Berlin – Hierzulande leben etwa 2,6 Millionen Kinder in Familien mit einem suchtkranken Elternteil – geschätzte 30 000 von ihnen haben drogenabhängige Eltern. Diese Kinder sind gefährdet, seelisch, psychisch und sozial Schaden zu nehmen, später selbst an einer Sucht zu erkranken oder auch Opfer von physischer Gewalt zu werden. Kinderchirurgen kommen mit diesen Kindern in Kontakt, etwa wenn sie ein verletztes Kind behandeln – und sollten dann Hilfestellungen im Sinne des Kindes einleiten. Jedoch mangelt es in vielen Krankenhäusern an geeigneten Strukturen, die sich dieser Familienproblematik annehmen könnten.
Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) fordert deshalb deutschlandweit interdisziplinäre Kompetenzstrukturen für den Kinderschutz in und um Kinderkliniken. Die DGKCH macht dies deutlich anlässlich der 7. wissenschaftlichen Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Kinderschutz in der Medizin vom 8. bis 9. Mai 2015 in Dresden.
Immer mehr Menschen in Deutschland greifen zu gefährlichen künstlichen Drogen wie Crystal Meth oder Legal Highs. Drei Prozent mehr als im Jahr zuvor starben 2014 an ihrem Drogenkonsum, wie Bundeskriminalamt und Bundesregierung soeben berichteten. Dies wirkt sich auch auf Kinder aus: „Wir beobachten im Umfeld unserer kleinen Patienten einen zunehmenden Missbrauch von Drogen, gerade in jungen Familien, bei Schwangeren und Heranwachsenden“, sagt Tagungspräsidentin Frauke Schwier, Kinderchirurgin am Universitätsklinikum Dresden. Dieses Jahr stehen Kinder in drogenbelasteten Familien im Zentrum der Veranstaltung „Hier bedarf es - ähnlich wie bei den anderen Suchterkrankungen - rascher Hilfe: Denn diese Kinder sind nicht nur in großer Gefahr, selbst eine Suchtproblematik oder andere Störungen zu entwickeln, häufig wachsen sie auch ohne Fürsorge auf, sind vereinsamt und in ihrer Entwicklung massiv beeinträchtigt.“
Im Rahmen der Behandlung etwa von Verletzungen gelangen diese Kinder auch in Kontakt zu Kinderchirurgen. Dabei können Kinderchirurgen familiäre Krisensituationen erkennen und Hilfe einleiten. Bewährt haben sich dabei interdisziplinäre Strukturen wie Kinderschutzgruppen, die nicht nur medizinisch helfen, sondern auch versuchen, fachübergreifend Hilfskonzepte, die sowohl Eltern als auch Kinder einbeziehen, zu erstellen. „Zahlreiche auf den Einzelfall abgestimmte Disziplinen von Jugendhilfe, Sozialdiensten, Pädagogen, Kinderpsychologen und Jugendpsychiatern, Rechtsmedizinern, Augenärzten, Radiologen, Kinderärzten, Gynäkologen und Kinderchirurgen und manchmal auch der Polizei arbeiten im Idealfall zum Wohl der Betroffenen zusammen“, berichtet Dr. med. Sylvester von Bismarck, der die AG Kinderschutz der DGKCH leitet.
Aktuell gibt es in mehr als 50 Kliniken solche Kinderschutzgruppen. „Das ist zwar schon ein Fortschritt“, sagt von Bismarck, der Kinderchirurg am Berliner Klinikum Vivantes ist. Doch für eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung reiche das bei weitem nicht aus: „Wir brauchen mehr Kinderschutzgruppen und von ihnen geschaffene, lokale Hilfsnetzwerke, die mit den Kliniken zusammenarbeiten. Und er benennt die fehlende Finanzierung der Arbeit: „Die Ansprache und Behandlung der Betroffenen erfordern Kompetenz, Zeit und Einfühlungsvermögen“, sagt von Bismarck. Dieser Aufwand sei in den Fallpauschalen zur Vergütung der Kliniken jedoch nicht eingeplant.
Hier müsse dringend etwas getan werden, fordert die DGKCH: „Insbesondere Babys und Kleinkinder sind durch den Drogenkonsum ihrer Eltern gefährdet. Diese Gefährdungen müssen rechtzeitig erkannt und durch entsprechende Hilfen für die Familien abgewendet werden“, sagt von Bismarck.
Zur 7. Jahrestagung erwarten die Veranstalter 250 Teilnehmer aus allen beteiligten Disziplinen des medizinischen Kinderschutzes nach Dresden. Die Arbeitsgemeinschaft Kinderschutz in der Medizin wurde im Jahr 2008 gegründet und ist bundesweit tätig. Sie entwickelte den ersten Leitfaden für medizinischen Kinderschutz in Kliniken. Zu ihren Mitgliedern gehören Kinderchirurgen, Kinderärzte, Kinder- und Jugendpsychiater, Rechtsmediziner, Psychologen und Sozialpädagogen. Weitere Informationen sind abrufbar unter: http://www.ag-kim.de und http://www.jahrestagung.ag-kim.de.
Quellen:
Bundesministerium für Gesundheit, Berlin: Metastudie Arbeit mit Kindern und deren suchtkranken Eltern. Stand: 31.05 2007
Amt für Soziale Dienste Bremen: Fachliche Weisung Umgang mit Kindern substituierter bzw. drogenabhängiger Mütter/Väter bzw. Eltern. Stand: 01.03.2009, abrufbar unter http://www.soziales.bremen.de.
Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie
Gegründet im Jahr 1963 schafft die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) bis heute Grundlagen für eine bestmögliche kinderchirurgische Versorgung in Deutschland. Dazu gehören Neugeborenenchirurgie, allgemeine Kinderchirurgie und Kindertraumatologie ebenso wie Kinderurologie. Die DGKCH vertritt das Fach in allen wissenschaftlichen, fachlichen und beruflichen Belangen. Derzeit praktizieren hierzulande Fachärzte für Kinderchirurgie in mehr als 80 kinderchirurgischen Kliniken und Abteilungen sowie als Niedergelassene. Kinderchirurgie gehört in die Hände von Kinderchirurgen. Denn ihre Patienten sind keine kleinen Erwachsenen.
Kontakt für Journalisten:
Dr. Adelheid Liebendörfer, Anna Julia Voormann
Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH)
Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart
Tel.: 0711 8931-173
Fax: 0711 8931-167
E-Mail: liebendoerfer@medizinkommunikation.org, presse@dgkch.de
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