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09.05.2003 10:24

Symposium:Experten der Chat-Kommunikation tauschen sich aus

Ole Lünnemann Referat Hochschulkommunikation
Universität Dortmund

    Lange galt der Chat im Internet nur als Plaudermedium. An der Universität Dortmund werden jetzt "ernste Seiten aufgezogen". Vom 8. bis 10. Mai kommen erstmals in Deutschland Sprach- und Sozialwissenschaftler, Anwender und Entwickler von Chat Werkzeugen zusammen, um sich auszutauschen zu seriöser Chat-Kommunikation in Beruf, Bildung und Medien.

    Inzwischen wird die neue Kommunikationsform, die das zeitgleiche Kommunizieren verschiedener Personen über Tastatur und Bildschirm ermöglicht, immer häufiger auch in "seriösen" Anwendungsszenarien eingesetzt. Dabei zeigte sich, dass Chat-Umgebungen, wie sie bei sogenannten "Plauder"-Chats bereit gestellt werden, nicht ohne Veränderungen für Seminar, Experteninterview oder etwa den Polit-Talk übernommen werden können.

    "Derzeit gibt es zwar noch keine Fertiglösungen für die ,rechte Mischung' technischer und gesprächsstrategischer Konzepte für spezialisierte Einsatzbereiche der Chat-Technologie", sagte die Veranstalterin des Symposiums Prof. Dr. Angelika Storrer heute (8.5.2003) nach dem ersten Tag des Symposiums.

    Die Vorträge des Symposiums würden aber zeigen: Es gibt bereits eine Vielzahl an Erfahrungen mit einzelnen Chatwerkzeugen, Gesprächsstrategien und Moderationstechniken sowie Innovationen im Bereich der technischen Weiterentwicklung von Chat-Systemen. Diese auszuwerten und differenziert zu erproben verspricht Gewinn für künftige Anwendungen.
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    So wird Chat in Beruf, Bildung & Medien eingesetzt
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    Lehren und Lernen im "Virtual Classroom"

    Im Bildungsbereich ist der Chat vielfältig einsetzbar: Will der Wissenschaftler Schmidt von der Universität Dortmund mit seiner Fachkollegin Müller von der Universität Tübingen gemeinsam ein Seminar geben, so kann er mit Hilfe entsprechender Chat-Werkzeuge die Studierenden beider Standorte in einem "Virtual Classroom" zusammenzuführen.

    Auch die Vor- und Nachbereitung des Seminars kann online abgewickelt werden: Die Mitglieder einzelner Lerngruppen verabreden sich zu Treffen auf Online-Lernplattformen, um mit Hilfe entsprechender Programme gemeinsame Aufgaben zu bearbeiten (z.B. eine Konstruktionszeichnung anzufertigen oder ein Thesenblatt zu erstellen).

    Die Abstimmung der Zusammenarbeit und die Diskussion der Aufgabe erfolgt per Chat. Ebenso der seminarbegleitende Kontakt zu den DozentInnenen, die zweimal wöchentlich eine Chat-Sprechstunde abhalten. Ergänzt wird das "virtuelle Seminar", indem Experten aus der Praxis zu einem moderierten Interview in den Chat geladen werden. Oder, indem Inhalte der Lehrveranstaltung in chatbasierten Quizrunden vertieft werden.

    Zusätzliche Attraktivität gewinnen Chat-Angebote auch im Kontext selbstgesteuerten Lernens: Chaterfahrene Studierende vereinbaren "Chat-Tandems" mit Studierenden in Frankreich oder Japan zum Beispiel, um sich über die getippte Konversation gegenseitig bei der Einübung kommunikativer Praxis in der jeweiligen Fremdsprache zu unterstützen.

    Daneben eröffnen Chat-Angebote auch neue Möglichkeiten für Hochschuleinrichtungen, Schulabgänger und Studienanfänger individuell bei der Studien- und Berufswahl zu beraten. Das Zentrum für Studieninformation und Beratung (ZIB) der Universität Dortmund bietet als eine der ersten Hochschulen in Deutschland mit der UDO Commnity seit 2001 ein solches chatunterstütztes Beratungsangebot an.
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    Arbeits- und Geschäftsprozesse unterstützen

    In Zeiten knapper Kassen wird das kostengünstige Medium Chat auch zunehmend eine ernsthafte Alternative zum Treffen in "Real Life". Sowohl die unternehmensinterne Kommunikation global agierender Unternehmen als auch der Austausch international kooperierender Forscher- und Projektgruppen lässt sich durch geeignete Chat-Anwendungen ökonomisieren: Anstatt zeit- und kostenintensive Flugreisen zu unternehmen, können Teile bestimmter Koordinations- und Kommunikationsprozesse von den betreffenden Mitarbeitern bequem vom eigenen Bildschirmarbeitsplatz aus erledigt werden.

    Gegenüber Videokonferenzen ist die Nutzung von Chat-Angeboten technisch relativ einfach zu bewältigen. Gegenüber dem Telefon bieten Chat-Anwendungen den Vorteil, dass Mehrpersonen-Dialoge effizienter organisiert werden können. Weiterhin besticht der schriftbasierte Chat dadurch, dass unmittelbar nach Ende einer chatbasierten Arbeitsbesprechung, Vertragsverhandlung oder Planungssitzung ein schriftliches Wortlaut-Protokoll vorliegt. Dieses dient als Grundlage für die Anschlusskommunikation.

    Herausforderungen stellen sich für den Einsatz von Chats im Arbeits- und Geschäftsbereich dadurch, dass die Echtheit der Chat-Partner gewährleistet werden muss: Bei chatbasierten Informationsangeboten von Unternehmen für BewerberInnen etwa muss sichergestellt werden, dass am anderen Ende der Leitung auch tatsächlich der an einem Job interessierte Bewerber sitzt. Bei chat-basierten Verhandlungen zur Vergabe von Industrieaufträgen sollte die Seriosität der beteiligten Bieter sicher sein.
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    Chat journalistisch nutzen

    Im journalistischen Bereich sind Chat-Anwendungen in den letzten Jahren als Rückkanal zu Rundfunk und Fernsehen sowie als Medien zur politischen Diskussion und Meinungsbildung prominent geworden.

    Viele Fernsehsendungen - sowohl "Daily Soaps" als auch Magazine zu Sachthemen - stellen in ihren WWW-Auftritten Chat-Umgebungen bereit. Hier können Zuschauer über Themen und Entwicklungen aus den aktuellen Sendungen diskutieren.

    Daneben finden sich zunehmend Infotainment-Konzepte, in welchen Chat unmittelbar mit TV-Sendungen und Medienereignissen verknüpft wird. Beispiel dafür sind Chat-Diskussionen mit Experten aus Politik und Wirtschaft in Anschluss an die TV-Talkrunden mit Sabine Christiansen. Oder eventbegleitende Chats wie sie unter dem Titel "InterNetzer" mit Günter Netzer veranstaltet wurden zeitgleich zu Liveübertragungen ausgewählter Fußballspiele während der Fußball-WM 2002.

    Eine ganz neue Form journalistischer Angebote zur politischen Information und Meinungsbildung sind die "Polit-Chats": Spitzenpolitiker stehen zu vorher angekündigten Terminen im Chat Rede und Antwort. Oder WWW-Nutzer können im Chat Streitgespräche zwischen den Generalsekretären verschiedener Parteien live mitverfolgen und kommentieren. Beispiele hierfür sind die Angebote von politik-digital.de oder Heise-online.de.
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    Sprach- und Sozialwissenschaften
    entwickeln und optimieren Chat-Szenarien

    Manche Besonderheiten der Chat-Kommunikation, die bei der informellen Plauderei und im Freizeitbereich reizvoll sein können, sind für den "seriösen" Chat-Einsatz in den Bereichen Beruf, Bildung und Medien problematisch. Sie müssen daher in entsprechenden Anwendungskonzepten besonders berücksichtigt werden. So gibt es beispielsweise in den meisten Chats kein System der "Rederechtvergabe". Jeder Chatter kann jederzeit eigene Beiträge formulieren und abschicken. Der Chatserver bringt die eingegangenen Beiträge dann in der Reihenfolge zur Anzeige, in der sie bei ihm eintreffen. Kein Wunder daher, dass in Plauder-Chats oft einiges durcheinander geht und sich Beiträge überkreuzen.

    Nicht nur Chat-Neulinge, sondern auch geübte Chat-Nutzer haben in gut besuchten Chatrooms Mühe, den Überblick zu behalten und die für sie relevanten Beiträge herauszufiltern. Geübte Chatter ziehen sich dann in private "Séparées" mit nur wenigen Teilnehmern zurück. Oder sie handeln für den weiteren Gesprächsverlauf Regeln zum "Rederecht" aus.

    Der Rückzug in sogenannte "Séparées" oder "private Chatrooms" begrenzt das "Übersichtsproblem", indem die Teilnehmer reduziert werden. Für Konversationen oder Diskussionen in größeren Gruppen stellt sie keine befriedigende Strategie dar. Die Aushandlung von "Rederechten" führt nur in seltenen Fällen zur Etablierung einer stabilen "Rederechtabfolge". Meistens ist sie nur für den Augenblick tauglich und hemmt überdies den Gesprächsverlauf.

    Auch die Frage, wann eigentlich ein Kommunikationspartner einen begonnenen "Redebeitrag" beendet, lässt sich nicht ohne weiteres klären. Das bietet weiteren Anlass für mögliche Überschneidungen und "kommunikatives Chaos": Da die Beiträge der Teilnehmer erst für die Mitchatter am Bildschirm sichtbar werden, nachdem sie vom Chatserver vermittelt wurden, splitten Chatter längere Beiträge häufig in "Häppchen" auf. Diese schicken sie nach und nach ab.

    Der Grund für dieses Beitrags-Splitting: Der Chatter beansprucht auch einmal einen längeren und komplexeren Redebeitrag zu verfassen. Gleichzeitig möchte er seinen Chat-Partner nicht zu lange auf eine Antwort oder Reaktion warten lassen. Bleibt beispielsweise die Antwort auf eine gestellte Frage zu lange aus, so kann dies vom Mitchatter als Verweigerungshaltung gedeutet werden. Die Folge können Missverständnisse oder ein Abbrechen der Kommunikation sein. Schickt der Mitchatter seine Antwort in Häppchen ab, so kann es geschehen, dass die Chatter aneinander vorbeireden.

    Die sprach- und sozialwissenschaftliche Chatforschung beschäftigt sich mit diesen und ähnlichen Phänomenen unter dem Aspekt der Kohärenz, d.h. des Sinnzusammenhangs, den die Chatter aus den angezeigten Beiträgen entnehmen können. Die chattypischen Überschneidungen führen nämlich schnell zu Missverständnissen und Störungen der Kohärenz. Um solche Störungen in "seriösen" Chat-Anwendungen zu vermeiden, wird an technischen und gesprächsstrategischen Lösungen gearbeitet:
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    Lösungen

    Die technische Lösung: Es werden Chatwerkzeuge entwickelt, die auf bestimmte Anwendungsszenarien spezialisiert sind. Die Werkzeuge sollen wichtige Aspekte mündlicher Gespräche, die im Chat fehlen, ersetzen. So ist beispielsweise für "virtuelle Seminare" ein klar geregeltes System der de"Rederechtvergabe" sehr wichtig: Der Seminarleiter erteilt und entzieht über eine entsprechende Programmfunktion einzelnen Teilnehmern gezielt das Recht zum "Reden". Und für Pro- und Contra-Diskussionen kann es sinnvoll sein, die einzelnen Chat-Beiträge entsprechend ihrem Inhalt räumlich zu positionieren.

    Die gesprächsstrategische Lösung: Es werden unterschiedliche soziale Rollen eingeführt wie die des Moderators, der Expertin oder des Fragestellers, die spezifische kommunikative Befugnissen haben. Für bestimmte Anwendungszusammenhänge werden speziell Moderationstechniken entwickelt und erprobt. Gegebenenfalls werden verbindliche "Konversationsregeln" festgelegt, an die sich die Chat-Teilnehmer halten müssen.
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    Kombination von Technik und Gesprächsstrategie verspricht Gewinn

    Die beiden Lösungsansätze ergänzen einander: Gerade für den erfolgreichen Chat-Einsatz in Beruf, Bildung und Medien ist es wichtig, sich für einen gegebenen Zweck sowohl ein adäquates Chatwerkzeug auszuwählen als auch ein geeignetes gesprächsstrategisches Konzept zu entwerfen.

    Die Erfahrungen mit Chatwerkzeugen, Gesprächsstrategien und Moderationstechniken auszuwerten und neue Chat-Systeme zu erproben verspricht Gewinn.

    Eine wichtige Rolle kann dabei die linguistische und verstehenspsychologische Begleitfoschung spielen: Anhand von Nutzerbeobachtungen und der Auswertung von sprachlichen Strukturen und Gesprächsstrategien im Chat kann sie begründbare Hypothesen dazu liefern, welche Werkzeuge in Verbindung mit welchen gesprächsstrategischen Konzepten für welche Gesprächsarten geeignet sind.
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    Symposium und Veranstalter

    Prof. Dr. Angelika Storrer und Michael Beißwenger, M.A., arbeiten seit längerem im Bereich der linguistischen Analyse der computervermittelten Kommunikation im allgemeinen und der Chat-Kommunikation im Besonderen. Mit der Veranstaltung des Symposiums "Chat-Kommunikation in Beruf, Bildung und Medien" wollen sie die Diskussion und den interdisziplinären Austausch über die Konzeption des Chat-Einsatzes in den benannten "seriösen" Anwendungsfeldern anstoßen. Auf Einladung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) tauschen Forscher, Entwickler und Anwender ihre Erfahrungen und Ideen aus und diskutieren neue Techniken. Insbesondere werden dabei die Aspekte wissenschaftliche Chatforschung, Werkzeugentwicklung und Gesprächsstrategien in ihrem Zusammenspiel betrachtet.

    Die thematische Bandbreite der Vorträge umfasst:
    · Ergebnisse und Problemstellungen der sprach-,
    kultur- und sozialwissenschaftlichen Chat-Forschung
    · Konzepte für den Chat-Einsatz in netzbasierten Lehr-Lern-Szenarien
    · Chat-Anwendungen als Medien politischer Kommuikation
    · Chat-Einsatz im Rahmen der Personalrekrutierung, der
    Psychotherapie und der universitären Studienberatung
    ·technische Innovationen bei der Entwicklung von Chat-Werkzeugen

    Ergänzt werden die Vorträge um ein "Software- und Anwender-Forum", in dessen Rahmen verschiedene spezialisierte Chat-Werkzeuge und -anwendungen demonstriert werden.

    Information:
    Michael Beißwenger, Institut für deutsche Sprache und Literatur, Ruf: 0231-7556567.
    Email: symposium@chat-kommunikation.de,
    Internet: www.hrz.uni-dortmund.de/~hytex/storrer/chat/index.html


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Informationstechnik, Kunst / Design, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Musik / Theater, Sprache / Literatur
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Organisatorisches, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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