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23.04.2003 09:36

Bürgerliche APO-Bewegung um 1800

Axel Burchardt Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Historiker der Universität Jena untersucht politische Professoren der Alma Mater um 1800

    Jena (23.04.03) "Ein Volk muss sich rühren, wenn es denken soll, und es rührt sich, wenn es denkt, und je mehr es denkt, desto mehr rührt es sich; denn das Volk ist kein steifer Gelehrter, der lebenslänglich meist nur einerlei und nicht viel denkt ...".

    Diese Art Gelehrte, die der Naturwissenschaftler Lorenz Oken in einer Schrift zu den Ereignissen beim Wartburgfest (1817) anprangert, sind er selbst und seine Professorenkollegen nicht gewesen. Unter dem Stichwort "politische Professoren" sind die jungen Gelehrten, die etwa um 1800 ihren Dienst in Jena antraten, in die Geschichte der Alma Mater eingegangen. "Politisch deswegen, weil sie sich neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit aktiv für eine Veränderung der politischen Verhältnisse einsetzten", sagt Dr. Klaus Ries. Sie begriffen sich nicht vordergründig als Staatsdiener und Gelehrte, sondern als Staatsbürger mit der Pflicht, die Gesellschaft mitzugestalten, berichtet der Historiker der Universität Jena. In seiner Habilitationsarbeit, die aus dem Sonderforschungsbereich 482 "Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800" hervorgeht, setzt sich Ries mit dem Wirken dieser aktiven Professorenklientel auseinander.

    Ob sich ein Professor politisch engagieren soll, ist bis heute umstritten, wird aber beispielsweise von dem Philosophen Jürgen Habermas unbedingt bejaht. Dabei findet er sich mit Oken in guter Gesellschaft, der möchte, dass ein Gelehrter seine Position nutzt, um sich auch als Bürger seines Staates zu artikulieren. Zieht man das politische Umfeld in Betracht, vor dem die Professoren zwischen etwa 1806 bis 1820 agierten, versteht man umso besser wie epochal ihr neues Amtsverständnis war. Im kleinstaatlichen Deutschland unter napoleonischer "Fremdherrschaft" waren sie die Vorreiter für die bürgerliche Revolution von 1848. Sie bereiteten den Boden für die Gründung der Jenaer Urburschenschaft 1815.

    "Der Historiker Heinrich Luden, der Philosoph Jakob Friedrich Fries und der Naturwissenschaftler Lorenz Oken stehen stellvertretend für diejenigen Gelehrten, die das Gesicht des fortschrittlichen nationalen Jena prägten," berichtet Ries. "Bezeichnend ist, dass keiner von ihnen beim Amtsantritt älter als 30 war". Sie standen den Studenten sehr nahe. Nationale Einheit und Freiheit war das Grunderlebnis, das die politischen Profs ihren Studenten vermittelten. Für Ries sind die Professoren keinesfalls Schreibtischtäter mit dem Hang zur Theorie, den man der politischen Bewegung in Deutschland gerne nachsagt. Er erkennt bei ihnen eine Einheit von Wort und Tat und einen erstaunlichen Praxisbezug. Sie gaben Zeitschriften und Bücher heraus und gründeten Vereine. "Letztere können als Vorstufen politischer Parteien gelten", so der Jenaer Historiker. Eine Presselandschaft, die die Meinungsvielfalt in der Gesellschaft widerspiegelt, entsteht. Alle drei Professoren beteiligen sich am Wartburgfest 1817, das als höchster Ausdruck der gesamtdeutschen bürgerlichen Opposition verstanden werden kann. Da Adlige in den Kleinstaaten regieren, ist diese Opposition eine Art APO-Bewegung (Außerparlamentarische Oppositionsbewegung) der bürgerlichen Schichten. "Innerhalb von zehn Jahren gibt es einen Auf- und Umbruch, bevor Deutschland unter der Regierung Metternich in der Reaktion versinkt", bilanziert Ries. Mit der Auflösung der Urburschenschaft 1819, gefolgt von der Suspension von Fries und der Dienstentlassung Okens, endet der freiheitliche Aufschwung der Jenaer Universität um 1800.

    Kontakt:
    Dr. Klaus Ries
    Historisches Institut der Universität Jena
    Fürstengraben 13, 07743 Jena
    Tel.: 03641 / 824688
    E-Mail: klaus.ries@uni-jena.de


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    Dr. Klaus Ries untersucht in seiner Habilitation die politischen Professoren Jenas um 1800. (Foto: Günther/FSU-Fotozentrum)
    Dr. Klaus Ries untersucht in seiner Habilitation die politischen Professoren Jenas um 1800. (Foto: G ...

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    Das Wartburgfest 1817, an dem sich auch Professoren der Universität Jena beteiligten, gilt als höchster Ausdruck der gesamtdeutschen bürgerlichen Oppositionsbewegung. (Foto: Archiv)
    Das Wartburgfest 1817, an dem sich auch Professoren der Universität Jena beteiligten, gilt als höchs ...

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Politik, Recht
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Dr. Klaus Ries untersucht in seiner Habilitation die politischen Professoren Jenas um 1800. (Foto: Günther/FSU-Fotozentrum)


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    Das Wartburgfest 1817, an dem sich auch Professoren der Universität Jena beteiligten, gilt als höchster Ausdruck der gesamtdeutschen bürgerlichen Oppositionsbewegung. (Foto: Archiv)


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