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23.11.2015 17:42

Laborstudie: Kölner Forscher sondieren neuen Ansatz gegen Epilepsie bei Neugeborenen

Dr. Marcus Neitzert Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE)

    Bestimmte Formen der Epilepsie können bereits in den ersten Lebenswochen auftreten. Eine Laborstudie zeigt nun, dass eine vorbeugende Therapie erfolgreich sein kann, sofern sie innerhalb eines für die Hirnentwicklung kritischen Zeitfensters durchgeführt wird. Das berichtet ein deutsch-französisches Forscherteam um Prof. Dirk Isbrandt vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und der Universität zu Köln im Fachjournal „Nature Medicine“.

    Bei neugeborenen Mäusen gelang es den Wissenschaftlern mit Hilfe des Wirkstoffs „Bumetanid“ die Auswirkungen der Erkrankung so zu begrenzen, dass sich die Tiere weitgehend normal entwickelten. Langfristig könnten diese Forschungsergebnisse den Weg für neue Behandlungsoptionen beim Menschen bereiten.

    Isbrandt und seine Kollegen untersuchten Mäuse mit einem Gendefekt, der in ähnlicher Weise auch beim Menschen vorkommt und schon bei Neugeborenen eine Epilepsie auslösen kann. Denn diese Mutation führt dazu, dass in der Hülle der Nervenzellen winzige Schleusen nicht richtig funktionieren und die Kommunikation zwischen den Zellen gestört wird. Mögliche Symptome sind krampfartige oder zuckende Bewegungen, aber auch weitaus subtilere Verhaltensstörungen können auftreten. Zwar gibt es milde Verlaufsformen, doch häufig entwickelt sich ein Krankheitsbild mit schweren Schäden der geistigen Fähigkeiten.

    „Dieser Gendefekt wirkt sich auf einen sogenannten Ionenkanal in der Zellmembran aus, der Kv7-Kanal oder auch M-Kanal genannt wird. Durch diesen Defekt gerät das Ionengleichgewicht durcheinander. Das beeinflusst die Erregbarkeit der Nervenzellen“, erläutert Isbrandt, der für das DZNE und als Professor für Experimentelle Neurophysiologie auch an der Universität zu Köln forscht. „Epilepsien bei Neugeborenen können unter anderem durch Sauerstoffmangel, Hirnblutungen oder Infektionen ausgelöst werden. Gibt es kein Geburtstrauma, dann sind häufig Mutationen des Kv7-Kanals oder eines anderen Ionenkanals die Ursache. Die Anfälle dieser Patienten sind bisher therapeutisch kaum in den Griff zu bekommen.“

    Studien an Mäusen

    Aus einer vorherigen Studie an Mäusen wussten die Wissenschaftler, dass der Kv7-Kanal für die frühe Entwicklung des Gehirns besonders wichtig ist. Isbrandt: „Entscheidend sind die ersten beiden Wochen nach der Geburt der Maus. Im Erwachsenenalter hat sich die Physiologie des Gehirns dann so weit verändert, dass dieser Kanal eine weniger wichtige Rolle spielt.“

    Hier setzten die Forscher jetzt an: Sie behandelten Mäuse mit einer Mutation des Kv7-Kanals während der ersten beiden Lebenswochen mit „Bumetanid“. Dieser Wirkstoff kann Nervenzellen helfen, ihr Ionengleichgewicht zu bewahren. Das war bereits bekannt. Doch in diesem Fall entpuppte sich Bumetanid als noch wirkungsvoller als erwartet: Die Fehlfunktion des Kv7-Ionenkanals wurde nahezu vollständig kompensiert.

    Das korrekte Timing

    Denn die vorübergehende Behandlung normalisierte die Hirnaktivität der Mäuse und weitgehend auch deren Verhalten. Im Erwachsenenalter blieben epileptische Anfälle aus, obwohl der Gendefekt weiterhin vorlag. „Die zweiwöchige Therapie konnte die Auswirkungen der gestörten Kv7-Funktion nahezu komplett verhindern, weil wir präventiv und zum richtigen Zeitpunkt in die Entwicklung des Gehirns eingegriffen haben“, resümiert der Forscher.

    Dagegen entwickelten nicht behandelte Artgenossen mit dem gleichen Genfehler eine dauerhafte Epilepsie: Ihre Hirnaktivität war gestört, die Hirnstruktur verändert. Die erkrankten Tiere zeigten Hyperaktivität und andere Verhaltensauffälligkeiten.

    Anknüpfungspunkte für die Therapie beim Menschen

    Bumetanid ist bei erwachsenen Menschen zur Therapie von Nieren- und Herzerkrankungen zugelassen. Außerdem gibt es Studien zur Behandlung epileptischer Anfälle bei Neugeborenen. Diese zielen allerdings nicht auf Vorbeugung, sondern darauf, die akuten Symptome zu mildern.

    „Wir wollten herausfinden, wie Prävention prinzipiell funktionieren kann. Unsere Studie belegt, dass es auf das Timing ankommt“, so Isbrandt. „Diese Ergebnisse bekräftigen daher einen strategischen Ansatz. Es geht darum, die kritische Phase der Hirnentwicklung zu identifizieren, in der eine Behandlung den maximalen Erfolg bringt. Erkenntnisse darüber könnten auch für die Therapie beim Menschen hilfreich sein.“

    Möglicherweise müsste die Behandlung aber früher ansetzen als bei Mäusen, was an der unterschiedlichen Geschwindigkeit der Hirnentwicklung liegt. „Die ersten beiden Wochen nach der Geburt einer Maus entsprechen beim Menschen ungefähr dem letzten Schwangerschaftsdrittel“, so Isbrandt. „Insofern müsste eine Therapie beim Menschen vermutlich schon im Mutterleib beginnen. Das ist aus heutiger Sicht noch sehr weit hergeholt. Naheliegender wäre es, Frühgeborene mit einem hohen Epilepsie-Risiko zu behandeln. Ob sich dieser Gedanke praktisch umsetzen lässt, muss sich aber erst noch herausstellen.“

    Diese Forschungsarbeiten wurden unter anderem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Förderschwerpunkts „NGFN-Plus“ und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

    Originalveröffentlichung
    „Treatment during a vulnerable developmental period rescues a genetic epilepsy“, Stephan Lawrence Marguet, Vu Thao Quyen Le-Schulte, Andrea Merseburg, Axel Neu, Ronny Eichler, Igor Jakovcevski, Anton Ivanov , Ileana Livia Hanganu-Opatz, Christophe Bernard, Fabio Morellini, Dirk Isbrandt, Nature Medicine, DOI: 10.1038/nm.3987


    Weitere Informationen:

    http://www.dzne.de/ueber-uns/presse/meldungen/2015/pressemitteilung-nr-19.html


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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