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22.09.2015 13:44

Einfache Messmethode aus Dresden verbessert Genauigkeit der Protonentherapie

Simon Schmitt Kommunikation und Medien
Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf

    Protonenstrahlen sind eine neue, sehr präzise Waffe im Kampf gegen Krebs. Unsicherheiten über die Reichweite der Strahlen verhindern bislang jedoch, dass das Potential dieser Methode voll ausgeschöpft werden kann. Weltweit suchen Forscher deshalb nach Verfahren, um die Reichweite noch während einer Behandlung exakt zu messen. Eine überraschend einfache Lösung konnten Wissenschaftler des Nationalen Zentrums für Strahlenforschung in der Onkologie – OncoRay und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) entwickeln. Erste präklinische Tests verliefen bereits erfolgreich.

    Ähnlich einer Gewehrkugel hat ein Protonenstrahl eine gewisse Reichweite. Kurz bevor die geladenen Teilchen zum Stillstand kommen, entfalten sie ihr größtes Zerstörungspotential. „Die Wirkung könnte auf einen bestimmten Punkt in einem Körper – in unserem Fall auf einen Tumor – konzentriert werden“, erklärt Dr. Guntram Pausch vom OncoRay-Zentrum. „Die erkrankten Zellen lassen sich so stark schädigen, während das umliegende gesunde Gewebe geschont wird.“ Die Eindringtiefe hängt von der Anfangsgeschwindigkeit der Strahlen und der Zusammensetzung des Gewebes ab. Und hier liegt die Herausforderung, wie der Strahlenexperte erläutert. „Schon eine verstopfte Nase bei den Voruntersuchungen kann verzerrte Daten für den Bestrahlungsplan liefern, was dazu führt, dass der Strahl später nicht genau an der geplanten Stelle gestoppt wird. Deshalb müssen wir bei der Behandlung Sicherheitsabstände um den Tumor einplanen.“

    Dieser Unsicherheitsfaktor kann bisher nur mit Hilfe der Computertomographie vor der Behandlung oder indirekt durch Überprüfung der Strahlenwirkung nach der Anwendung verringert werden. Die Dresdner Forscher suchen deswegen nach einer Methode, um die Reichweite des Teilchenstrahls in Echtzeit zu erfassen. Als hilfreicher Ansatz gilt dafür Gammastrahlung. Diese Art der Strahlung entsteht bei Kernreaktionen, die die Protonen auf ihrer Reise durch das Gewebe auslösen. „Die bisherigen Konzepte versuchen, dies mit komplexen und teuren Detektorsystemen zu messen, um so den Weg der Protonen nachzuverfolgen“, beschreibt Pausch den Stand der Forschung. „Bis dies in den Kliniken eingesetzt werden kann, werden noch ein paar Jahre vergehen.“ Mit dem Team um Dr. Fine Fiedler vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf hat er deswegen eine alternative Methode entworfen: das „Prompt Gamma Timing“. Dieses neue Verfahren beruht auf einer Zeitmessung, für die nur ein Detektor benötigt wird.

    Abweichungen schnell feststellbar
    Die Forscher setzen dabei auf einen grundlegenden physikalischen Effekt: Die Protonenstrahlen brauchen eine bestimmte Zeit, bis sie ihr größtes Zerstörungspotential erreichen. Bei der neuen Methode messen die Wissenschaftler deshalb die Zeitspanne zwischen dem Eintritt der Strahlen in den Körper und dem Aufleuchten der Gammastrahlung am Detektor. „Weichen die gemessenen von den zuvor berechneten Zeitspektren ab, trifft der Strahl sein Ziel nicht genau genug“, fasst Pausch zusammen. „In diesem Fall würden wir das sofort bemerken und könnten die Bestrahlung an die neuen Bedingungen anpassen.“ Um ihre Annahmen zu bestätigen, testeten die Forscher die Methode gemeinsam mit dem Weltmarktführer für Protonenstrahl-Therapieanlagen Ion Beam Applications (IBA).

    Am Westdeutschen Protonentherapiezentrum Essen bestrahlten sie dafür Testobjekte mit Protonenstrahlen, die bei der Behandlung üblich sind. Bei diesen Untersuchungen konnten die Wissenschaftler mit ihrem Verfahren Strahlabweichungen von nur wenigen Millimetern feststellen. Auf dieser Grundlage könnten die Sicherheitsabstände um den Tumor verringert, die Wirksamkeit der Behandlung erhöht und gesundes Gewebe noch stärker geschont werden. Die Forscher untersuchten aber auch Faktoren, die die Genauigkeit des Verfahrens einschränken können, wie Guntram Pausch erläutert. Nichtsdestotrotz sieht er ein großes Potential für den Ansatz: „Wie die Experimente gezeigt haben, könnte unsere Methode angewendet werden, um während der Therapie merkliche Abweichungen vom Behandlungsplan auszuschließen.“

    Guntram Pausch, dessen OncoRay-Gruppe "In vivo Dosimetrie für neue Strahlenarten" durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, erkennt in der neuen Technik eine Möglichkeit, um für die klinische Anwendung schnell ein Messverfahren bereitzustellen: „Unser Ansatz könnte die Zeit überbrücken, bis aufwändigere Detektorsysteme entwickelt und getestet sind.“ Noch in diesem Jahr will das Team um Pausch Untersuchungen an Phantomen – also Nachbildungen des menschlichen Körpergewebes und der Organstruktur – durchführen. Sollte sich die Methode auch bei diesen Versuchen als verlässlich erweisen, könnte sie bald den Sprung in den klinischen Alltag nehmen.

    Hintergrund: Als erster Standort in Ostdeutschland setzt das Dresdner Universitätsklinikum Carl Gustav Carus im Kampf gegen Krebs auf die Strahlentherapie mit Protonen. Mitte Dezember 2014 begannen die ersten Behandlungen von Tumorpatienten. Die Kapazitäten sollen nun kontinuierlich auf 400 bis 500 Patienten pro Jahr ausgebaut werden. Neben Dresden gibt es in Deutschland zwei weitere Universitätskliniken, die die Protonentherapie anbieten: das Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum und das Westdeutsche Protonentherapiezentrum Essen. Da die Dresdner Anlage sowohl für Krankenversorgung als auch für Forschung eingesetzt wird, hat sich das Uniklinikum Carl Gustav Carus mit dem OncoRay-Zentrum und dem HZDR zur Universitäts Protonen Therapie Dresden (UPTD) zusammengeschlossen.

    _Publikation:
    F. Hueso-González, W. Enghardt, F. Fiedler, C. Golnik, G. Janssens, J. Petzoldt, D. Prieels, M. Priegnitz, K. Römer, J. Smeets, F. Vander Stappen, A. Wagner, G. Pausch, „First test of the prompt gamma ray timing method with heterogeneous targets at a clinical proton therapy facility”, Physics in Medicine and Biology, 60, 2015 (DOI:10.1088/0031-9155/60/16/6247)

    _Ansprechpartner für weitere Informationen:
    Dr. Guntram Pausch
    Nationales Zentrum für Strahlenforschung in der Onkologie – OncoRay
    Tel. +49 351 458-7414 | E-Mail: guntram.pausch@oncoray.de

    Dr. Fine Fiedler
    Institut für Strahlenphysik am HZDR
    Tel. +49 351 260-2973 | E-Mail: f.fiedler@hzdr.de

    _Medienkontakt:
    Simon Schmitt | Wissenschaftsredakteur
    Tel. +49 351 260-3400 | E-Mail: s.schmitt@hzdr.de
    Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf
    Bautzner Landstr. 400 | 01328 Dresden | www.hzdr.de

    Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:
    • Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
    • Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
    • Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?
    Zur Beantwortung dieser wissenschaftlichen Fragen werden Großgeräte mit einzigartigen Experimentiermöglichkeiten eingesetzt, die auch externen Nutzern zur Verfügung stehen.
    Das HZDR ist seit 2011 Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Es hat vier Standorte in Dresden, Leipzig, Freiberg und Grenoble und beschäftigt rund 1.100 Mitarbeiter – davon ca. 500 Wissenschaftler inklusive 150 Doktoranden.


    Weitere Informationen:

    http://www.hzdr.de/presse/gamma_timing


    Bilder

    Mit der Protonentherapie lassen sich Tumoren gezielt schädigen. Um die Sicherheit  zu erhöhen, suchen Dresdner Forscher nach Methoden, um den Verlauf des Strahls in Echtzeit zu überwachen.
    Mit der Protonentherapie lassen sich Tumoren gezielt schädigen. Um die Sicherheit zu erhöhen, suche ...
    HZDR / AIFilm
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    Anhang
    attachment icon Einfache Messmethode aus Dresden verbessert Genauigkeit der Protonentherapie

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin, Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Mit der Protonentherapie lassen sich Tumoren gezielt schädigen. Um die Sicherheit zu erhöhen, suchen Dresdner Forscher nach Methoden, um den Verlauf des Strahls in Echtzeit zu überwachen.


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