OSNABRÜCK.- Lernende und Lehrende erwarten heute, Texte in digitaler Form zur Verfügung gestellt zu bekommen. Voraussichtlich ab 2016 müssen die Hochschulen laut Richterspruch für elektronische Lehrmaterialien in ihren Intranets bezahlen. Streitpunkt ist, ob dieses pauschal oder per Einzelmeldung geschehen kann. Die Universität Osnabrück hat im Auftrag der Kultusministerkonferenz und in Zusammenarbeit mit der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) erstmals in Deutschland untersucht, wie eine Einzelerfassung elektronischer Lehrmaterialien technisch umgesetzt werden kann.
Das Fazit von Vizepräsidentin Prof. Dr. May-Britt Kallenrode: »Mit Einführung einer Einzelmeldepflicht werden wesentlich weniger Texte von den Studierenden und Lehrenden verwendet. Der organisatorische Aufwand für die Hochschulen ist unangemessen hoch und keine Alternative zu einer Pauschalvergütung.«
Hintergrund für das Osnabrücker Pilotprojekt ist ein Rechtsstreit zwischen den Ländern und der VG Wort, die ähnlich der GEMA für Musik die Interessen der Verlage vertritt und Tantiemen für dort gemeldete Texte an die Autoren ausschüttet. Die VG Wort fordert, dass alle Nutzungen von Buchauszügen, Zeitschriftenartikeln etc., die in elektronischer Form zu Unterrichtszwecken an der Universität verwendet werden, einzeln bei ihnen gemeldet werden. Diese Materialien dürfen im Rahmen des § 52a UrhG – ein Paragraph, der 2003 ins Urheberrecht aufgenommen wurde – im Unterricht genutzt werden. Der Paragraph regelt, dass an Bildungseinrichtungen unter bestimmten Bedingungen kleine Textteile aus Büchern und einzelne Zeitschriftenartikel in elektronischer Form an eine begrenzte Zahl von Nutzern weitergegeben werden darf. Bisher wurden Pauschalabgaben für die Nutzungen an die VG Wort gezahlt, nun sollen jedoch alle Lehrenden an Hochschulen einzeln ihre Nutzungen melden.
Bisher gibt es an noch keiner Hochschule die organisatorischen und technischen Voraussetzungen für eine Einzelmeldung. »An der Universität Osnabrück haben wir erprobt, wie die Umsetzung der Einzelmeldungen durchgeführt werden kann und ob sie machbar ist«, erläutert Dr. Andreas Knaden, Leiter des Pilotprojektes am Zentrum für virtuelle Lehre und Informationsmanagement. Dazu wurde eine technische Eingabemaske mit einer Schnittstellte zur VG Wort entwickelt, Informationsmaterialien für die Lehrenden erarbeitet und eine Studie durchgeführt. »Wir konnten eine technische Lösung entwickeln, die problemlos funktioniert und auch auf andere Hochschulen übertragbar ist«, berichtet Knaden.
Ein Semester lang haben alle Lehrenden die Nutzungen von Buchauszügen oder Zeitschriftenartikeln an die VG Wort gemeldet. Es zeigte sich, dass 80 Prozent der verwendeten elektronischen Lehrmaterialien eigene Werke der Lehrenden und Studierenden sind, also selbst erstellte Präsentationen oder Hausaufgaben. Meldepflichtige Sprachwerke machten einen Anteil von nur fünf Prozent aus. Insgesamt sind während des Pilotprojektes von Lehrenden weniger Materialien im Lernmanagementsystem hochgeladen worden. Knaden: »Von den meldepflichtigen Materialien wurde im vergangenen Semester nur ein Viertel der Menge bereitgestellt, wie unsere Stichprobenuntersuchungen ergaben.«
Die Gründe für den Rückgang: Die Lehrenden verteilen vermehrt Literaturlisten und die Studierenden müssen sich die Literatur selbst zusammensuchen. Knapp zwei Drittel der Studierenden gaben an, dass sie einen sehr viel höheren Aufwand bei der Literaturbeschaffung hatten. »Dies bedeutet eine eindeutige Einbuße in der Qualität der Lehre und den Service für Studierende«, so der Leiter des Pilotprojektes Andreas Knaden. »Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in die ‚Kreidezeit‘ zurückkehren. Die verringerte Nutzung von elektronischen Lehrmaterialien würden einen großen Rückschritt und auch Wettbewerbsnachteil für das deutsche Hochschulsystem bedeuten«, so Vizepräsidentin Kallenrode.
Nun müssen die Kultusministerkonferenz und die Hochschulrektorenkonferenz überlegen, wie sie mit den Ergebnissen des Pilotprojektes umgehen. Das Gerichtsverfahren mit der VG Wort ruht zunächst. Vizepräsidentin Kallenrode gibt zu bedenken: „Der Aufwand, den die Universität Osnabrück mit der technischen und organisatorischen Umsetzung hatte, steht in keinem Verhältnis zu der Summe, die an die VG Wort gezahlt werden müsste.« Ihr Fazit: »Für die Universitäten kann es keine Alternative zu einer Pauschalzahlung geben.«
Der Abschlussbericht des Pilotprojektes ist unter folgendem Link einsehbar:
https://repositorium.uni-osnabrueck.de/handle/urn:nbn:de:gbv:700-2015061913251
Weitere Informationen für die Redaktionen:
Dr. Andreas Knaden / Dr. Tobias Thelen, Universität Osnabrück
Zentrum für virtuelle Lehre und Informationsmanagement
Heger-Tor-Wall 12, D-49069 Osnabrück
Tel. +49 541 969 6513
E-Mail: tobias.thelen@uni-osnabrueck.de
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Foto: Pressestelle Universität Osnabrück
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Informationstechnik, Pädagogik / Bildung
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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