Die Kinder- und Jugendhilfe erreicht straffällige männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund vielfach nicht oder zu spät. Dies kann zur Folge haben, dass sie weitere Straftaten begehen. Letztlich zeigt sich, dass diese Gruppe im Jugendstrafvollzug überproportional vertreten ist. Gleichzeitig hat die Fachpraxis der Kinder- und Jugendhilfe in den vergangenen Jahren diese, lange oft unverstandenen Jugendlichen besonders in den Fokus genommen. Warum prinzipiell vorhandene Hilfsangebote der Praxis diese Jugendlichen vielfach dennoch nicht erreichen und wie mit dieser Herausforderung umgegangen werden könnte, untersucht ein Wissenschaftlerteam des Deutschen Jugendinstituts in München.
„Die Ursachen, warum der Zugang zu straffälligen Jugendlichen und ihren Familien noch nicht immer gelingt und die Jugendlichen bestehende Hilfsangebote nicht annehmen, sind vielfältig“, resümieren Sabrina Hoops und Bernd Holthusen in ihrem Beitrag: „Unbekannt, unerreicht und unverstanden? Straffällige männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund als Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe“. Nicht selten fehle es in den Familien an ausreichenden Deutschkenntnissen, um Briefe der Behörden zu verstehen oder um Formulare und Anträge ausfüllen zu können. Auch herrsche bei Eltern bisweilen eine Abwehr gegen Jugendämter vor, die eher als Kontrollinstanz denn als Hilfe in der Erziehung der Kinder erlebt werden. „Im schlimmsten Fall befürchten Eltern, dass das Jugendamt ihnen ihre Kinder wegnimmt“, erzählt Sabrina Hoops und ergänzt, dass häufig auch kulturelle Unterschiede wie beispielsweise in der Verbindlichkeit von Terminen zu Missverständnissen zwischen den Fachkräften der Jugendhilfe und den Eltern führen könnten. Hinzukommt, dass das die Jugendhilfe teilweise erst spät in Form der Jugendhilfe im Strafverfahren eingeschaltet wird, wenn die Jugendlichen bereits straffällig geworden sind und vor Gericht stehen.
Gleichzeitig verwahren sich Sabrina Hoops und Bernd Holthusen entschieden dagegen, Jugendliche mit Migrationshintergrund undifferenziert unter Generalverdacht zu stellen. „Selbstverständlich bilden Heranwachsende mit Migrationshintergrund keine homogene Gruppe“, erläutert Bernd Holthusen, sondern umfassten so unterschiedliche Biografien wie beispielsweise den Sohn eines polnischen Musikers, den Enkel eines türkischen Handwerkers oder den Sohn einer traumatisierten alleinerziehenden Togolesin wie den Neffen eines Flüchtlings aus dem Irak oder Syrien. „Der Migrationshintergrund kann, muss aber nicht für jugendliche Delinquenz eine Rolle spielen“, ergänzt Sabrina Hoops, die vor einem verengten Blick auf Migration warnt. Für eine passgenaue Lösung müssten daher auch parallel die soziale Situation des Jugendlichen und das Geschlecht einbezogen werden.
In der Fachpraxis gibt es inzwischen durchaus ein differenziertes Hilfsangebot für Jugendliche, das von offener Jugendarbeit, über Angebote für Eltern bis zu einem Anti-Aggressivitätstraining für männliche türkische Jugendliche reicht. Gleichzeitig könnten die Angebote aber noch ausgeweitet werden, um tatsächlich eine größere Gruppe Jugendlicher zu erreichen. Nur 11 Prozent aller Jugendgerichtshilfen halten beispielsweise spezielle Möglichkeiten für Jugendliche und Heranwachsende mit Migrationshintergrund vor. Nur zwei Prozent der Jugendhilfen im Strafverfahren haben auf diese Gruppen spezialisierte Arbeitseinheiten.
Um langfristig Risikokarrieren dieser heterogenen Gruppe Jugendlicher zu verhindern, ist nach den Erhebungen der DJI-Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention vor allem der Aufbau einer nachhaltigen interkulturellen Kompetenz für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe notwendig. Ebenfalls sehr gut werden schon jetzt in der Fachpraxis niederschwellige Angebote für Eltern angenommen wie das Einbinden von Ehrenamtlichen mit Migrationshintergrund, die zwischen den Familien und den Jugendämtern vermitteln können. Auch Tandemangebote von Fachkräften der Sozialen Arbeit mit Migrationshintergrund und deutschen Fachkräften haben sich bewährt.
Der Buchbeitrag fußt auf laufenden Forschungsarbeiten des Themenschwerpunkts Migration in der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention am DJI. Eingeflossen sind zudem Erkenntnisse aus dem aktuellen DJI-Forschungsprojekt Jugendliche Gewalttäter zwischen Jugendhilfe- und krimineller Karriere sowie einer bundesweiten Online-Befragung zu Jugendhilfen im Strafverfahren für das Jugendgerichtshilfeb@rometer.
Literatur
Holthusen, Bernd/Hoops, Sabrina (2015): Unbekannt, unerreicht und unverstanden? Straffällige männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund als Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe. In: Dollinger, Bernd/Oelkers, Nina (Hrsg.) (2015): Sozialpädagogische Perspektiven auf Devianz. Weinheim
http://www.dji.de/index.php?id=42272
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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