Soziologe untersuchte Alkoholismus in der Landwirtschaft
Jena (24.08.98) Die Strukturkrise in der Landwirtschaft hat dazu geführt, daß von 1.647.000 bäuerlichen Betrieben, die 1949 in Westdeutschland existierten, im Jahr 1991 nur noch 595.000 übrig waren. Mit diesem "Hofsterben" gehen erhebliche persönliche und familiäre Krisen einher. Wie solche Krisen bewältigt werden, hat der Jenaer Soziologe Prof. Dr. Bruno Hildenbrand zusammen mit PD Dr. Karl Friedrich Bohler untesucht.
In einer früheren Studie hatte der Professor für Sozialisationstheorie und Mikrosoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität bereits fünf Typen von Bauernfamilien herausgearbeitet. Nebenerwerbslandwirte, "Bio-Bauern" und agrarindustrielle Unternehmer bewältigen den Wandel weitgehend problemlos. Besondere Schwierigkeiten haben zum einen "traditionale Bauernfamilien an der Rentabilitätsgrenze". Sie versuchen, ihre Betriebe den Notwendigkeiten des Wandels zu verschließen und beharren verstärkt auf dem Bestehenden, ermittelte Prof. Hildenbrand. Zum anderen gibt es die "Modernisierer aus Not". Sie bemühen sich, mit dem Strukturwandel in der Landwirtschaft Schritt zu halten, ohne daß dafür die betrieblichen und persönlichen Voraussetzungen gegeben sind.
Vorrangig bei den traditionalen Bauernfamilien und den Modernisierern aus Not kommt in einigen Fällen ein weiteres Problem zum Tragen, ermittelte Prof. Hildenbrand in einem anderen Forschungsprojekt: Alkoholismus. Alkoholismus als Krankheit wird durch die sozialen Lebensumstände, ihre besondere Konstellation und die damit zusammenhängende subjektive Befindlichkeit begünstigt.
Hildenbrand untersuchte bäuerliche Familienbetriebe, in denen der Betriebsleiter an Alkoholismus leidet. Die untersuchten Beispiele belegen, daß die betroffenen traditionalen Bauern an der Rentabilitätsgrenze die größte Distanz zu den notwendigen Umstrukturierungsprozessen aufweisen. Damit einher geht eine starke Milieubindung und eine familientraditionale Bindung. Das Trinken paßt dazu: Es ist ein Trinkmuster mit den Elementen Handlungsschwäche, Depression und Trauer über das drohende Ende der familienbetrieblichen Tradition, aber auch Schuld und Scham über subjektives Versagen.
Die Gründe für die Handlungsschwäche liegen in familienspezifischen Besonderheiten, fand Hildenbrand heraus, etwa im frühen Verlust von Mutter oder Vater oder in tyrannischem Erziehungsstil. Gerade diesem Fakt kommt entscheidende Bedeutung zu, denn Betriebsleiter in ähnlicher Situation - aber ohne diese Handlungsschwäche - waren deutlich seltener alkoholabhängig, zeigten Befragungen einer Kontrollgruppe.
Modernisierer aus Not stehen Veränderungen zwar aufgeschlossener gegenüber, ihre Probleme bestehen aber einerseits in der subjektiven Überforderung bei Modernisierung und Betriebsausbau. Andererseits kommt es dort häufig zu strukturellen Entwicklungsblockaden, wenn z. B. keine weiteren Flächen gepachtet werden können. Im Unterschied zur gesunden Kontrollgruppe reagieren die alkoholabhängigen Betriebsleiter in einer rigiden und unflexiblen Weise, die die Hofvergrößerung eher behindert und Alternativen nicht wahrnimmt.
Obwohl die Untersuchungen nur in Westdeutschland durchgeführt wurden, lassen sich Bezüge zur ostdeutschen Landwirtschaft herstelle. "Eigene erste Fallstudien und vorliegende Untersuchungen zeigen, daß der bäuerliche Habitus vielfach die Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR überlebt hat", beschreibt Hildenbrand. "Wenn das so ist, dann sind unsere Untersuchungsergebnisse für jene Gebiete Ostdeutschland interessant, in denen traditionell bäuerliche Familienbetriebe die Agrarlandschaft bestimmten und möglicherweise - dann aber vermutlich in veränderter Form - wieder bestimmen werden.
Ansprechpartner: Prof. Dr. Bruno Hildenbrand, Tel. 03643/945551
Friedrich-Schiller-Universität
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Axel Burchardt M. A.
Fürstengraben 1
07743 Jena
Tel.: 03641/931041
Fax: 03641/931042
e-mail: hab@sokrates.verwaltung.uni-jena.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Tier / Land / Forst
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).