Berlin – An der Augenklinik der Universität Tübingen erhalten voraussichtlich noch in diesem Jahr Patienten mit der seltenen Augenerkrankung Choroideremie eine Gentherapie. Für die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) markiert der Versuch den Beginn einer neuen Ära. Die Fachgesellschaft der deutschen Augenärzte erwartet die Entwicklung weiterer Gentherapien, die deshalb auch ein Schwerpunkt des diesjährigen DOG-Kongresses sind. Die Tagung findet vom 1. bis 4. Oktober 2015 in Berlin statt.
Die Patienten der Tübinger Genstudie leiden seit früher Kindheit unter Sehstörungen. Zunächst verschlechtert sich das Dämmerungssehen, später kommt es zu einer zunehmenden Einschränkung des Gesichtsfelds und dem Verlust der Sehkraft. „Die meisten Betroffenen erblinden noch vor dem 50. Lebensjahr“, erläutert Kongress-Präsident Professor Dr. med. Karl Ulrich Bartz-Schmidt. Die Ursache des langsamen, aber unaufhaltbaren Sehverlusts ist ein Defekt in einem der rund 200 Gene, die für die Funktion der Netzhaut verantwortlich sind. „Die Choroideremie betrifft in Deutschland nur etwa 1 000 Menschen“, sagt Bartz-Schmidt. Für den Ärztlichen Direktor der Universitäts-Augenklinik Tübingen steht die Choroideremie stellvertretend für eine Vielzahl von seltenen Gendefekten, die derzeit unheilbar sind und für die eine Gentherapie erstmals eine Behandlungsperspektive bieten könnte.
Bei der Gentherapie der Choroideremie schleusen Forscher eine gesunde Version des defekten Gens in die Zellen der Netzhaut. Dabei nutzen sie ein Virus als Träger. „Die sogenannten adenoassoziierten Viren verursachen keine Krankheit, können sich nicht selber vermehren und gelten deshalb als sicher“, sagt Bartz-Schmidt. Augenleiden eignen sich besonders gut für eine Gentherapie. Die Augen sind nach außen abgegrenzt und die Viren samt Gen können in einer Operation direkt unter die Netzhaut injiziert werden. Außerdem kommt es in der Regel zu keiner Abwehrreaktion des Immunsystems.
Eine Arbeitsgruppe um Professor Dr. med. Robert MacLaren von der Universität Oxford hat die Gentherapie der Choroideremie entwickelt und im vergangenen Jahr Ergebnisse vorgestellt: Bei zwei von sechs Patienten verbesserte sich die Sehstärke nach der Therapie, bei den übrigen vier konnte die Sehschärfe von 0,63 oder besser erhalten werden. „Wir hoffen, mit der Gentherapie die Erblindung verzögern oder sogar ganz aufhalten zu können“, erklärt Bartz-Schmidt.
Neben der Anwendung bei der Choroideremie befinden sich weitere gentherapeutische Ansätze für erblich bedingte Netzhauterkrankungen in der Erprobung, darunter für Achromatopsie, Morbus Stargardt, Retinitis Pigmentosa und die feuchte Form der altersbedingten Makuladegeneration. Patienten oder Angehörige, die sich über klinische Studien informieren möchten, könnten dies unter https://clinicaltrials.gov tun. „Betroffene sollten ihren Augenarzt um eine Überweisung an die spezialisierten Zentren bitten“, rät Professor Barzt-Schmidt.
Erste Erfahrungen und Ergebnisse der Gentherapie bei seltenen Augenleiden diskutieren Experten auf dem Kongress der DOG, der vom 1. bis 4. Oktober 2015 in Berlin stattfindet.
Terminhinweise:
Keynote Lecture von Professor Dr. med. Robert MacLaren „Developing new gene and stem cell therapies for retinal disease”
Termin: Freitag, 2. Oktober 2015, 11.30 bis 12.00 Uhr
Ort: Estrel Congress & Messer Center Berlin, von Graefe Saal, Sonnenallee 225, 12057 Berlin
Symposium „Achromatopsia – On the eve of the first ophthalmic gene therapeutic trial in Germany“
Termin: Freitag, 2. Oktober 2015, 09.45 bis 11.15 Uhr
Ort: Estrel Congress & Messer Center Berlin, Raum Paris, Sonnenallee 225, 12057 Berlin
Vorab-Pressekonferenz im Rahmen des 113. DOG-Kongresses
Termin: Donnerstag, 24. September 2015, 11.00 bis 12.00 Uhr
Ort: Tagungszentrum im Haus der Bundespressekonferenz, Raum 1/2, Schiffbauerdamm 40/Ecke Reinhardstraße 55, 10117 Berlin
Pressekonferenz im Rahmen des 113. DOG-Kongresses
Termin: Donnerstag, 1. Oktober 2015, 12.30 bis 13.30 Uhr
Ort: Estrel Congress & Messe Center Berlin, Raum Paris, Sonnenallee 225, 12057 Berlin
DOG: Forschung – Lehre – Krankenversorgung
Die DOG ist die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für Augenheilkunde in Deutschland. Sie vereint unter ihrem Dach mehr als 6 000 Ärzte und Wissenschaftler, die augenheilkundlich forschen, lehren und behandeln. Wesentliches Anliegen der DOG ist es, die Forschung in der Augenheilkunde zu fördern: Sie unterstützt wissenschaftliche Projekte und Studien, veranstaltet Kongresse und gibt wissenschaftliche Fachzeitschriften heraus. Darüber hinaus setzt sich die DOG für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Augenheilkunde ein, indem sie zum Beispiel Stipendien vor allem für junge Forscher vergibt. Gegründet im Jahr 1857 in Heidelberg, ist die DOG die älteste medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft der Welt.
Kontakt für Journalisten:
Pressestelle 113. DOG-Kongress
Kerstin Ullrich/Corinna Deckert
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70451 Stuttgart
Telefon: 0711 8931-641/-309
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