Das Center for Advanced Studies der LMU stellt einen Sammelband zum interdisziplinären Forschungsschwerpunkt „Grüne Gentechnik“ vor.
Ob Grüne Gentechnik, bei der Pflanzen mithilfe gentechnischer Verfahren gezüchtet werden, als gut oder schlecht empfunden wird, hängt nicht nur vom Wissen darüber ab. Vor allem verrät es etwas über unser Bild von Natur, so die Arbeitshypothese eines Forschungsschwerpunkts am Center for Advanced Studies der LMU (CAS). Im nun erschienenen Sammelband „Projektion Natur. Grüne Gentechnik im Fokus der Wissenschaften“ beleuchtet die interdisziplinäre Projektgruppe Hintergründe der Debatte um gentechnisch veränderte Pflanzen.
1996 wurde erstmals gentechnisch verändertes Saatgut in den USA angebaut. Bereits im Jahr 2011 wurde derartiges Saatgut von mehr als 16 Millionen Landwirten in 29 Ländern ausgesät – vor allem Baumwolle, Soja, Mais und Raps. Bislang beschränke sich die Gentechnik darauf, „Pflanzen in Chemiefabriken umzuwandeln, indem diese nun selbst die Pestizide und chemischen Stützmittel produzieren, die ihnen bis dato von außen zugeführt wurden“, schreiben die LMU-Soziologen Professor Bernhard Gill und Dr. Michael Schneider in ihrem Beitrag, in dem sie vorschlagen, die Grüne Gentechnik im Sinne des Open Access „jedermann“ verfügbar zu machen, um sie aus den „Fesseln“ der chemischen Industrie zu befreien.
In Deutschland wurde 2009 der Anbau der gentechnisch veränderte Maissorte Bt-Mais MON 810 verboten. Heute werden hierzulande keine gentechnisch veränderten Pflanzen mehr angebaut. Dennoch überwiegt Umfragen zufolge europaweit die Skepsis gegenüber der Gentechnik.
Wann ist ein Apfel natürlich?
Zum einen geht es dabei um die „identitätsstiftende Praxis des Essens“, wie Professor Christoph Rehmann-Sutter von der Universität zu Lübeck und Georg Gusewkski vom Philosophicum in Basel in ihrem Beitrag ausführen. Sie zitieren aus einer Studie, in der sie Konsumenten zu ihrer Einstellung zu Gentechnik befragt hatten. Unter anderem wollten sie wissen, ob die Teilnehmer einen gentechnisch veränderten Apfel essen würden: „Irgendwo hat es für mich etwas Unnatürliches und ist weit weg vom Produkt, in welches ich im Moment eigentlich hineinbeißen möchte“, sagte eine Teilnehmerin. „Die Kritik an der Grünen Gentechnik meint oft den Esel, nämlich die ökologischen und sozialen Probleme der industriellen Landwirtschaft, schlägt aber den Sack, nämlich eine bestimmte Technologie, die als „extrem“ wahrgenommen wird und angreifbar scheint“, resümieren Rehmann-Sutter und Gusewski.
Dabei seien auch die durch klassische Züchtung erzeugten Pflanzen in ihrer qualitativen Ausprägung bereits sehr unnatürlich, „eine Unterscheidung zu gentechnisch veränderten Pflanzen ist diesbezüglich kaum möglich“, betont Dr. Reinhard Pröls vom Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TUM im abschließenden Interview des Sammelbands. “Man kann es sich heute kaum vorstellen, wie die Urformen dieser Pflanzen ausgesehen haben“, so Pröls. Er betont, dass die Grüne Gentechnik als konsequente Fortführung der Technisierung beziehungsweise Verwissenschaftlichung der Landwirtschaft gesehen werden müsse. „Was als natürlich angesehen wird, ist nicht fixiert, sondern ändert sich im Lauf der Geschichte. Deshalb kann es auch keinen absoluten Begriff des „Natürlichen“ geben.“
Weitere Beiträge behandeln unter anderem das Bild von Natur im Gentechnikschutzgesetz, den Anbau von gentechnisch veränderter Baumwolle sowie die sich verändernden Vorstellungen von Natur und Gesellschaft in der Sowjetunion zwischen den 1920er- und 1960er-Jahren. Dr. Julia Herzberg von der Universität Freiburg sieht in der damaligen sowjetischen Debatte um Genetik Parallelen zur heutigen Diskussion um Grüne Gentechnik, „in der vermeintlich über Risiken gestritten wird, letztendlich aber widerstreitende Zukunftsvorstellungen sowie Natur- und Menschenbilder aufeinandertreffen.“
Im Grunde, so der Philosoph Christian Dürnberger von der LMU in seinem Beitrag, seien die Diskussionen um technische Eingriffe oder die Umgestaltung der Natur Ausdruck einer grundlegenden Frage: In welcher Welt wollen wir leben?
Termin:
Am 8.12.2014 um 19 Uhr findet eine Buchpräsentation im CAS statt. Für die Teilnahme ist eine Anmeldung per E-Mail erforderlich: info@cas.lmu.de.
Publikation:
Annette Meyer, Stephan Schleissing (Hrsg.):
Projektion Natur. Grüne Gentechnik im Fokus der Wissenschaften
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014
Mehr zum CAS-Forschungsschwerpunkt „Landwirtschaft zwischen Idyll und Dystopie: Grüne Gentechnik als Projektionsfläche von Naturbildern“
http://www.cas.uni-muenchen.de/schwerpunkte/abgeschlossene/gruene_gentechnik/ind...
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Deutsch
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