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10.06.2015 09:31

Ernährungsanpassung mit Hilfe von Bakterien

Angela Overmeyer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

    Wissenschaftler der Forschungsgruppen Insektensymbiosen und Experimentelle Ökologie und Evolution am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie haben jetzt entdeckt, dass Feuerwanzen durch den Erwerb von Symbiosebakterien im Darm eine Futterquelle nutzen konnte, die bis dahin unverdaulich war. In der Folge bildete sich eine Vielzahl von Arten in dieser neuen ökologischen Nische aus.

    Unter allen Tieren sind Insekten die bei weitem artenreichste Gruppe. Da viele Insekten an Pflanzen fressen, sind sie ständig mit einer Vielzahl direkter und indirekter pflanzlicher Verteidigungsmechanismen konfrontiert. Im Gegenzug haben Insekten unterschiedliche morphologische und biochemische Anpassungen und Verhaltensstrategien entwickelt, um die Pflanzenabwehr zu überwinden. Wissenschaftler der Forschungsgruppen Insektensymbiosen und Experimentelle Ökologie und Evolution am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie haben jetzt entdeckt, dass eine Gruppe von Insekten durch den Erwerb von Symbiosebakterien im Darm eine Futterquelle nutzen konnte, die bis dahin unverdaulich war. In der Folge bildete sich eine Vielzahl von Arten in dieser neuen ökologischen Nische aus. (The ISME Journal, Mai 2015).

    Bei den Insekten wurde besonders Wanzen im Hinblick auf die mit ihnen assoziierten Symbionten gründlich untersucht. Bisherige Studien konnten zeigen, dass viele Pflanzensaft saugende Insekten mikrobielle Symbionten in speziellen Wirtszellen in ihrem Körper beherbergen. Im Gegensatz dazu sind Wanzen, die an reproduktiven Pflanzenteilen wie Blüten und Samen fressen, oft mit Bakterien vergesellschaftet, die außerhalb der Wirtszellen zumeist im Darm der Insekten oder in damit assoziierten speziellen Strukturen zu finden sind. Man geht davon aus, dass diese Symbionten ihre Wirte mit Nährstoffen versorgen, an denen es in ihrer Nahrung mangelt; außerdem könnten sie zur Entgiftung von Toxinen in der Nahrung beitragen. Zu den Insekten, die Symbionten im Darm beherbergen, gehören auch Feuerwanzen (Pyrrhocoridae), deren Nahrung aus Samen von Malvengewächsen besteht. Malvensamen sind reich an giftigen Allelochemikalien, dafür mangelt es ihnen an essenziellen Nährstoffen. Aus diesem Grund nutzen nur wenige pflanzenfressende Insekten Malvensamen als Futterquelle. Frühere Untersuchungen zeigten, dass die Europäische Feuerwanze Pyrrhocoris apterus Darmbakterien besitzt, die für ihre erfolgreiche Entwicklung unentbehrlich sind (siehe auch unsere Pressemitteilung "Feuerwanzen brauchen Symbiose-Bakterien zum Überleben", http://www.ice.mpg.de/ext/976.html?&L=1, vom 9. Januar 2013). Insbesondere sind es bakterielle Symbionten aus der Familie der Coriobacteriaceae, die ihre Wirtsinsekten mit lebenswichtigen B-Vitaminen versorgen (siehe auch unsere Pressemitteilung "Vitamin-Lieferanten im Wanzendarm", http://www.ice.mpg.de/ext/1174.html?&L=1, vom 1. Dezember 2014). Allerdings war bisher unklar, ob die in Feuerwanzen identifizierten Mikroorganismen in verschiedenen Arten weit verbreitet sind und ob der Erwerb dieser Symbionten im Laufe der Evolution diese Arten überhaupt erst befähigte, Malvensamen als neue Futterquelle zu erschließen.

    Um dies zu klären, nutzten die Forscher eine Hochdurchsatz-Sequenziertechnologie, um die bakteriellen Darmgemeinschaften zu bestimmen, die mit verschiedenen Arten aus der Familie der Feuerwanzen und der nahe verwandten Wanzenfamilie der Largidae assoziiert sind. Sie fanden dabei heraus, dass viele verschiedene Feuerwanzenarten im Wesentlichen die gleichen Darmbakterien besitzen. In Wanzen aus der Familie der Largidae waren diese Symbionten jedoch nicht zu finden. Die Vergesellschaftung von Feuerwanzen und ihren Symbionten ist auf der Basis von stammesgeschichtlichen Analysen etwa 81 Millionen Jahre alt, das entspricht der späten Kreidezeit. Interessanterweise entstanden zu dieser Zeit auch ihre Wirtspflanzen, die Malvengewächse. „Der Erwerb von symbiotischen Darmbakterien hatte offenbar zur Folge, dass Feuerwanzen mit dem Mangel an bestimmten Nährstoffen sowie dem Vorhandensein pflanzlicher Abwehrstoffe in Malvengewächsen zurecht kommen und diese als Futterquelle nutzen konnten,“ erläutert Sailendharan Sudakaran, der Erstautor der Untersuchung. Die enorme Artenvielfalt innerhalb der Gruppe der Feuerwanzen, die die gleichen Darmbakterien beherbergen, legt nahe, dass mikrobielle Symbionten eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Ausbreitung dieser Arten in einer neuen ökologischen Nische spielten.

    nsekten sind im Allgemeinen mit vielen verschiedenen Symbiosebakterien assoziiert. Die immensen Fortschritte bei modernen Sequenziertechnologien haben die Bedeutung von Symbionten für die Ernährung ihrer Wirte immer deutlicher untermauert. Wie die Symbiose mit Bakterien einen Wirtswechsel und die Ausbildung neuer Arten ermöglicht, muss jedoch noch genauer untersucht werden. Die hier vorgestellte Arbeit stellt dabei ein wichtiges Fallbeispiel vor. „Die spannendste Frage, deren Antwort noch aussteht, ist die, wie allgemein das Phänomen evolutionärer Innovation aufgrund von Symbiose ist, insbesondere im Hinblick auf die Anpassung von Insekten an ein breites Spektrum an Wirtspflanzen. Um den Einfluss von Symbiosebakterien besser verstehen zu können, muss man die Nahrungsökologie ihrer Wirtsinsekten genauer untersuchen und die Änderungen analysieren, die der Erwerb oder der Austausch von Symbionten in Insekten verursacht,“ fassen die Autoren zusammen.

    Viele Insekten sind Pflanzenfresser und daher oft Schadorganismen an wirtschaftlich bedeutsamen Kulturpflanzen. Genauere Kenntnisse über die Rolle von Symbiosen bei der Anpassung von Insekten an eine Vielzahl von unterschiedlichen Pflanzen könnten neue Wege bei der Bekämpfung von Ernteschädlingen eröffnen. [AO/SS]

    Originalveröffentlichung:
    Sudakaran, S., Retz, F., Kikuchi, Y., Kost, C., Kaltenpoth, M. (2015). Evolutionary transition in symbiotic syndromes enabled diversification of phytophagous insects on an imbalanced diet. The ISME Journal. doi: 10.1038/ismej.2015.75
    http://dx.doi.org/10.1038/ismej.2015.75

    Weitere Informationen:
    Dr. Martin Kaltenpoth, Max Planck Institute for Chemical Ecology, Hans-Knöll-Straße 8, 07745 Jena, Germany, Tel. +49 3641 57-1800, E-Mail mkaltenpoth@ice.mpg.de
    Sailendharan Sudakaran, Max Planck Institute for Chemical Ecology, Hans-Knöll-Straße 8, 07745 Jena, Germany, Tel. +49 3641 57-1804, E-Mail ssudakaran@ice.mpg.de

    Kontakt und Bildanfragen:
    Angela Overmeyer M.A., Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Str. 8,
    07743 Jena, +49 3641 57-2110, E-Mail overmeyer@ice.mpg.de

    Download von hochaufgelösten Fotos über http://www.ice.mpg.de/ext/downloads2015.html


    Weitere Informationen:

    http://www.ice.mpg.de/ext/insect-symbiosis.html?&L=1 (Max-Planck-Forschungsgruppe Insektensymbiose)


    Bilder

    Feuerwanzen, wie die Baumwollwanze Dysdercus cingulatus, sind bei der Nutzung ihrer Nahrungsquelle auf symbiotischen Darmbakterien angewiesen.
    Feuerwanzen, wie die Baumwollwanze Dysdercus cingulatus, sind bei der Nutzung ihrer Nahrungsquelle a ...
    Martin Kaltenpoth / Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
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    Die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung der symbiotischen Mikroorganismen im Darm der Insekten zeigt allgemeine Bakterien (rot), Coriobacterium (grün) und die Zellkerne des Wirtes (lila).
    Die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung der symbiotischen Mikroorganismen im Darm der Insekten zeigt ...
    Sailendharan Sudakaran / Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Feuerwanzen, wie die Baumwollwanze Dysdercus cingulatus, sind bei der Nutzung ihrer Nahrungsquelle auf symbiotischen Darmbakterien angewiesen.


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    Die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung der symbiotischen Mikroorganismen im Darm der Insekten zeigt allgemeine Bakterien (rot), Coriobacterium (grün) und die Zellkerne des Wirtes (lila).


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