idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
09.11.2015 22:00

Neue Erkenntnisse zum Schadstoffabbau nach Ölkatastrophen

Antje Karbe Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Wissenschaftler simulieren für eine Untersuchung das Deepwater Horizon-Unglück in Tiefenwässern des Golfs von Mexiko

    Nach Ölunfällen im Meer, etwa durch Tankerunglücke oder auslaufende Pipelines und Ölbohrplattformen, werden standardmäßig chemische Dispersionsmittel eingesetzt. Allerdings sorgen diese – anders als bisher angenommen – nicht unbedingt für einen schnelleren Abbau der ÖIkomponenten, berichtet Dr. Sara Kleindienst vom Zentrum für Angewandte Geowissenschaften der Universität Tübingen in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences. Die Substanzen lösen zwar größere Ölklumpen auf, spalten sie in kleinere Tröpfchen und bewirken damit, dass sich die zähe Masse nicht an der Meeresoberfläche ansammelt. Doch wie sich im Experiment der Tübingerin zeigte, können sie dabei auch ölabbauende Mikroorganismen verdrängen, die in vielen Ökosystemen natürlich vorkommen.

    Im April 2010 hatte die Explosion der Ölbohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko zu einer der bisher größten Umweltkatastrophen geführt, bei der mehr als 750 Millionen Liter Öl freigesetzt wurden. Als Notfallmaßnahme wurden etwa sieben Millionen Liter Dispersionsmittel im Oberflächen- und Tiefenwasser verteilt. Für ihre Studie stellten Sara Kleindienst und Prof. Samantha Joye von der University of Georgia, USA, mit einem internationalen Wissenschaftlerteam das Deepwater Horizon-Unglück in 1200 Metern Wassertiefe nach – dort war die Konzentration an Öl- und Dispersionsmittelkomponenten besonders hoch. Die chemischen Bedingungen in der Tiefenschicht imitierten die Wissenschaftler mit insgesamt 130 Litern Meerwasser aus dem Golf von Mexiko.

    „Wir konnten in den Experimenten nachweisen, dass Dispersionsmittel den Ölabbau in diesen Tiefenwässern nicht beschleunigen. Bestimmte Stoffklassen wurden ohne sie sogar schneller abgebaut“, sagt Dr. Michael Seidel, Co-Autor von der Universität Oldenburg. Mittels radioaktiver Markierungen verfolgten die Wissenschaftler die mikrobielle Verwertung zweier Stoffklassen, die wichtige Bestandteile von Öl darstellen. In Anwesenheit von Dispersionsmitteln fiel diese geringer aus – „ein wichtiger Kernpunkt der Studie“, sagt Sara Kleindienst. Ähnliche Effekte wiesen die Wissenschaftler auch in einem Oberflächenwasserexperiment nach.

    Die Simulation offenbarte außerdem, dass sich ohne Dispersionsmittel natürliche Ölverwerter der Gattung Marinobacter im Meerwasser vermehrten. Sobald Dispersionsmittel zum Öl zugegeben wurden, verringerte sich deren Anzahl hingegen, und bestimmte Mikroorganismen der Gattung Colwellia vermehrten sich dafür. „Die gleiche Gruppe wurde während der Deepwater Horizon-Katastrophe im Tiefenwasser in hoher Anzahl vorgefunden“, sagt Sara Kleindienst. Chemische Analysen zeigten, dass die Colwellia-Arten vermutlich für die Zersetzung von Dispersionsmitteln verantwortlich sind. „Interessanterweise haben sich die natürlichen Ölabbauer Marinobacter während der Deepwater Horizon-Katastrophe im Tiefenwasser nicht angereichert. Sie wurden wahrscheinlich vom Dispersionsmittelabbauer Colwellia überwachsen oder direkt von Dispersionsmittelkomponenten gehemmt“, schlussfolgert die Molekularökologin.

    Für eine bessere Risikoeinschätzung fordert Kleindienst weitere Untersuchungen, auch in anderen Ökosystemen als dem Golf von Mexiko. „Wir müssen die genauen Wirkungsweisen von Dispersionsmitteln von der Zellebene – etwa den Einfluss auf Aktivitäten ölabbauender Mikroorganismen – bis hin zur Ökosystemebene besser verstehen. Das wird beim Abwägen, ob ein Dispersionsmitteleinsatz nach einer Ölkatastrophe tatsächlich sinnvoll ist, entscheidend sein“, sagt sie.

    Originalpublikation:
    S. Kleindienst , M. Seidel , K. Ziervogel , S. Grim , K. Loftis , S. Harrison , S. Malkin , M. J. Perkins, J. Field , M.L. Sogin , T. Dittmar , U. Passow , P.M. Medeiros , S.B. Joye (in press). Chemical dispersants can suppress the activity of natural oil-degrading microorganisms. Proceedings of the National Academy of Sciences

    Kontakt:
    Dr. Sara Kleindienst
    Universität Tübingen
    Zentrum für Angewandte Geowissenschaften
    Mikrobielle Ökologie/Geomikrobiologie
    Telefon: +49 7071 29-75496
    Fax: +49 7071 29-5059
    E-Mail: sara.kleindienst[at]uni-tuebingen.de
    www.geo.uni-tuebingen.de/arbeitsgruppen/angewandte-geowissenschaften/forschungsbereich/geomikrobiologie/members/sara-kleindienst.html


    Bilder

    Großflächige Ölverschmutzung auf der Wasseroberfläche des Golfs von Mexiko nach der Deepwater Horizon-Katastrophe.
    Großflächige Ölverschmutzung auf der Wasseroberfläche des Golfs von Mexiko nach der Deepwater Horizo ...
    Foto: Samantha Joye
    None

    Mikrokosmen, die die chemischen Bedingungen der Deepwater Horizon-Katastrophe in Tiefenwässern nachstellen.
    Mikrokosmen, die die chemischen Bedingungen der Deepwater Horizon-Katastrophe in Tiefenwässern nachs ...
    Foto: Sara Kleindienst
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Chemie, Geowissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Großflächige Ölverschmutzung auf der Wasseroberfläche des Golfs von Mexiko nach der Deepwater Horizon-Katastrophe.


    Zum Download

    x

    Mikrokosmen, die die chemischen Bedingungen der Deepwater Horizon-Katastrophe in Tiefenwässern nachstellen.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).