine ungeeignet“, resümiert Péon. Eine Studie über die ethnische Nation aus dem Jahr 2005 hat ergeben, dass sich in der zentralen und westlichen Ukraine 83 Prozent als Ukrainer bezeichnen und 14 Prozent als Russen. Im Süden und Osten bezeichnet sich die Mehrheit sowohl als ukrainisch als auch als slawisch.

    Die Spaltung der Ukraine sei mit der Orangen Revolution von 2004 sichtbar geworden. „Die Wahlkarten damals zeigten eine Ukraine, die entzweit war.“ Dabei würden sich viele Ukrainer als Nationalisten fühlen, sagt Péon. „Sie kämpfen für eine ukrainische Identität in einem patriotischen Sinne.“ Dagegen seien separatistische Bewegungen für die Ukraine völlig untypisch. „Die separatistische Bewegung in der Ostukraine ist künstlich initiiert und gesteuert worden, mit großer Wahrscheinlichkeit von Russland“, ist der junge Franzose überzeugt. Seine Idee von einer ukrainischen Zukunft: „Möglich wäre eine politische Nation, wenn alle kulturellen und sprachlichen Eigenheiten in gleicher Weise respektiert würden.“ Doch das könne nur gelingen, wenn Russland seinen kolonialen Ehrgeiz auf die Ukraine aufgeben würde.

    Link zu Porträtfoto: http://www.uni-saarland.de/pressefotos

    Kontakt:
    jeanbaptiste.peon@gmail.com
    Für eine telefonische Kontaktaufnahme bitte an die Pressestelle wenden (Telefon: 0681 302-4582).


    Bilder

    Jean Baptiste Péon
    Jean Baptiste Péon
    Foto: Saar-Uni
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Politik
    regional
    Forschungsergebnisse, Studium und Lehre
    Deutsch


     

    Jean Baptiste Péon


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