Manche Nervenzellen sind aktiver als andere, auch wenn sie direkt nebeneinander liegen und sich im Aufbau nicht unterscheiden. Dr. Jean-Sébastien Jouhanneau und Dr. James Poulet vom Max-Delbrück-Centrum (MDC) Berlin Buch haben den Grund für dieses Phänomen entdeckt. Sie fanden heraus, dass die aktiveren Nervenzellen im berührungssensitiven Hirnareal auf ein breiteres Wahrnehmungsfeld reagieren und vermutlich eine besonders wichtige Rolle für unsere Sinneseindrücke spielen. Die Ergebnisse der Forscher, die zudem im Exzellenzcluster „NeuroCure“ an der Charité Berlin arbeiten, hat jetzt die Fachzeitschrift Neuron (http://dx.doi.org/10.1016/j.neuron.2014.10.014)* veröffentlicht.
In unserem Gehirn verarbeiten Milliarden von Nervenzellen Signale. Im sensorischen Teil unserer Hirnrinde (Kortex), der für Wahrnehmungen aus der Umwelt zuständig ist, sind die Nervenzellen keineswegs alle gleich aktiv: selbst direkt nebeneinander liegende Nervenzellen können unterschiedlich aktiv sein. Geht also ein Reiz ein, reagieren manche Neurone stärker als ihre Nachbarn. Der Grund dafür war der Wissenschaft bisher ein Rätsel. Sind die aktiveren Nervenzellen vielleicht innerhalb des Kortex stärker vernetzt? Oder erhalten sie mehr Informationen aus vorgeschalteten Hirnbereichen?
Um das zu klären, stimulierten die Forscher die Tasthaare von Mäusen und untersuchten, wie verschiedene Neurone im Gehirn darauf reagieren. Dazu maßen sie die Aktivität von zwei Nervenzellen gleichzeitig, Aktive Zellen sind gekennzeichnet durch eine hohe Konzentration des Proteins cFos. Da dieses an das Grün fluoreszierende Protein (GFP) gekoppelt war, konnten die Forscher aktive Zellen von weniger aktiven unterscheiden.
Zunächst stimulierten sie nur ein einzelnes zentrales Tasthaar. Überraschenderweise zeigten sich dabei jedoch keine Unterschiede zwischen den beiden Nervenzellen. Reizten sie hingegen mit Hilfe eines kurzen Luftstoßes viele Tasthaare gleichzeitig, reagierte die GFP-markierte Nervenzelle deutlich eher und stärker. Offenbar zeichnen sich die aktiveren Nervenzellen also dadurch aus, dass sie auf ein breiteres Wahrnehmungsfeld ansprechen. Doch woher kommen diese Informationen?
Bevor wir einen Reiz aus unserer Umgebung wahrnehmen, muss er im Gehirn den Thalamus passieren. Dieses Areal nennt man daher auch das „Tor zum Bewusstsein“. Bei Mäusen werden die Signale von den Tasthaaren in zwei Bereichen des Thalamus verarbeitet, dem sogenannten Ventralen Posteromedialen Kern (VPM) und dem Posteromedialen Kern (POm). Mit Hilfe einer optogenetischen Methode untersuchte das Team um James Poulet, welcher dieser Kerne für die verstärkte Reaktion bestimmter Nervenzellen verantwortlich ist. Durch Lichtimpulse im Gehirn konnten sie die Thalamuskerne gezielt aktivieren und so selektiv einen Informationsfluss durch einen der beiden Kerne vortäuschen.
Aktivierten die Wissenschaftler den VPM, reagierten beide Typen von Nervenzellen gleich stark. Sie verhielten sich also genauso, wie wenn nur ein einzelnes Tasthaar berührt wurde. Diese spezifische Reaktion wird also offenbar durch den VPM vermittelt. Der POm dagegen sorgte – ebenso wie Stimulation mehrerer Tasthaare – für ein stärkeres und schnelleres Ansprechen der GFP-markierten Nervenzellen.
Der POm ist dafür bekannt, dass er ein breites Wahrnehmungsfeld abdeckt und die Signale an weit verteilte Bereiche im Großhirn übermittelt. Die besonders aktiven Nervenzellen im berührungssensitiven Kortex zeichnen sich den neuen Forschungen zufolge dadurch aus, dass sie nicht nur spezifische Informationen vom VPM erhalten, sondern auch auf das breite Wahrnehmungsfeld des POm zurückgreifen können. Diese parallele Verarbeitung von spezifischen und großflächigen Reizinformationen durch separate Gruppen von Nervenzellen könnte ein grundlegender Mechanismus sensorischer Wahrnehmung sein. Möglicherweise sind die aktiveren Nervenzellen dabei besonders wichtig für die Wahrnehmung.
* Cortical fosGFP Expression Reveals Broad Receptive Field Excitatory Neurons Targeted by POm
Jean-Sébastien Jouhanneau1,2, Leiron Ferrarese1,2, Luc Estebanez1,2, Nick J. Audette3, Michael Brecht2,4, Alison L. Barth3, James F.A. Poulet1,2,*
1 Department of Neuroscience, Max Delbrück Center for Molecular Medicine (MDC), Berlin-Buch, Robert-Rössle-Str. 10, 13092 Berlin, Germany
2 Cluster of Excellence NeuroCure, Neuroscience Research Center, Charité -Universitä tsmedizin Berlin, Charitéplatz 1, 10117 Berlin, Germany
3 Department of Biological Sciences and Center for the Neural Basis of Cognition, Carnegie Mellon University, Pittsburgh, PA 15213, USA
4 Bernstein Center for Computational Neuroscience (BCCN), Humboldt University Berlin, Philippstrasse 13, 10115 Berlin, Germany
Kontakt:
Barbara Bachtler
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