Kalzium-leitende Proteine spielen entscheidende Rolle bei krankhaftem Herzmuskelwachstum / Inaktivierung dieser Proteine schützt im Tierversuch vor Herzschäden z.B. durch Bluthochdruck / Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg veröffentlichen im European Heart Journal
Wissenschaftler des Instituts für Pharmakologie am Universitätsklinikum Heidelberg haben in Zusammenarbeit mit Zellbiologen der Universität des Saarlandes einen entscheidenden Mechanismus bei der Entstehung chronischer Herzschwäche entdeckt: Ist das Herz dauerhafter Überlastung z.B. durch Bluthochdruck ausgesetzt, lassen zwei bestimmte Proteine, Bestandteile sogenannter Ionen-Kanäle, unablässig Kalzium in die Muskelzellen einströmen. Dies setzt krankhafte Umbauprozesse des Herzmuskels in Gang. Werden die Proteine im Tierversuch ausgeschaltet, bleibt das Herz – ohne dass Schlagkraft und Herzrhythmus darunter leiden – trotz gleicher Belastung leistungsfähig und die Veränderungen fallen nur gering aus. Der Kalzium-Signalweg könnte daher einen lohnenden Ansatzpunkt für neue Therapien zur gezielten Vorbeugung der chronischen Herzschwäche bieten. Die Arbeit ist in der führenden Wissenschaftszeitschrift European Heart Journal erschienen.
Dauerhaft erhöhter Blutdruck, Erkrankungen der Herzklappen sowie Engstellen an der Aorta bedeuten Schwerstarbeit für das Herz. Es kompensiert diese Belastung durch übermäßiges Muskelwachstum (Hypertrophie) und Einlagerung von Bindegewebe (Fibrosierung). Anders als beim „Sportlerherz“, das, durch körperliches Training angeregt, ebenfalls an Muskelmasse zulegt, ist das krankhaft vergrößerte Herz nicht leistungsfähiger, sondern im Gegenteil zunehmend in seiner Pumpkraft beeinträchtigt. Chronische Herzschwäche, Rhythmus¬störungen oder plötzlicher Herztod können die Folgen sein. Weitere Risikofaktoren sind Übergewicht und Alter: Mehr als 40 Prozent der über 70-Jährigen leiden an einer Herzmuskel¬hypertrophie. Bisher gibt es keine Therapie, die diesen Krankheitsmechanismus, das sogenannte maladaptive kardiale Remodeling, auf molekularer Ebene stoppt.
Das Team um Prof. Dr. Marc Freichel, Direktor der Abteilung Allgemeine Pharmakologie,
untersuchte, in wie weit ein wichtiger Signalgeber des Herzens, Kalzium, in diesen Mechanismus involviert ist oder diesen sogar in Gang setzten kann. Kalzium ist für die Herzfunktion unverzichtbar – sehr schnelle, zyklische Änderungen des Kalziumsspiegels in den Herzzellen halten den Herzschlag in Gang. Dazu ist das genau aufeinander abgestimmte Zusammenspiel verschiedener Proteine, der Kalzium-Kanäle und -Transporter, in der Zellhülle oder im Inneren der Zellen notwendig, die Kalzium entweder in die Zelle einlassen oder es wieder hinaus transportieren. „Es gab Hinweise, dass Kalzium auch eine Rolle bei der Anpassung der Herzmuskelzellen an Belastung spielt – und zwar unabhängig von seiner Funktion bei Herzschlag und Herzrhythmus“, erklärt der Pharmakologe. „Dazu benötigt es separate Kalzium-Kanäle, die unabhängig vom Herzschlag funktionieren. Zwei entscheidende Kanalproteine, TRPC1 und TRPC4, haben wir nun entdeckt.“
TRPC1 und TRPC4 gehören einer Gruppe ähnlicher Proteine an, die sich durch die Hormone Adrenalin und Angiotensin II, die beide den Blutdruck erhöhen und auch direkt auf den Herzmuskel wirken, aktivieren lassen. In Zusammenarbeit mit Zellbiologen der Universität des Saarlandes um Professor Dr. Peter Lipp überprüften sie die Funktion dieser Proteine mit Hilfe genetisch veränderter Mäuse, die jeweils einzelne oder mehrere von insgesamt sechs TRPC-Proteinen nicht bilden konnten.
Sie zeigten: Unter der Wirkung von Angiotensin II und Adrenalin kommt es zu einer Steigerung eines kontinuierlichen Einstroms von Kalzium in die Herzzellen. Bei Herzzellen von Mäusen, denen Protein TRPC1 und gleichzeitig TRPC4 fehlten, war dieser Kalziumeinstrom und damit auch der Kalziumspiegel in den Zellen dauerhaft deutlich vermindert. Im lebenden Tier fiel ohne diese beiden Eiweiße trotz künstlich herbeigeführtem Bluthochdruck oder Aortenverengung das krankhafte Muskelwachstum des Herzens nur gering aus. „Die Mäuse litten auch unter deutlich weniger Herzfunktionsstörungen als normale Mäuse unter chronischer Druckbelastung. Die Tiere ohne TRPC1 und TRPC4 waren über die Versuchsdauer vor einer Herzschwäche geschützt“ erklärt Erstautor Dr. Juan E. Camacho Londoño. Bei Tieren, denen jeweils nur TRPC1 oder nur TRPC4 fehlte, waren diese Effekte nicht zu beobachten.
Durch das Fehlen der beiden Kanalproteine traten keine Nebenwirkungen auf, wie dies häufig der Fall ist, wenn einzelne Signalwege im Herzen blockiert werden: Unter normalen Bedingungen zeigen die genetisch veränderten Mäuse keine Auffälligkeiten; ihre Herzen funktionierten und reagierten normal. „Aus diesem Grund eignen sich die beiden TRPC-Proteine hervorragend als Ansatzpunkte für neue Therapien“, so Londoño. „Ein nächster Schritt ist es nun, entsprechende Wirkstoffe zu entwickeln und zu testen, die ausschließlich TRPC1 und TRPC4 blockieren.“ Zudem untersucht das Team, welche weiteren Faktoren und Proteine in diesen Kalzium-Signalweg eingebunden sind, um den Krankheitsmechanismus des krankhaften Herz-Remodelings weiter aufzuklären.
Kontakt:
Prof. Dr. Marc Freichel
Direktor der Abteilung Allgemeine Pharmakologie
Pharmakologisches Institut
Universitätsklinikum Heidelberg
Tel: 06221 54-86860
E-Mail: marc.freichel@pharma.uni-heidelberg.de
Literatur:
A background Ca21 entry pathway mediated by TRPC1/TRPC4 is critical for development of pathological cardiac remodelling: Juan E. Camacho Londoño, Qinghai Tian, Karin Hammer, Laura Schröder, Julia Camacho Londoño, Jan C. Reil, Tao He, Martin Oberhofer, Stefanie Mannebach, Ilka Mathar, Stephan E. Philipp, Wiebke Tabellion, Frank Schweda, Alexander Dietrich, Lars Kaestner, Ulrich Laufs, Lutz Birnbaumer, Veit Flockerzi, Marc Freichel and Peter Lipp; European Heart Journal, doi:10.1093/eurheartj/ehv250, published June 15, 2015
Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang
Das Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der bedeutendsten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg zählt zu den international renommierten biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung innovativer Diagnostik und Therapien sowie ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund
12.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und engagieren sich in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 klinischen Fachabteilungen mit ca. 1.900 Betten werden jährlich rund 66.000 Patienten voll- bzw. teilstationär und mehr als 1.000.000 mal Patienten ambulant behandelt. Das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. Derzeit studieren ca. 3.500 angehende Ärztinnen und Ärzte in Heidelberg. www.klinikum.uni-heidelberg.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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