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29.04.2003 15:12

Neue Hoffnung für Nierentransplantierte

Rüdiger Labahn Informations- und Pressestelle
Universität zu Lübeck

    Lübecker Wissenschaftler weisen Zusammenhang zwischen genetischer Abweichung im Immunsystem und vorzeitigem Verlust von verpflanzten Nieren nach

    Nierentransplantationen gehören heute zur medizinischen Routine; an der Universität zu Lübeck - einem der bundesweit größten Nierentransplantationszentren - werden jährlich etwa 70 Organe übertragen. Dabei ist weniger die Operation selbst, als vielmehr das reibungslose Zusammenspiel von Körper und Fremdorgan entscheidend für die weitere Gesundheit des Menschen. Dies funktioniert nicht immer wie gewünscht: Etwa 30 Prozent der Spenderorgane versagen innerhalb der ersten fünf Jahre nach Transplantation.

    Forscher in aller Welt arbeiten an Verfahren, diese Rate zu verbessern. Immunologen der Universität Lübeck ist jetzt ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin gelungen: Sie haben im Immunsystem der Organempfänger einen engen Zusammenhang zwischen einer genetischen Abweichung und dem Langzeiterfolg transplantierter Nieren entdeckt. "Damit scheint es in Zukunft möglich zu sein, genau die Patienten frühzeitig zu erkennen, die ein erhöhtes Risiko haben, ihr neues Organ wieder zu verlieren", erklärte Dr. Michael Müller-Steinhardt, Laborleiter im Institut für Immunologie (Direktor: Prof. Dr. Holger Kirchner). Bestätigen die Forscher erste Ergebnisse in weiteren, bereits laufenden Studien, könnten gefährdete Patienten künftig frühzeitig mit einer entsprechend veränderten Medikamentenkombination behandelt werden, damit das übertragene Organ funktionstüchtig bleibt.

    Jährlich werden in Deutschland etwa 2300 Nieren verpflanzt. Die Risikofaktoren, die einen möglichen Transplantationserfolg beeinträchtigen können, sind vielfältig. So spielt das Alter von Spender und Empfänger eine große Rolle. Die Niere eines 20jährigen Spenders arbeitet in aller Regel besser als die eines 50jährigen. Und ein 30jähriger Organempfänger hat meist bessere körperliche Voraussetzungen als ein 60jähriger. Auch das Geschlechterverhältnis zwischen Spender und Empfänger ist von Belang. Wichtigste Voraussetzung jedoch ist die Übereinstimmung verschiedener Gewebemerkmale (HLA-Bestimmung): Je mehr Parameter zueinander passen, desto größer ist die Chance, dass der Organismus die fremde Niere langfristig annimmt.

    "Die Gefahr, dass es frühzeitig nach der Transplantation zu einem plötzlichen Organverlust kommt, ist heute eher gering. Akute Abstoßungsreaktionen sind dank moderner Medikamente heute viel seltener; außerdem bekommen wir sie medikamentös meist schnell und effektiv in den Griff", erläutert Priv.-Doz. Dr. Lutz Fricke, internistischer Leiter des Lübecker Transplantationszentrums. Mehr Sorgen bereitet den Experten dagegen das "Langzeitüberleben" der verpflanzten Niere. "Jedes Jahr verlieren sechs bis sieben Prozent der Patienten ihr Transplantat. Dies ist nicht auf plötzliche Abstoßungsreaktionen zurück zu führen, sondern auf immunologische Prozesse, die zu einer beschleunigten Alterung des übertragenen Organs führen."

    Weil die Forscher über diese so genannte "chronische Transplantatdysfunktion" heute noch zu wenig wissen, kann sie medikamentös bisher wenig beeinflusst werden. Eine große Rolle - das haben die Untersuchungen der Lübecker Wissenschaftler ergeben - spielt auch hier das körpereigene Immunsystem. Dieses wird grundsätzlich nach einer Transplantation medikamentös unterdrückt, damit die verschiedenen Zelltypen der Körperabwehr das fremde Organ nicht attackieren und zerstören.

    Bisher erhalten die meisten Patienten je nach Risikoklassifizierung mehr oder minder große Mengen von Ciclosporin A, Mycophenolat Mofetil und Kortison. Mit dieser Kombination so genannter Immunsuppressiva gelingt es in aller Regel, die körpereigene Abwehr in Schach zu halten. Nur: Die gleichen Mengen gleicher Medikamente wirken bei jedem Patienten anders. Das erklärt, warum der eine sein Organ früh, der andere erst nach vielen Jahren verliert, obwohl beide mit identischen Immunsuppressiva behandelt wurden.

    Warum das so ist? Der Antwort dieser Frage ist das Lübecker Forscherteam jetzt einen Schritt näher gekommen. Sie haben im Labor eine Reihe von Zytokinen untersucht und mit speziellen Verfahren analysiert. Zytokine sind Botenstoffe des Immunsystems, die unterschiedliche Vorgänge in den Zellen steuern; u.a. sind sie maßgeblich für die Stimulierung der Körperabwehr.

    Zu diesen Botenstoffen gehört auch die Gruppe der Interleukine. "Beim Interleukin-6, kurz IL 6, sind wir auf einen interessanten Zusammenhang gestoßen", erläutert Dr. Müller-Steinhardt, "an einer Stelle des Gens, die für die Aktivierung des Botenstoffs von Bedeutung ist, haben wir eine enge Verbindung zwischen einer genetischen Abweichung und dem frühzeitigen Verlust des transplantierten Organs nachweisen können." Eine solche Abweichung (auch "Variante" oder "Punktmutation" genannt) ist an und für sich nichts ungewöhnliches; Forscher bezeichnen sie als Polymorphismus. In diesem Fall beruhte der Polymorphismus lediglich auf einer Abweichung an einem ganz speziellen Gen-Ort: Hier findet sich statt der erwarteten Base Guanin (G) das Cytosin (C).

    158 Nierenkranke haben die Forscher in den vergangenen Jahren zu diesem Zweck untersucht. Alle wurden zwischen 1982 und 1998 in Lübeck transplantiert und mindestens drei Jahre nachbeobachtet; alle erhielten in dieser Zeit die gleiche Dosis immununterdrückender Medikamente. Bei den Patienten mit der C-Base waren nach drei Jahren nur noch 68,3 Prozent der verpflanzten Nieren funktionstüchtig. Bei den Patienten, die an dem speziellen Gen-Ort eine G-Base hatten, verrichteten jedoch noch 88,9 Prozent der übertragenen Nieren ihren Dienst. Demzufolge waren die Patienten mit der genetischen Abweichung deutlich häufiger von einer Organabstoßung betroffen. Hierbei handelte es sich auch noch um die größere Patientengruppe: Bei knapp zwei Drittel aller Untersuchten wurde die genetische Abweichung festgestellt.

    "Die Ergebnisse unserer Studie waren statistisch eindeutig und wurden Ende letzten Jahres in der renommierten amerikanischen Fachzeitschrift ŽKidney InternationalŽ veröffentlicht", erklärt der Immunologe. Inzwischen haben die Forscher weitere genetische Variationen im Erbgut von IL 6 näher analysiert. Sie vermuten, dass im Zusammenspiel der verschiedenen Polymorphismen das erhöhte Risiko für einen Organverlust begründet ist.

    Welche Bedeutung die Forschungen für Nierenpatienten zukünftig haben werden, ist heute noch nicht exakt abzusehen. Müller-Steinhardt: "Theoretisch eignet sich die Methode sehr gut als Testverfahren, weil wir mit einer Blutanalyse schon vor der Transplantation feststellen können, ob bei dem Patienten genetische Abweichungen vorliegen und er dadurch ein höheres Risiko für einen frühzeitigen Organverlust hat." Bevor ein solcher Test jedoch in der klinischen Praxis genutzt werden könne, müsse man mehr über die funktionelle Bedeutung der genetischen Abweichungen erfahren und einen ursächlichen Zusammenhang zum Langzeitüberleben des Transplantats belegen. "Hier besteht noch gewaltiger Forschungsbedarf."

    Seit etwa zwei Jahren laufen in Lübeck weitergehende Studien, bei denen das Blut der Patienten bereits vor der Transplantation entnommen und untersucht wird. Mit diesen Analysen, die durch Forschungsförderprogramme der Universität Lübeck maßgeblich unterstützt werden, wollen die Wissenschaftler die ersten Studiendaten überprüfen; Ergebnisse werden wegen der langen Nachbeobachtungszeit jedoch erst in mehreren Jahren erwartet.

    Ziel der Bestrebungen ist es, weitere Risikofaktoren zu identifizieren und den Patienten langfristig eine individualisierte, auf ihr persönliches Risiko abgestimmte Behandlung nach der Transplantation zu ermöglichen, betont Dr. Müller-Steinhardt. "Noch werden die immunsuppressiven Medikamente, die ihrerseits selbst gesundheitliche Beeinträchtigungen verursachen können, nach Standard-Schemata dosiert. Wünschenswert wäre künftig jedoch eine individuelle Steuerung, die dem Motto folgt: So viele Immunsuppressiva wie nötig, so wenig wie möglich."
    Bis dieses Ziel erreicht wird, vergehen noch mehrere Jahre, glaubt Müller-Steinhardt. Noch viel länger dauern wird es bis zur Verwirklichung einer anderen Vorstellung: Dass das Immunsystem - etwa durch Genmanipulationen oder Stammzelltherapien - soweit zu beeinflussen ist, dass nach einer Transplantation unterdrückende Medikamente gänzlich unnötig werden.

    Das Lübecker Nierentransplantationszentrum ist das mit Abstand größte in Norddeutschland. Es wird als interdisziplinäre Einrich-tung gemeinsam von der Klinik für Chirurgie (Direktor: Prof. Dr. Hans-Peter Bruch) und der Medizinischen Klinik I (Direktor: Prof. Dr. Horst Lorenz Fehm) betrieben. In Lübeck sind in den vergangenen Jahren über 1150 Nieren und 30 Bauchspeichel-drüsen verpflanzt worden. Die jährlichen Transplantationszahlen liegen damit deutlich über denen von Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf oder Heidelberg. Auf dem Universitätsgelände entsteht derzeit ein neues Behandlungszentrum, das mit 14 Betten, darunter vier Intensiveinheiten, ausgestattet ist. Die Bau- und Einrichtungskosten belaufen sich auf etwa 3,5 Millionen Euro. Eröffnet werden soll das neue Transplantationszentrum, das von Priv.-Doz. Dr. Lutz Fricke (Internist) und Priv.-Doz. Dr. Martin Strik (Chirurg) geleitet wird, im August 2003.

    Uwe Groenewold / Pressedienst Universität zu Lübeck


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    Vor der Transplantation wird die Niere in Eiswasser gelegt, gesäubert und gespült. Neue Lübecker Ergebnisse versprechen bessere Langzeiterfolge
    Vor der Transplantation wird die Niere in Eiswasser gelegt, gesäubert und gespült. Neue Lübecker Erg ...

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    Priv.-Doz. Dr. med. Lutz Fricke, internistischer Leiter des Transplantationszentrums, Universität zu Lübeck
    Priv.-Doz. Dr. med. Lutz Fricke, internistischer Leiter des Transplantationszentrums, Universität zu ...

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Vor der Transplantation wird die Niere in Eiswasser gelegt, gesäubert und gespült. Neue Lübecker Ergebnisse versprechen bessere Langzeiterfolge


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