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05.05.2003 11:16

Integration durch Sprachförderung - je früher, desto besser

Achim Fischer Abteilung Kommunikation
Universität Mannheim

    Praxisnahe Forschung an der Uni Mannheim: Professor Rosemarie Tracy sucht den Weg in die Kindergärten/ Effiziente Sprachförderung für Migrantenkinder in den Zeiten nach PISA

    Je früher, desto besser: Die Mannheimer Spracherwerbsforscherin Professor Dr. Rosemarie Tracy will bereits in den Kindergärten das aktive Deutschlernen von Migrantenkindern fördern. Ihr Förderungskonzept basiert auf der gesicherten Erkenntnis der Sprachforschung, wonach das Sprachenlernen bei Kleinkindern noch zum "biologischen Programm" gehört und ganz spielerisch erfolgt. Entgegen dem Vorurteil, die Kinder würden keine der beiden Sprachen richtig sprechen, wenn sie in so jungen Jahren eine Zweitsprache erlernen, ist mit babylonischer Sprachverwirrung nach Meinung der Expertin nicht zu rechnen. "Kinder können bereits sehr früh sprachliche Strukturen intuitiv unterscheiden und lernen eine Sprache im Kindergartenalter wesentlich schneller und leichter als beispielsweise in der Grundschule", erklärt Tracy. Um Vorurteilen zu begegnen und die Sprachförderung auf solide wissenschaftliche Säulen zu stellen, hat Professor Tracy an der Universität Mannheim die "Kontaktstelle Mehrsprachigkeit" geschaffen. Die Kontaktstelle bietet Pädagogen aus Kindergärten, Kindertagesstätten und Grundschulen Fortbildungsveranstaltungen und Broschüren zum Thema Spracherwerb - ein Angebot, das bereits rege genutzt wird.

    Mit der Kontaktstelle packt Professor Tracy die Sprachförderung dort an, wo die Pisastudie aufhört: Mit dem frühen Zugang zur deutschen Sprache soll jungen Migranten bereits im Kindergarten die Tür zum deutschen Bildungssystem und damit auch zum deutschen Arbeitsmarkt geöffnet werden. Denn nach wie vor sind oft gerade Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache ein Hauptgrund dafür, dass für ausländische Schüler die Aussichten auf einen höheren Bildungsabschluss und einen guten Start ins Berufsleben nicht besonders rosig sind. "Wichtig ist, die interkulturelle Kompetenz der Migrantenkinder anzuerkennen und ihre Muttersprache in das Deutschtraining einzubeziehen.", erläutert Tracy und fügt erklärend hinzu: "Einfache Fragen beispielsweise nach dem türkischen Wort für 'Stift' oder 'Puppe' reichen oft schon aus, um den Kindern das gute Gefühl zu geben, ernst genommen zu werden und auch etwas zu wissen."

    Die Kontaktstelle ist im Rahmen des DFG-Forscherprojektes "Sprachvariation als kommunikative Praxis" entstanden und wird ab 1. Mai durch das Projekt "Spracherwerb und Migration" ergänzt. Kernaufgaben sollen neben den Weiterbildungsmaßnahmen für Erzieher und Lehrer, auch die Entwicklung und Betreuung von Pilotprojekten vor Ort, d.h. in Kindergärten, Grundschulen und Kindertagesstätten sein. Bei der Umsetzung des Konzepts arbeiten Tracy und ihre Kollegen Dr. Inken Keim vom Institut für Deutsche Sprache (IdS) und Dr. Ira Gawlitzek vom Mannheimer Lehrstuhl für Anglistische Linguistik eng mit den Behörden von Stadt und Land zusammen: In Kontakt mit Politikern, Lehrern und Erziehern eilen sie dabei seit einem knappen Jahr von rundem Tisch zu rundem Tisch. "Wir erhalten viel positives Feedback", freut sich Tracy.

    Seit letzten Herbst haben bereits mehr als 80 Pädagogen aus der Region das Angebot der Kontaktstelle genutzt, sich in Sachen Zweitsprachförderung weiterzubilden: "Erst das Wissen um sprachlichen Entwicklungsstand, wichtige Etappen des Spracherwerbs und Sprachprobleme ermöglicht eine gezielte Förderung und baut Unsicherheiten im Umgang mit Kindern ab, die Deutsch als Zweitsprache erwerben", erklärt Tracy. So wird in den Kursen beispielsweise anhand von Tonbandaufnahmen und Mitschriften von Gesprächen gezeigt, wie sich die Sprachfähigkeit von Kleinkindern von Einwortäußerungen bis hin zu komplexen Konstruktionen mit Haupt- und Nebensätzen verbessert und dass vermeintliche Rückschläge in der Entwicklung ganz normal sind. "Es ist ganz typisch für Kleinkinder im Alter von 2-3 Jahren, dass sie beispielsweise das Partizip Perfekt nicht richtig bilden und "hat reinstich" statt " hat reingestochen" sagen, auch wenn sie vorher durchaus die richtige Form benutzt haben. Der vermeintliche Rückschritt markiert jedoch einfach den Übergang in die nächste Stufe des Spracherwerbs", erklärt Tracy. Daneben arbeitet Tracy in ihren Fortbildungsveranstaltungen mit Karikaturen, Witzen und Satzpuzzeln, um die Fortbildungsteilnehmer für die Fallstricke der deutschen Sprache zu sensibilisieren. Neben gesicherten Erkenntnissen der Spracherwerbsforschung vermitteln die Kurse und Broschüren auch effiziente und kindgerechte Methoden zur spielerischen Sprachförderung: So ist ganz praxisnah von Papageien, mehrsprachigen Drachen mit drei Köpfen und Klein-Ernas intuitivem Wissen um linguistische Strukturen die Rede, wenn Rosemarie Tracy in den Fortbildungsveranstaltungen den frühen kindlichen Zweitspracherwerb aus wissenschaftlicher Perspektive erläutert.

    Die Arbeit der Kontaktstelle wird ab 1. Mai durch das Projekt "Spracherwerb und Migration" ergänzt. Das gerade vom Stuttgarter Wissenschaftsministerium genehmigte Forschungsunternehmen untersucht den Zweitspracherwerb in der Kindheit. Im Gegensatz zum doppelten Erstspracherwerb bei Kindern, die von Anfang an zweisprachig aufwachsen, ist der Zweitspracherwerb im Vorschulalter bislang kaum erforscht. Diese Lücke will Tracy mit ihrem Team nun schließen. Zwölf Kindergartenkinder aus Migrantenfamilien werden beim Deutschlernen ein Jahr beobachtend begleitet, ihre Fortschritte mit Ton- und Videoaufzeichnungen dokumentiert. Parallel dazu sollen rund 15 Studierende bis zum Herbst theoretisch und praktisch für die Sprachförderung fit gemacht werden. Sie können dann die Erzieher aktiv vor Ort unterstützen. Erste Kontakte zu interessierten Kindergärten und Kindertagesstätten sind bereits geknüpft.

    Nähere Informationen:
    Prof. Dr. Rosemarie Tracy
    LS für Anglistische Linguistik
    Universität Mannheim
    Tel.: 0621/181-2337
    E-Mail: rtracy@rums.uni-mannheim.de

    Kontaktstelle Mehrsprachigkeit:
    Vytautas Lemke
    Tel.: 0621/181-3165 oder -2337
    E-mail: vlemke@uni-mannheim.de
    Tattersallstr. 2, Zimmer 302.
    http://www.ids-mannheim.de/prag/sprachvariation/fgvaria/Beratungsstelle.html


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Sprache / Literatur
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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