Das hat er nicht verdient, in seiner mecklenburgischen Heimat vergessen zu sein. Nicht einmal 60 Jahre nach Vollendung eines äußerst erfüllten Lebens. Nach wissenschaftlichen Leistungen, die über Europa hinaus respektiert waren. Ein Mann, der neue Fenster öffnete. Der unbequeme Wege ging. Der ruhiges Forschen im Studierzimmer gern gegen Staub und Malaria-Gefahr in Palästinas tauschte. Der mit kaiserlich-osmanischen Beamten ungern, aber hartnäckig um Ausgrabungslizenzen feilschte. Lieber trank er Kaffee mit seinen arabischen Arbeitern, als er 1907-1909 das uralte Jericho ausgrub.
Die Rede ist von Ernst Sellin, Professor für Altes Testament und erster deutscher Bibelwissenschaftler, der die Unverzichtbarkeit der Ausgrabungsarbeit im Land der Bibel für die Theologie erkannte. Und diese Erkenntnis tatkräftig umsetzte. Er sammelte Geld, das wir heute "Drittmittel" nennen. Selbstverständlich waren seine Ausgrabungsmethoden von heute her "altertümlich". Moderner als die Schatzgräberei zur Zeit des anderen Mecklenburger Ausgräbers, Heinrich Schliemann, waren sie allemal. Es ist schwierig, Ungewohntes anzufangen. Bequemer sind ausgefahrene Geleise. Sellin war ein Theologe voller Tatkraft mit Mut zum Neuen. Nach ihm brach die Tradition biblisch-archäologischer Forschung in Rostock leider wieder ab.
Kurz nach der "Wende" begann der Rostocker Alttestamentler Prof. Hermann Michael Niemann seinem Forschungsgebiet "Geschichte Israels und Biblische Archäologie" in Israel, vorher unzugänglich, praktisch nachzugehen: Archäologische Projekte westlich von Jerusalem, in Galiläa und in Megiddo fanden statt. Auch Studenten ließen sich begeistern, noch im Sommer 2002 im unruhigen Israel mitzugraben. Dieses Jahr meldete sich kein Student. Tut man als Hochschullehrer dann am Universitätsort seine Pflicht? Zieht sich in Studierzimmer und Uni-Hörsaal zurück? Ist das genug, wenn das Bild des tatkräftigen Vorgängers Sellin von der Wand schaut?
Letzte Woche hat Professor Niemann eine Konferenzreihe begonnen. Biblische und Klassische Archäologie sind Fächer, wo Geistes- und Kulturwissenschaftler mit Natur- und Technikwissenschaftlern ins inspirierende Gespräch kommen. Die spannende Interdisziplinarität während der Ausgrabung soll nun auch in der Rostocker Universität stattfinden. Was Archäologen ausgraben, muss ausgewertet werden. Wie geschieht das sachgemäß? Das ist wichtig, weil die historischen Ergebnisse Bausteine von Geschichts-Rekonstruktionen, ideologischen, theologischen und politischen Legitimationen werden und missbraucht werden können. Hier bemüht sich die neue Konferenzreihe, modernste interdisziplinäre Deutungsmethoden zu diskutieren und zu entwickeln. Die Gastredner dieses Jahres gehören zu den innovativsten Fachleuten auf dem Gebiet der Biblischen Archäologie (Prof. Dr. E. A. Knauf aus Bern/Schweiz) und der Vorderasiatischen Archäologie (Doz. Dr. Gunnar Lehmann aus Beerscheba / Israel). Prof. Knauf entwickelte neue Methoden der Erforschung der Geschichte Israels mit Hilfe von Naturwissenschaften und Statistik, die für die Bibelinterpretation und Theologie bemerkenswerte Impulse liefern. Dr. Lehmann rekonstruierte aus Archäologie, Landes- und Volkskunde Israels/Palästinas einen Situationsrahmen, wie es im 10.Jh. vor Chr. zur Zeit der israelitischen Ahnen-Könige David und Salomo konkret im Lande ausgesehen hat und zugegangen ist.
Wir dürfen gespannt sein, welches Bild entsteht von der Zeit Homers und der klassischen griechischen Götter- und Heldenwelt, die neben der Bibel unsere Kultur bestimmt, wenn im nächsten Jahr die Rostocker Klassischen Archäologen unter Leitung von Professor Dr. Konrad Zimmermann zu einem Kolloquium einladen. Dessen Namenspatron wird dann der überragende Klassische Archäologe Carl Watzinger sein, der in seiner Rostocker Zeit mit Ernst Sellin zusammen das biblische Jericho ausgrub.
Dr. Karl-Heinz Kutz
Pressesprecher
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Philosophie / Ethik, Religion
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Buntes aus der Wissenschaft
Deutsch
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