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22.09.2015 14:33

Cannabis als Rheuma-Mittel: Experten fordern mehr Studien und warnen zugleich vor Selbstmedikation

Thomas Isenberg Bundesgeschäftsstelle
Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.

    Mannheim – In Deutschland sind 1,5 Millionen Erwachsene von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen betroffen. Viele von ihnen leiden unter anhaltenden Schmerzen. Obwohl über den therapeutischen Nutzen von Cannabisprodukten derzeit intensiv diskutiert wird, fehlen für die Behandlung chronischer Schmerzen bei Rheuma-Erkrankungen mit künstlich hergestellten Cannabisprodukten jedoch bislang aussagekräftige Studien. Welche Potentiale Cannabis als Heilmittel hat und aus welchem Grund vor allen Formen der Selbstmedikation zu warnen ist, diskutieren Schmerzexperten auf der Pressekonferenz des Deutschen Schmerzkongresses (14. bis 17.10.2015) am 14. Oktober in Mannheim.

    Cannabis sativa, so der lateinische Name der Hanfpflanze, ist eine der ältesten Nutzpflanzen der Welt. Lange schon gibt es Anzeichen für ihre medizinische Wirksamkeit, um Schmerzen zu lindern und Entzündungen zu hemmen. Dass Cannabisprodukte bei einigen Erkrankungen einen positiven Effekt haben, konnten in den vergangenen Jahren auch zahlreiche klinische Studien zeigen. Privatdozent Dr. med. Winfried Häuser, Klinik Innere Medizin I des Klinikums Saarbrücken, berichtet: „Bei Tumorpatienten können Cannabinoide während der Chemotherapie den Appetit anregen und zugleich Übelkeit und Erbrechen eindämmen. Sie können auch helfen, schmerzhafte Muskelverspannungen bei Patienten mit Multipler Sklerose zu unterdrücken.“ Einige Patienten mit chronischen Schmerzen berichteten zudem über gute Erfahrungen mit hanfbasierten Substanzen, ergänzt der Experte aus Saarbrücken. Aufgrund seiner Rauschwirkung fällt das „Naturprodukt“ Hanf in Deutschland jedoch unter das Betäubungsmittelgesetzt (BTM), und der in ihm vorkommende Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) wird als ein nicht verkehrsfähiger Stoff klassifiziert. Der Verkauf und Handel von/mit THC sind also verboten, der Konsum ist es nicht. In Deutschland ist nur ein einziges künstlich hergestelltes Cannabis-Medikament, das als Mundspray verabreichte Sativex, bei einer medizinischen Indikation zugelassen, nämlich den schmerzhaften Muskelverspannungen bei Multipler Sklerose. Zwei weitere Präparate, Dronabinol und Nabilon, sind in Deutschland nicht zugelassen, können jedoch auf einem Betäubungsmittelrezept durch den Arzt verschrieben werden. Die gesetzlichen und privaten Krankenkassen weigern sich in den meisten Fällen, die Kosten zu übernehmen.

    Um herauszubekommen, bei welchen rheumatischen Erkrankungen, die mit chronischen Schmerzen einhergehen, Cannabisprodukte wirken und ob sie verträglich und sicher sind, hat Dr. Häuser zusammen mit Forschern aus Deutschland – aber auch Kanada und Israel – eine systematische Literatursuche durchgeführt. Dr. Häuser erklärt: „Wichtig war für uns, nur Studien auszuwerten, die aussagekräftig sind. Wenn also das Cannabisprodukt mit einem Scheinmedikament (Placebo) verglichen wurde und zudem weder Arzt noch Patient wussten, was von beiden sie erhielten.“ Bei der Sichtung der als randomisiert doppelblind bezeichneten Studien (englisch, RCT: randomized controlled trial) stellten die Forscher schnell fest, dass die Datenlage bei der medikamentösen Therapie von Rheumaerkrankungen mit Cannabisprodukten spärlich ist.

    Zwei RCTs mit Nabilon über die Dauer von zwei beziehungsweise sechs Wochen mit 71 Patienten mit Fibromyalgiesyndrom, eine vier-wöchige Studie mit Nabilon und 30 Rückenschmerzpatienten und eine fünf-wöchige Studie mit Tetrahydrocannbinol/Cannabidiol mit 58 Patienten mit rheumatoider Arthritis wurden eingeschlossen. Die Studien zeigten keine bessere Wirksamkeit der untersuchten synthetischen Cannabisprodukte gegenüber Kontrollsubstanzen (Placebo bzw. schmerzlinderndes Antidepressivum). Die Patienten berichteten, die Cannabisprodukte trotz einiger unangenehmer Nebenwirkungen wie beispielweise Konzentrationsstörungen, Sedierungen oder Müdigkeit gut vertragen zu haben.

    Dr. Häuser fasst zusammen: „Wir können aufgrund der schwachen Datenlage derzeit nicht empfehlen, Rheumapatienten mit Cannabisprodukten zu behandeln. Das schließt jedoch nicht aus, dass Ärzte Patienten, die wir als austherapiert bezeichnen, das heißt, bei denen sonst nichts hilft, mit Cannabinoiden behandeln.“

    Die Experten der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. plädieren dafür, dass die Bundesregierung ein Gesetz zum medizinischen Gebrauch von Cannabisprodukten erlässt und dann die Verordnungen langfristig über die Krankenkassen abgerechnet werden können. Professor Dr. med. Michael Schäfer, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V., fasst die Position zusammen: „Wir wollen Schmerzpatienten nicht die Therapie mit Cannabinoiden vorenthalten. Aber gebraucht werden mehr Studien und mehr Medikamentenzulassungen.“ Jede Form einer Eigentherapie lehnt der Experte ab. „Patienten, die sich mit dem sogenannten Medizinalhanf oder Cannabis aus Eigenanbau selbst behandeln, fügen ihrem Körper ein in seiner Dosis permanent schwankendes Medikament zu und riskieren belastende Nebenwirkungen.“

    Literatur:
    Fitzcharles M.-A., Ste-Marie P. A., Häuser, W. et al.: Efficacy, tolerability and safety of Cannabinoid Treatments in the Rheumatic Diseases: A Systematic Review of Randomized Controlled Trials
    Arthritis Care &Research, 2015, in Druck
    PD Dr. med. Winfrid Häuser, Redemanuskript, Pressekonferenz Deutscher Schmerzkongress 14.10.2015

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    Terminhinweise:

    Pressekonferenz
    anlässlich des Deutschen Schmerzkongresse
    der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V. vom 14. bis 17. Oktober 2015
    Termin: Mittwoch, 14. Oktober 2015, 11:00 bis 12:00 Uhr
    Ort: Congress Center Rosengarten Mannheim, Raum: „Christian Cannabich“
    Anschrift: Rosengartenplatz 2, 68161 Mannheim

    Symposium „Schmerz meets Rheumatologie“
    Vorsitz: Dr. med. Winfried Häuser, Saarbrücken
    Termin: Donnerstag, 15. Oktober 2015 15:00-16:30
    Ort: Congress Center Rosengarten Mannheim, Raum: Mozartsaal
    Anschrift: Rosengartenplatz 2, 68161 Mannheim

    Das komplette Kongressprogramm und weitere Informationen finden Sie im Internet unter http://www.schmerzkongress2015.de

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    Pressekonferenz zum Deutschen Schmerzkongress
    Termin: Mittwoch, 14. Oktober 2015, 11.00 bis 12.00 Uhr
    Ort: Congress Center Rosengarten Mannheim, Rosengartenplatz 2, 68161 Mannheim, Raum: „Christian Cannabich“

    Programm/Referenten

    Pressekonferenz zum Deutschen Schmerzkongress
    Termin: Mittwoch, 14. Oktober 2015, 11.00 bis 12.00 Uhr
    Ort: Congress Center Rosengarten Mannheim, Rosengartenplatz 2, 68161 Mannheim, Raum: „Christian Cannabich“

    Schmerztherapie und Gesundheitspolitik in Deutschland: Status Quo und Perspektiven?
    Professor Dr. med. Michael Schäfer
    Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und leitender Oberarzt und Schmerzforscher an der Charité, Berlin

    Qualitätssicherung in der Versorgung von Kopfschmerzpatienten
    Professor Dr. med. Andreas Straube
    Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V. und Leiter der Neurologischen Poliklinik, Klinikum Großhadern, München

    40 Jahre Deutsche Schmerzgesellschaft: Interdisziplinäre Schmerzbehandlung zum Wohl des Patienten
    Professor Dr. med. Hans-Georg Schaible
    Tagungspräsident und Direktor des Instituts für Physiologie I (Neurophysiologie) am Universitätsklinikum Jena

    Das Präsidenten Symposium: Einfluss des Nervensystems auf Entzündung (Immunsystem) und neue Ansätze der Alternsforschung
    Professor Dr. med. Martin Marziniak
    Tagungspräsident und Chefarzt der Klinik für Neurologie am kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost

    Cannabis bei rheumatischen Erkrankungen: Eine Option?
    PD Dr. med. Winfried Häuser
    Ärztlicher Leiter des Schwerpunktes Psychosomatik der Klinik Innere Medizin I, Klinikum Saarbrücken

    Schmerz als „lebenslanger Begleiter“: Merkmale und Behandlung
    Dr. dipl. psych. Paul Nilges
    Leitender Psychologe am DRK-Schmerzzentrum, Mainz

    Neue Behandlungsansätze zur Migräne-Prophylaxe: Monoklonale Antikörper gegen CGRP oder CGRP-Rezeptoren
    PD Dr. med. Uwe Reuter
    Leiter der Kopfschmerzambulanz, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Charité Berlin

    Das Programm als PDF:http://schmerzkongress2015.de/wp-content/uploads/sites/6/2015/09/Vorl%C3%A4ufige...

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    Kontakt für Journalisten:
    Kongress-Pressestelle
    Deutscher Schmerzkongress 2015
    Dagmar Arnold
    Postfach 30 1 20
    70451 Stuttgart
    Tel.: 0711 8931-380
    Fax: 0711 8931-167
    E-Mail: arnold@medizinkommunikation.org

    Thomas Isenberg
    Geschäftsführer der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V.
    Alt-Moabit 101 b
    10559 Berlin
    Tel.: 030 39409689-1
    Fax: 030 39409689-9
    E-Mail: presse@dgss.org


    Weitere Informationen:

    http://www.schmerzkongress2015.de
    http://www.dgss.org


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

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