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26.08.1998 00:00

Prinzhorn-Sammlung muß in Heidelberg bleiben

Dr. Michael Schwarz Kommunikation und Marketing
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

    Universität Heidelberg gegen Auslagerung von Teilen der Sammlung nach Berlin - Brückenschlag zwischen unmittelbarer Psychiatrie und Öffentlichkeit kann vermitteln, daß die Erlebniswelten psychisch Kranker allgemeingültige Prinzipien erhellen - Eröffnung des Heidelberger Prinzhorn-Museums voraussichtlich im Jahr 2000

    Die auf der Welt einzigartige Prinzhornsammlung von Bildern, Skulpturen und Texten aus psychiatrischen Anstalten der letzten Jahrzehnte des 19. und der ersten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ist zwischen 1919 und 1921 in Heidelberg zusammengetragen, gepflegt und erschlossen worden. Die Werke selbst wurden von insgesamt rund 500 hospitalisierten Patienten der großen psychiatrischen Anstalten der Schweiz und Deutschlands zwischen ca. 1890 und 1920 geschaffen. Als Hans Prinzhorn im Januar 1919 im Alter von 32 Jahren Assistent der Heidelberger Psychiatrischen Universitätsklinik wurde, beauftragte ihn der damalige Klinikleiter, Professor Karl Wilmanns, mit der Fortführung und wissenschaftlichen Betreuung einer von ihm begonnenen Sammlung von Patientenarbeiten. Dieser Aufgabe hat sich Prinzhorn mit tiefem Interesse am künstlerischen Schaffen Geisteskranker gewidmet. Als er Mitte des Jahres 1921 Heidelberg wieder verließ, war die Sammlung auf annähernd 5000 Objekte angewachsen und hatte damit ihren endgültigen Umfang erreicht. Eben in Heidelberg erkannten Wilmanns und Prinzhorn die Allgemeingültigkeit des Ausdrucksgehalts der Kunstwerke und versuchten durch wissenschaftliche Bearbeitung, dafür die Aufmerksamkeit von Fachleuten und Allgemeinpublikum zu gewinnen.

    Ende der 70er Jahre wurden mit Mitteln der Stiftung Volkswagenwerk die wissenschaftliche Katalogisierung und die museumstechnische Sicherung der Sammlung unter maßgeblicher Leistung von Mitarbeiterinnen wiederum der Psychiatrischen Universitätsklinik aufgenommen und bis heute durch eine Kustodin weitergeführt. Erst durch diese Aktivitäten in Heidelberg hat die Sammlung ihre internationale Ausstrahlungskraft entwickelt.

    Der Umbau des Hörsaalgebäudes der früheren Neurologischen Klinik zu einem Museum für die Prinzhorn-Sammlung verläuft planmäßig. Die Eröffnung kann zum Jahr 2000 erwartet werden.

    Die einzigartige Bedeutung der Prinzhorn-Sammlung an dem Ort ihres Entstehens - und d.h. an einer klinischen Einrichtung, in der täglich Patienten verkehren und behandelt werden - liegt darin, die psychisch Kranken zu entstigmatisieren. Ein Brückenschlag zwischen unmittelbarer Psychiatrie und Öffentlichkeit vermag zu vermitteln, daß die Erlebniswelten psychisch Kranker Prinzipien mentaler Funktionen erhellen, die hohe Allgemeingültigkeit für das Verständnis von Entwicklungs- und Lebenskonflikten aller Menschen beanspruchen können. Eben an einem so atmosphärisch beeinflußten Ort können Assoziationen von Ästhetik und Kultur entstehen und wahrgenommen werden, die sich für gewöhnlich nicht bei Gedanken an Psychiatrie einstellen.

    Die Forderung der Initiatoren der Stiftung "Haus des Eigensinns"

    Die Initiatoren der Stiftung "Haus des Eigensinns", darunter der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V., verlangen von der Universität Heidelberg, daß Teile der Prinzhorn-Sammlung auf Dauer der Stiftung zur Verfügung gestellt werden, die die übergebenen Exponate in einem zu errichtenden "Museum der Wahnsinnigen Schönheit", und zwar in der Tiergartenstraße 4, Berlin, ausstellt. Diese Forderung wird damit begründet, daß ein Zusammenhang zwischen der Sammlung - genauer: der Menschen, welche die dort zusammengetragenen Werke geschaffen haben - und der Euthanasie des Nationalsozialismus bestehe. Ein solcher Zusammenhang wird erstens gesehen durch die lokale Besonderheit der Zusammenführung der Sammlung an einer Klinik, in der eine Generation nach Abschluß der Sammlung 1941 Euthanasie geschah, zweitens im Mißbrauch durch die Nationalsozialisten in der Weise, daß bei der Ausstellung "Entartete Kunst" Bilder der Sammlung die zeitgenössische Kunst als krankhaft diskreditieren sollten.

    Die Universität Heidelberg kann den Argumentationen nicht folgen, daß ein Mahnmal zu dem Gedenken an die Euthanasie-Opfer mit der Ausstellung von Werken aus der Prinzhorn-Sammlung zwingend zu verknüpfen ist. Sie weist eine genuine Verbindung zwischen Euthanasie und der Prinzhorn-Sammlung zurück, weil sie eine unzulässige Instrumentalisierung für die Interessen des Bundesverbandes der Psychiatrie-Erfahrenen postuliert und die Bedeutung der Sammlung historisch in unrichtiger Weise einengt und vereinseitigt. Karl Wilmanns und Heinz Prinzhorn waren an der gedanklichen Vorbereitung der Stigmatisierung und Ermordung Geisteskranker zwischen 1933 und 1945 in keiner Weise beteiligt. Sie sind in dieser Hinsicht über jeden Zweifel erhaben. Prinzhorn starb im Juni 1933; in dem gleichen Monat entfernten die Nationalsozialisten Wilmanns aus politischen Gründen als Hochschullehrer aus dem Staatsdienst. Aus allen historischen Fakten ergibt sich, daß eben eine genuine Beziehung zwischen der Prinzhorn-Sammlung und der Euthanasie nicht bestehen kann.

    Carl Schneider

    Mit dieser Feststellung verdrängt die Universität Heidelberg nicht das verwerfliche Wirken im Rahmen der Euthanasie-Programme von Carl Schneider, dem Nachfolger von Wilmanns als Direktor der Psychiatrischen Klinik von 1933 bis 1945. Am 8. Mai 1998 ist vor der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg ein Mahnmal in Erinnerung an die Opfer der Euthanasie enthüllt worden. Auch deshalb wird mit dem geschlossenen Verbleib der Prinzhorn-Sammlung an der Stätte ihrer Entstehung, deren Leitung damals eine anti-nationalsozialistische Haltung einnahm, die Auseinandersetzung der Universität Heidelberg mit der Geschichte der Psychiatrischen Klinik 20 Jahre nach Entstehung der Sammlung bekräftigt.

    Ausstellung "Entartete Kunst"

    Der Universität Heidelberg ist auch bewußt, daß Werke der Prinzhorn-Sammlung Exponate der im Juni 1937 in München eröffneten sog. Ausstellung "Entartete Kunst" waren. Der Katalog zu dieser Ausstellung legt offen, daß die Exponate "Bildwerken" 'irrsinniger' "Nichtkünstler" gleichgesetzt, also nicht als Kunst gedeutet wurden - ganz in diametralem Gegensatz zu Prinzhorn und Wilmanns. Die Nationalsozialisten haben auf diese Weise die Prinzhorn-Sammlung unsäglich instrumentalisiert. Mit den nationalsozialistischen Psychiatrieopfern, unter denen wahrscheinlich auch drei Künstler der Prinzhorn-Sammlung sind, hat aber die Sammlung selbst weder unmittelbar noch symbolisch etwas zu tun. Wir sollten verhindern, sie ein zweites Mal zu instrumentalisieren.

    Rückfragen bitte an:
    Dr. Michael Schwarz
    Pressesprecher der Universität Heidelberg
    Tel. 06221 542310, Fax -17
    e-mail: michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kunst / Design, Medizin, Musik / Theater
    überregional
    Organisatorisches
    Deutsch


     

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