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02.11.2015 13:02

Turm mit Geschichte: Spurensuche mit modernen Forschungsmethoden

Team Pressestelle Presse-, Öffentlichkeitsarbeit und Marketing
FH Aachen

    Der Ort Monthoiron liegt im Herzen Frankreichs, auf halber Strecke zwischen Paris und Bordeaux. Ein kleines Schloss, idyllisch in einem bewaldeten Tal gelegen, prägt das Bild des Ortes, neben dem Schloss ein Turm, besser gesagt eine Turmruine … hier beginnt eine Geschichte, die bislang rätselhaft ist und im Dunkeln liegt, doch bald von Wissenschaft und Forschung ans Licht gebracht werden soll; eine Geschichte, die weit in die Vergangenheit reicht und doch in die Zukunft weist. Eine wichtige Rolle dabei spielen Studierende des Fachbereichs Architektur der FH Aachen, die sich mit modernen Messmethoden auf Spurensuche begeben.

    Amboise, im Frühjahr 1519: Leonardo da Vinci stirbt 67-jährig in seinem Alterssitz, dem Schloss Clos Lucé am Ufer der Loire, knapp 100 Kilometer nördlich von Monthoiron. Ein großer Geist in einer bewegten Zeit. Leonardo wird oft als Universalgelehrter beschrieben; er war Maler, Bildhauer, Anatom, Mechaniker, Ingenieur und Naturphilosoph. Und Architekt.
    Monthoiron, im Sommer 2015: Fünf Studierende des Fachbereichs Architektur der FH Aachen (Samy Khalil, Kevin Nicklas, Larissa Reineccius, Christine Werker und Jonas Wübbe) machen sich mit ihrer Dozentin Vertr.-Prof. Dr. Anke Fissabre und Bauingenieur und Vermesser Hartmut Malecha vom Fachbereich Bauingenieurwesen daran, die Turmruine zu erkunden. Ergänzt wird das Team durch Ariane Wilson, Dozentin an der Ecole nationale supérieure d’architecture Paris-Malaquais, und Mathilda Bernard, eine ihrer Studentinnen. Sie wollen herausfinden, wie das Gebäude ursprünglich aussah, wann und von wem es erbaut wurde, welchem Zweck es diente. Der schlechte Bauzustand stellt die Studierenden vor Probleme: Vieles ist zerstört oder nur noch – im wahren Sinne des Wortes – bruchstückhaft vorhanden. Zum Einsatz kommt neben klassischen Vermessungsmethoden auch die Photogrammetrie, mit der die FH-Bauingenieure in diesem Jahr schon Teile des Aachener Doms vermessen haben. Aus Tausenden von Bildern werden sehr präzise dreidimensionale Ansichten errechnet, die nicht nur eine präzise Vermessung des Baukörpers zulassen, sondern auch eine virtuelle Rekonstruktion des ursprünglichen Baus ermöglichen. Ein Blick zurück in die Geschichte. Eine vierte Dimension.
    Florenz, im Frühjahr 1516: Leonardo ist nicht mehr gut gelitten in Rom, die jüngeren Künstler Michelangelo und Raffael haben ihm den Rang abgelaufen. Er reist in die Toskana, seine alte Heimat, wo er inmitten der Wirren der französisch-habsburgischen Kriege dem jungen französischen König Franz I. vorgestellt wird. Jener ist begeistert von der Renaissance, kurzerhand lädt er Leonardo ein, in den Ort Amboise zu ziehen, wo sich eines der Königsschlösser befindet. Der 64-Jährige macht sich auf den beschwerlichen Weg – im Gepäck befindet sich auch das Gemälde der Mona Lisa, das heute im Pariser Louvre hängt. Es wird seine letzte große Reise sein, aber auch nach der Ankunft in Frankreich forscht und entwirft er weiter.
    Aachen, im Herbst 2015: Prof. Anke Fissabre und Hartmut Malecha werten die Daten aus, die sie gemeinsam mit den Studierenden in Monthoiron gewonnen haben. Der Turm hat einen Durchmesser von annähernd 20 Metern, der Raum im Erdgeschoss weist eine beeindruckende Kuppeldecke auf, die teilweise noch erhalten ist. Unklar ist, welchem Zweck der Turm einst diente und wann er genau gebaut wurde. Die Funde vor Ort weisen aber darauf hin, dass er aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammt. Ein Detail hat es den Wissenschaftlern angetan: An der Außenwand sind „Nasen“ zu sehen – Mauervorsprünge, die möglicherweise zu spornförmigen Verstärkungen gehörten.
    Madrid, im Frühjahr 1967: Der Romanistikprofessor Jules Piccus stößt in der Biblioteca Nacional auf zwei Bände mit Manuskripten, die er als Handschriften Leonardo da Vincis identifiziert – heute werden die Fundstücke als Codex Madrid I und II bezeichnet. Im Codex Madrid II findet sich eine Zeichnung von Leonardos Hand, die einen Turm zeigt. An der Außenseite finden sich spornartige Verstärkungen, und auch sonst ist eine frappierende Ähnlichkeit zu den 3-D-Modellen zu sehen, die die Aachener Bauforscher vom Turm in Monthoiron erstellt haben.
    „Es ist noch viel zu früh, um konkrete Aussagen zu treffen“, betont Prof. Fissabre, „wir stehen erst am Anfang unserer Arbeit.“ Natürlich könnte all das ein zufälliges Zusammentreffen sein, es könnte sich aber auch als sensationeller Fund erweisen. „Die Bedeutung Leonardos für die Architektur ist bislang noch nicht hinreichend gewürdigt worden“, sagt Prof. Fissabre, die selbst über die Architektur der Renaissance promoviert wurde. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Hartmut Malecha hebt sie hervor, mit welcher Begeisterung und Konzentration die Studierenden bei der einwöchigen Exkursion bei der Sache waren: „Wir haben teilweise bis mitten in die Nacht gearbeitet und Daten ausgewertet.“ Das Monthoiron-Projekt sei ein ideales Beispiel dafür, wie man Forschung und Lehre miteinander verbinden könne. Von besonderem Reiz sei darüber hinaus, dass in diesem Fall die Disziplinen zusammenkommen – Architekten und Bauingenieure hätten überaus produktiv Hand in Hand gearbeitet, zudem spielten auch Bau- und Kunstgeschichte, Physik und IT eine wichtige Rolle. Ein solches Projekt ist natürlich nur mit Unterstützung umsetzbar: „Wir sind den Fachbereichen Architektur und Bauingenieurwesen sowie dem Sozialwerk Bauhütte e.V. für die Förderung dankbar“, sagen die Verantwortlichen, ebenso gilt ihr Dank Prof. Dr. Peter Sparla, der die Vermessungstechnik zur Verfügung gestellt hat.
    Einig sind sich alle Beteiligten, dass das Projekt im Jahr 2016 fortgesetzt werden soll. Es gilt, weitere Messungen vorzunehmen und so die Resultate zu verfeinern. „Es wird aber auch darum gehen, in Archiven nach historischen Dokumenten, etwa Karten, Plänen oder Schriftquellen, zu recherchieren“, erklären Prof. Fissabre und Malecha. Gemeinsam mit den Studierenden wollen sie sich dann weiter auf die Suche nach dem Geheimnis der Turmruine von Monthoiron machen.


    Bilder

    Der Turm in Monthoiron
    Der Turm in Monthoiron
    FH Aachen
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    Die Forschergruppe der FH Aachen vor dem Turm
    Die Forschergruppe der FH Aachen vor dem Turm

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Bauwesen / Architektur, Geschichte / Archäologie, Informationstechnik
    überregional
    Forschungsergebnisse, Kooperationen
    Deutsch


     

    Der Turm in Monthoiron


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    Die Forschergruppe der FH Aachen vor dem Turm


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