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10.04.2003 12:40

Sechsbeiner nehmen auf unterschiedliche Weise Gestalt an

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Tübinger Entwicklungsbiologe über Musterbildung im Insektenembryo -
    Veröffentlichung in Nature

    Alle Insekten zeigen einen ähnlichen, dreiteiligen Aufbau aus Kopf, Brust und Hinterleib. Der Kopf trägt unterschiedliche Mundwerkzeuge, die je nach Lebensweise unterschiedlich ausgebildet sind, und als Sinnesorgane Antennen und Augen. Brust oder Thorax bestehen aus drei Segmenten, zu denen jeweils ein Beinpaar gehört, zu Mittel- und Hinterbrustsegment außerdem meistens je ein Flügelpaar. Der Hinterleib oder das Abdomen ist in der Regel aus elf Segmenten verschmolzen. Das grundlegende Muster der Körperbereiche muss schon früh in der Embryonalentwicklung angelegt werden. In der genetischen Forschung dient die Fruchtfliege Drosophila als Modellorganismus für die Untersuchung dieser Vorgänge. Die Tübinger Wissenschaftlerin Prof. Christiane Nüsslein-Volhard hat für ihre Entdeckungen über die grundlegenden genetischen Steuerungsmechanismen der Embryonalentwicklung bei Drosophila 1995 zusammen mit den Amerikanern Eric F. Wieschaus und Edward B. Lewis den Nobelpreis für Medizin und Physiologie erhalten. Denn die genetischen Steuerungsmechanismen im Embryo ließen sich in ähnlicher Form bei Fischen und sogar beim Menschen wiederfinden. Doch im Detail ist es komplizierter. Der Enwicklungsbiologe Dr. Reinhard Schröder vom Interfakultären Institut für Zellbiologie der Universität Tübingen hat bei einem anderen Insekt, dem Rotbraunen Reismehlkäfer (Tribolium castaneum), die genetische Musterbildung im Embryo untersucht und erstaunliche Abweichungen von der Entwicklung bei der Fruchtfliege gefunden. Seine Forschungsergebnisse werden in der heutigen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Nature (10. April 2003; Band 422, Seite 621) veröffentlicht.

    Bei der Fruchtfliege Drosophila hat ein von den Genetikern "bicoid" genanntes Gen eine zentrale Rolle bei der Entstehung des Musters im vorderen Körperbereich. Wenn das Gen durch eine Mutation ausgeschaltet ist und das zugehörige Bicoid-Protein nicht gebildet werden kann, entwickeln die Embryonen keinen Kopf oder Thorax, stattdessen einen zweiten Hinterleib am eigentlichen Vorderende. Das Gen bicoid scheint also eine grundlegende Bedeutung zu haben und ist - so würde man weiter vermuten - früh in der Evolution entstanden. Dennoch ließ sich dieses Gen nur bei nahen Verwandten der Fruchtfliege und bei anderen Insekten aus der Ordnung der Zweiflügler (Dipteren) finden, nicht aber bei der großen Zahl evolutiv älterer Insekten. Daher hat Dr. Reinhard Schröder den Rotbraunen Reismehlkäfer als in seiner genetischen Ausstattung typisches Insekt gewählt, der in einigen warmen Ländern als Getreideschädling auftritt und vor allem in den USA bereits eingehender genetisch untersucht wurde.

    Schröder hat festgestellt, dass beim Reismehlkäfer zwei evolutiv ältere Gene namens "orthodenticle" und "hunchback" ähnliche Funktionen erfüllen wie "bicoid" bei der Fruchtfliege, das nicht zur ursprünglichen genetischen Ausstattung der Insekten gehört. Wird beim Reismehlkäfer die Entstehung des Genprodukts von "orthodenticle" vor allem in der frühen Embryonalentwicklung unterdrückt, treten Defekte bei der Musterbildung im vorderen Bereich auf, in Extremfällen entsteht ein kopfloser Embryo. Weit gehend unabhängig von "orthodenticle" ist das Gen "hunchback" offenbar für die Ausbildung eines Teils der Kopfsegmente und der drei Thoraxsegmente zuständig. "Hunchback" findet sich auch bei Drosophila mit einer ähnlichen Funktion.

    Was passiert nun, wenn sowohl "orthodenticle" als auch "hunchback" beim Reismehlkäfer ausgeschaltet werden? Wie zu erwarten war, fand Reinhard Schröder in zwei Dritteln der Fälle kopflose Embryonen, da beide Gene zusammen die Entstehung des Kopfes regeln. Außerdem fehlten diesen Embryonen aber auch Segmente des Hinterleibs. Schröder schloss daraus, dass beide Gene synergistisch bei dessen Entwicklung zusammenwirken. Eine ähnliche Zusammenarbeit gibt es bei der Fruchtfliege durch die Gene "bicoid" und "hunchback". Der Forscher vermutet, dass synergistische Mechanismen die Segmentierung des Eies in der Entwicklung weniger störanfällig machen. Das Gen "bicoid" hat aber eine weitere Funktion bei der Fruchtfliege: sein Produkt unterdrückt die Ausbildung eines Hinterleibs. Wie diese Unterdrückung im Kopfbereich bei dem Reismehlkäfer funktioniert, bleibt noch zu erforschen. Der Entwicklungsbiologe Reinhard Schröder kann mit seinen Ergebnissen aber jetzt bereits nachvollziehen, wie sich die Evolution der Zweiflügler aus ursprünglicheren Insekten auf der Ebene der Gene abgespielt haben könnte, das Gen "orthodenticle" ist dabei weniger wichtig geworden.

    Nähere Informationen:

    Dr. Reinhard Schröder
    Interfakultäres Institut für Zellbiologie
    Abteilung Genetik der Tiere
    Auf der Morgenstelle 28
    72076 Tübingen
    Tel. 0 70 71/2 97 54 94
    Fax 0 70 71/29 51 28
    E-Mail: reinhard.schroeder@uni-tuebingen.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Informationstechnik
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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